Holthausen. Höhlenforscher haben Funde der jüngsten Grabung an der Blätterhöhle vorgelegt. Doch was gibt es da zu entdecken? Wir sind in die Tiefe abgetaucht.
Das Grabungsteam der Blätterhöhle in Holthausen hat die Funde der jüngsten Kampagne vorgelegt. Doch was gibt es da nach 17 Jahren überhaupt noch zu entdecken?
Grabungen seit 2006
Wir sind mit Grabungsleiter Wolfgang Heuschen in die Tiefe gerobbt. Um viele tausend Jahre in die Vergangenheit zu reisen, braucht es einen Helm mit Grubenlampe und einen Overall. Das – Pardon – „Arschleder“ ist leicht lädiert und erzählt von den vielen Leuten, die in diesem Anzug bereits in die kleine Höhle an der Hünenpforte vorgedrungen sind, seit diese 2006 entdeckt wurde. Heuschen ist zwei Jahre später erstmals bei Grabungen vor Ort dabei gewesen, leitet seit neun Jahren die regelmäßigen Kampagnen. Langweilig wird ihm die Blätterhöhle deshalb nicht.
Er kriecht seit Jahren regelmäßig durch den Spalt, die Höhlenspinnen nur Zentimeter über seinem Kopf. „Im Endeffekt ist das hier ein kleines Loch. Umso erstaunlicher war es, dass an dieser unspektakulären Felswand mit zwei Löchern solche Highlights rausgekommen sind“, sagt Heuschen. Die Rede ist von dem ältesten modernen Menschen in Westfalen und dem ältesten Hund in Westfalen. Knochenreste von beiden sind aus dieser Höhle dokumentiert. „Hätte ich es nicht selbst ausgegraben, dann hätte ich es nicht geglaubt.“
Knochen aus Steinzeit
Zu den spektakulären Funden der jüngsten Grabung im vergangenen Jahr gehören eine Feuerstelle, der Kiefer eines Tieres sowie das Schulterblatt eines Menschen aus der Steinzeit, viele tausend Jahre alt. Die genaue Datierung läuft noch im Labor. Wer sich das Alter bisheriger Funde anschaut, dem kann ob der Zahlen schwindelig werden: Rund 11.300 Jahre alt war etwa das Schädelteil eines Jugendlichen, der 2011 in der Blätterhöhle gefunden wurde – die bisher frühesten Nachweise vom modernen Menschen wie heute in Westfalen und im Ruhrgebiet.
Einst Friedhof und Rastplatz
Was haben die Menschen einst in der Steinzeit an der Hünenpforte gemacht? Frage an den Grabungsleiter Wolfgang Heuschen: Im weitesten Sinne war es eine Art Rasthof auf dem Vorplatz mit angeschlossenem Friedhof in der Höhle, lässt sich die Antwort zusammenfassen. Über dem Eingang zur Höhle zeugt noch eine Abbruchkante von dem vorgesprungenen Fels, der sich in der Steinzeit vor dem Eingang zur Höhle aufspannte.
Unter dem Schutz des Felsdaches saßen die Menschen, haben Feuer gemacht, nach der Jagd die Beute zerlegt, gegessen, berichtet Heuschen weiter. Lange waren sie nicht an der Höhle. Vielleicht mal einen Abend, eine Woche, dann zogen sie weiter, kamen vielleicht nach Jahren wieder. „Es gab an der Blätterhöhle keine kontinuierliche Besiedlung des Vorplatzes – und das ist auch das Spannende.“ Anderswo gebe es größere Fundstellen aus der Steinzeit, „aber hier haben wir eine Schichtenfolge, wo wir einzelne Aufenthalte sehen können, kombiniert etwa mit Tierknochen, Holzkohlen und auch Geröllplatten, auf denen Essen gebraten wurde.“
Enger Schacht
Groß war diese Höhle damals nicht, und auch heute lassen sich die Ausmaße nicht ansatzweise mit bekannten Beispielen wie der Kluterthöhle oder der Dechenhöhle vergleichen. Vielmehr wird nach mehreren Metern Kriechen durch den engen Schacht deutlich: Hier wird man ohne Ausbaggern nie große Besuchergruppen durchschleusen können. Und das will man auch nicht. „Früher hat man Höhlen ausgeschaufelt, damit Leute durchgehen konnten.“ Die Folge: Tausende Jahre alte archäologische Überreste wurden zerstört. „Heute untersuche man zum Teil die Abraumhalden von solchen Höhlen, alles andere ist weg. Den Fehler will man heute nicht mehr machen.“
Vielmehr soll der archäologische Schatz, den die Höhle und ihr Vorplatz enthalten, von den heutigen Grabungsteams nur in Teilen geborgen werden. Große Teile des Fundplatzes wolle man unberührt lassen – und so für künftige Generationen von Forschern erhalten. „Archäologie ist letztlich kontrolliertes Zerstören“, sagt Heuschen. Entsprechend penibel müsse jeder Fund dokumentiert und analysiert werden.
