Hagen. Gottesdienst auf der Osterkirmes in Hagen: für Andreas Alexius und seine Söhne ein besonderer Tag.

Der Arbeitsplatz von Andreas Alexius (50) aus Hagen ist der Autoscooter. Andere Leute gehen ins Büro oder einem Handwerk nach, Alexius betreibt sein Fahrgeschäft. Wohl kaum jemand käme auf die Idee, den Autoscooter als spirituellen Ort zu bezeichnen, doch Alexius ist ein pragmatischer Mensch, er hat damit kein Problem: „Wer gläubig ist, der weiß: Gottes Haus ist allgegenwärtig.“

Schon des Öfteren hat er sein Autodrom für den Gottesdienst während der Hagener Osterkirmes zur Verfügung gestellt. Wo normalerweise die Boxautos flitzen, wird dann gebetet und gesungen. Statt dröhnender Popmusik aus den Lautsprechern ertönen geistliche Lieder. Ja, er glaube an Gott, aber ob es ein Leben nach dem Tode gebe, wisse er nicht, beschreibt Alexius sein Verhältnis zur Osterbotschaft: „Irgendwo ist da jedenfalls einer, der mir zwischendurch auf die Finger haut.“

In diesem Jahr wird der Gottesdienst am Kirmessonntag zwar nicht auf dem Autoscooter von Alexius, sondern im kleinen Festzelt der Westfalenschänke stattfinden. Eine besondere Feier wird es dennoch sein – mit einem besonderen Pfarrer: Thorsten Heinrich (60) aus dem hessischen Hofheim ist evangelischer Zirkus- und Schaustellerseelsorger, seine Schäfchen sind Puppenspieler, Zirkusakrobaten, Marktkaufleute und Schausteller. „Ein besonderes Völkchen“, schmunzelt er.

Traditionsbewusster als der Durchschnitt

An einem wie Alexius hat Heinrich seine Freude. Weil der Hagener Schausteller das verkörpert, was der Pfarrer als die hervorstechenden Eigenschaften des „besonderen Völkchens“ der Kirmesmenschen und Schausteller bezeichnet: „Sie sind sehr erfinderisch, kreativ und herzlich. Und sie sind viel traditionsbewusster als der Durchschnitt der Bevölkerung.“

Das Familienleben spiele bei den Schaustellern eine herausragende Rolle: „Viele Familien zerfasern, wohnen weit auseinander. Die Schausteller bleiben zusammen, sie leben die Großfamilie.“ Bei Taufen oder anderen kirchlichen Festen kämen häufig hundert und mehr Gäste zusammen: „Das ist jedes mal eine Demonstration des Zusammenhalts.“

Auch der Glaube an Gott sei bei den Schaustellern stärker ausgeprägt als bei den meisten anderen Berufsgruppen, findet Pfarrer Heinrich. Tatsächlich hat Andreas Alexius seine beiden Söhne auf dem Autoscooter taufen und konfirmieren lassen: „Sozusagen in den heimischen vier Wänden.“ 24 und 18 sind sie jetzt, und natürlich arbeiten beide im Betrieb des Vaters, der jüngere durchläuft gerade seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann.

Aufgewachsen in der DDR

So geradlinig wie das Leben der Alexius-Söhne verlief der Werdegang von Pfarrer Heinrich nicht. In der DDR großgeworden, war die Kirche für ihn ein Freiraum inmitten einer verschlossenen, indoktrinierten Gesellschaft: „Eine Nische, in der wir frei atmen konnten, ohne Angst zu haben, dass jederzeit ein Stasispitzel um die Ecke guckt. Die gab es in der Kirche natürlich auch, aber das war uns egal.“

Heinrich nahm an den Montags-Demos in Leipzig teil und erlebte die Wiedervereinigung als Befreiung. Er war Stadtpfarrer, Dorfpfarrer, Jugendpfarrer. Dass der Glaube an Gott und die Mitgliederzahlen der großen Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig sind, lässt ihn nicht verzweifeln: „Schrumpfen bedeutet nicht gleich einen Totalausfall.“

In den Mittelpunkt des Gottesdienstes auf der Osterkirmes am Sonntag in Hagen wird er die Hoffnung stellen: „Das ist doch die Bedeutung von Ostern: die Hoffnung, die uns bleibt.“ Die Hoffnung sei, neben der Liebe, die das Weihnachtsfest präge, die zweite große Kraft in unserem Leben: „Eine Kraft, die über unseren Tod hinausgeht.“

Auch Andreas Alexius nimmt mit seiner Familie am Ostergottesdienst teil, für einen Schausteller ist das sozusagen eine heilige Pflicht: „Weil wir zueinander gehören. Weil wir unseren Weg gemeinsam gehen.“