Hagen. Der Bundespräsident a.D. besucht das Albrecht-Dürer-Gymnasium zum Thema „Jüdisches Leben“ in Hagen. Er nimmt vor allem Christen in die Pflicht.
Die Frage ist so interessant, dass sie der Tatsache, dass Ex-Bundespräsident Christian Wulff an diesem Morgen im Albrecht-Dürer-Gymnasium zu Gast ist, vorangestellt sei. Eine Schülerin will bei der Podiumsdiskussion mit unter anderem Wulff und Hagens jüdischem Gemeindevorsteher Hagay Feldheim wissen: „Wo kann ich eigentlich mit jüdischen Jugendlichen meines Alters in Hagen in Kontakt kommen?“ Ja, wo denn eigentlich?
Christian Wulff ist älter geworden. Silbergraues Haar, die ganze Art zu sprechen viel entspannter, ruhiger, sehr nahbare Sprache, nicht diese präsidiale Schwere, die manche Ex-Staatsoberhäupter an den Tag legen – oder legen wollen. Die Schüler, vor denen er spricht, sind zwischen 2004 und 2011 geboren. Die ältesten von ihnen wurden gewickelt, als die „Wulff-Äffäre“ 2011 mehr oder eher weniger die deutsche Öffentlichkeit bewegte und das Staatsoberhaupt nach steiler politischer Karriere nach nur zwei Jahren im Amt zurücktrat. Wer kann eigentlich noch genau erklären, was da war? Finanzierung seines Eigenheims, Sylt-Urlaube? Der Umgang mit seiner Person – frei jeder Wertung – wäre auch ein interessantes Lehrstück für junge Menschen über Verhältnismäßigkeiten, Beeinflussung von Medien, Vorverurteilung und mehr.
Artikel 3 des Grundgesetzes
Wulff spricht klar. Es sind einfache Sätze mit betonstarker Wirkung. Es geht um jüdisches Leben in Hagen bei seinem Besuch. Es ist „Tu biSchevat“ an diesem Tag. Das jüdische Neujahrsfest der Bäume. Wenige Minuten zuvor hat Wulff im Garten des AD mit Hagay Feldheim einen Mandelbaum gepflanzt. Wulff erinnert daran, wie die Nazi-Herrschaft in Deutschland langsam herankroch. Er zitiert als Kontrast das Grundgesetz. Artikel 3, Absatz 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dass genau dafür in diesem Land nun wieder so sehr gekämpft werden müsse, hätte er nie geglaubt.
Ein Klima der Ablehnung
Er hält kurz inne. Dann sagt er: „Meine Eltern haben dieses Land wieder aufgebaut. Meine Generation hat die Einheit herbeigeführt. Und ihre und eure Aufgabe ist es, dieses Land zusammenzuhalten.“ Da ist sie. Die Kernbotschaft seines Besuches, die im Anschluss an seine Rede Thema einer Podiumsrunde ist, an der auch Hagay Feldheim und Schüler teilnehmen. Feldheim erzählt, dass es eine Realität sei, dass an manchen Hagener Schulen jüdische Schüler sich genötigt gesehen hätten, die Schule zu wechseln, weil sie das Klima der Ablehnung nicht aushalten würden.
Er berichtet, wie vor Jahren nur ein Parkverbotsschild vor der Synagoge gestanden habe. „Dann kam eine kleine Kette, später ein stabiler Zaun, jetzt haben wir eine Sicherheitsschleuse, gegen die ich immer gekämpft habe.“ Seit 25 Jahren arbeite er für Transparenz, Verständigung und man versuche, als jüdische Gemeinde so wirksam wie möglich zu sein.
Schüler und Elternvertreter stellten aber, wie eingangs erwähnt, auch die Frage, ob die jüdische Gemeinde denn über Jugendgruppen verfüge, mit denen man in Kontakt kommen könne, um Barrieren abzubauen und in einen Dialog zu treten. „Ja“, sagte Feldheim kurz und knapp. Die gebe es. Die Schüler formulierten den Wunsch, diesen Kontakt auch aufbauen zu können. Ex-Bundespräsident Wulff formulierte überdies: „Auch Christen müssen in einen Dialog über ihren Glauben treten.“ Er finde, das komme in Deutschland heute viel zu kurz, und er stelle auch eine gewisse Unkenntnis fest. „In Ostdeutschland gehen Leute gegen den Untergang des Abendlandes auf die Straße, haben aber vom Christentum überhaupt keine Ahnung.“