Kein öffentlicher Zutritt
Ein dumpfes Brummen ist zu hören, bricht durch die Tonnen von Fels rundherum. Ein Lastwagen über die Straße an der Hünenpforte braust, kaum hundert Meter Luftlinie entfernt. Wie viel dringt von den wissenschaftlichen Erkenntnissen nach außen? Ist diese kleine Höhle, verborgen vor der Öffentlichkeit, nicht mehr als nur ein Spielplatz für Wissenschaftler?
„Das würde ich nicht so sehen“, sagt Heuschen. „Die Ergebnisse bleiben nicht nur bei uns“, verweist er auf die Ausstellung im Wasserschloss Werdringen, wo die spektakulärsten Funde für Jedermann ausgestellt sind. „Wir versuchen darüber hinaus so oft wie möglich öffentliche Vorträge zu machen.“ Auch sei der Vorplatz zum Tag des Offenen Denkmals für Interessierte geöffnet gewesen. Möglichkeiten, sich der Blätterhöhle auch ohne Grubenlampe, Overall und Kriechen in die Tiefe zu nähern, gibt es also, so der Tenor. „Ich mache diese Arbeit nicht für mich, weil ich die Höhle so schön finde, sondern es ist unser aller Geschichte.“ Dazu ermöglichen erst Steuergelder die Grabungskampagnen, „und da müssen Informationen und Erkenntnisse auch zurückfließen – nicht nur so, dass Wissenschaftler sie verstehen, sondern dass alle etwas damit anfangen können.“
Warme Höhle
Nach rund zehn Metern Kriechen in die Tiefe wird der Schacht breiter, fast ließe sich hier gut stehen. Ein kleiner Höhlenraum, in einer Ecke blickt man in die leeren Augenhöhlen eines Tierschädels. „Das ist unser Besucher-Dachs“, sagt Heuschen und lacht. Überreste von mehr als fünfzig Dachsen habe man in der Blätterhöhle gefunden. Idealer Lebensraum für die Tiere – und auch für Menschen ist der Aufenthalt, zumindest gemessen an der Temperatur, durchaus angenehm. Rund 13 Grad zeigt ein Thermometer, das an der Felswand hängt. Im Winter sei es warm, im Sommer angenehm kühl. In der Höhle selbst wurden Tote bestattet.
Der Schacht führt noch weiter, insgesamt wurde die Höhle auf rund 95 Meter Länge gemessen. In diese Zahl sind allerdings auch alle Zipfel und Fortsätze der Höhle eingerechnet, die wie Mini-Äste an einem Stamm von dem eigentlichen Höhlenschacht sprießen. Tatsächlich sei die Höhle kürzer.
Es geht zurück, den Schacht hinauf. „Keine schicken Lackschuhe anziehen“, hatte Heuschen scherzhaft dem Reporter, der ihn begleitet, vor dem Termin in der Blätterhöhle gesagt. Nun ist klar, festes Schuhwerk hat hier seinen Zweck und drückt sich zum Aufstieg in den lehmigen Boden. Am Ende geht es durch die kleine Eingangsklappe, gerade groß genug für einen Erwachsenen, wieder hinaus.
Weniger Förderung
Bis Studenten für die nächste Grabungskampagne anreisen, wird es noch bis Sommer dauern. Wie groß die nächste Kampagne wird, ist noch unklar. Denn ob es die nötigen Fördergelder gibt, das sei sehr unsicher, so die Stadt. Auf Anfrage teilt das zuständige Heimatministerium mit, die Finanzmittel für die Bodendenkmalpflege seien bereits vergeben. Der LWL habe 18.000 Euro für die Grabung an der Blätterhöhle vorgesehen. Zudem erhalte die Stadtarchäologie dieses Jahr rund 20.000 Euro an Pauschalmitteln. Diese Finanzmittel könnten für die Grabung eingesetzt werden, so ein Sprecher des Ministeriums.
Unerforschtes Terrain
Davon ab: Wann es sich für seine Generation von Forschern an der Blätterhöhle ausgegraben hat, da will Grabungsleiter Wolfgang Heuschen keine Prognose wagen. Jede Kampagne bringe Neues zum Vorschein. Zu Dokumentieren gibt es indes noch genug: Im Boden unter den Füßen liegen noch rund 4,2 Meter an Schichten aus der Steinzeit, die bisher nicht erforscht sind.
Studenten graben mit
Bis Dezember dauerten die Ausgrabungs- und Nacharbeiten der Grabungskampagne 2022 an der Blätterhöhle an. Erstmalig nach den Corona-Einschränkungen hatten vergangenes Jahr wieder Studierende die Möglichkeit, die Arbeiten in und an der Blätterhöhle zu unterstützen. Zum Grabungsteam um die Stadtarchäologie gehörten Studenten der Universitäten in Köln und Bochum. Dazu kamen studentische Volontäre der LWL-Archäologie für Westfalen der Außenstelle Olpe.
Sämtliche Höhlenfunde aus der Grabungskampagne werden in einer umfassenden Datenbank erfasst und dokumentiert. Zudem laufen aktuell Datierungen und Analysen. Besondere Funde aus der Grabungskampagne werden danach im Wasserschloss Werdringen ausgestellt.