Hagen. Seine kriminellen Neigungen bringen jetzt einen Juristen mit einstiger Kanzlei in Vorhalle selbst hinter Gitter. Ein Fall für ein Kino-Drehbuch.
Mehrere hundert Male hat der 51-Jährige in seinem Leben schon vor Gericht gesessen – mal als Strafverteidiger, aber viel häufiger noch als Unfallabwickler. Doch diese Rolle als Angeklagter ist für den ehemaligen Rechtsanwalt aus Hagen-Vorhalle neu: Vor dem Schöffengericht werden ihm Versicherungsbetrügereien und Unterschlagung von Mandantengeldern vorgeworfen. Am zweiten Verhandlungstag fällt das Urteil – und im selben Augenblick die Kinnlade des Juristen herunter.
Eigentlich hatte sich der „gelernte Jurist“ (wie er sich inzwischen selbst nennt) eine Chance zur Bewährung erhofft. Doch das Gericht will ihn für anderthalb Jahre im Gefängnis sehen. „Sie haben mit kriminellen Herrschaften gemeinsame Sache gemacht“, brachte es Richter Michael Brass deutlich auf den Punkt, „jetzt werden Sie von Ihrer Vergangenheit eingeholt.“
Plötzlich verschwunden
Der Advokat, der privat in einer Kleinstadt im Ennepe-Ruhr-Kreis lebt, führte seine Anwaltspraxis jahrelang in Vorhalle. Doch im Sommer 2019 war er dort plötzlich nicht mehr erreichbar: Mandanten wurden von einer Angestellten am Telefon abgewimmelt und vertröstet. Aufgrund von Mietrückständen waren ihm die Büroräume gekündigt worden. Ungeöffnete Post stapelte sich. Der Rechtsanwalt hatte, weil ihm offenbar alles über den Kopf wuchs, bereits im Sommer 2019 seine Zulassung zurückgegeben und sich („aus gesundheitlichen Gründen“) in ein Krankenhaus einweisen lassen: „Verdacht auf Herzinfarkt und Depressionen. Dem Stress, dem ich durch meinen Beruf ausgeliefert war, wollte ich mich nicht weiter aussetzen“, erklärte er.
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Die Vorsitzende des Hagener Anwaltsvereins, Sonka Mehner, musste schließlich seine Kanzlei abwickeln. Eine Insolvenz wurde unabwendbar. Was verwundert: Als Strafverteidiger in mehreren Großverfahren und mit jährlich rund 600 Schadensregulierungen von Autounfällen war der Rechtsanwalt eigentlich sehr gut im Geschäft. Nach seiner eigenen Aussage war er sogar „der umsatzstärkste Einzelanwalt Hagens“. Jährlich seien drei Millionen Euro Fremdgelder über sein Konto gegangen. Doch dann der finanzielle Kollaps: Seit Ende Juli 2019, und bis heute, lebt der Jurist von Krankentagegeld: „Im Moment bewege ich mich da noch im pfändungsfreien Bereich.“
Mit Nähe zur Unterwelt
Wie konnte es zu diesem Absturz kommen? Da war diese brisante Nähe zur Unterwelt: Umgeben von „kriminellen Elementen“ (so das Gericht), betrieb der Anwalt ein geschickt eingefädeltes Konstrukt, einerseits Versicherungen abzuzocken und anderseits noch Gebühren dafür abzurechnen. So kassierte er als Schadensabwickler an fingierten Auffahrunfällen, nutze die Hilfe zwielichtiger Autowerkstätten und krummer Gutachter. Den Kfz-Sachverständigen hatte er kostenlos Luxuslimousinen zur Verfügung gestellt. Zum Groß-Fuhrpark des Advokaten gehörten unter anderem ein roter Ferrari, ein weißer Porsche Panamera, ein Audi R8 Cabrio in silber-metallic, ein Mercedes S-Klasse 350 und ein Mercedes S-Klasse, weiß. Die mit dem Anwalt verbandelten Gutachter hatten was zum Protzen und erbrachten dafür gefällige Gegenleistungen.
Zwei Anklageschriften werfen dem ehemaligen Vorhaller Rechtsanwalt auch Versicherungsbetrügereien vor. Sein geleaster Audi R8 soll 2016 zunächst in einen Crash in Paris, nur einen Monat später dann in einen weiteren Unfall in Belgien verwickelt gewesen sein. In beiden Fällen hatte der Jurist jeweils knapp 40.000 Euro Schaden gegenüber zwei verschiedenen Versicherungen geltend gemacht, mit offensichtlich fingierten Unfallbeteiligten. Doch der Schwindel flog auf.
Geprellter 79-Jähriger
Ein 79-Jähriger gehört jedoch zu den wirklich Geprellten des früheren Anwalts. Seit drei Jahren wartet der Rentner aus Gevelsberg auf 2600 Euro, die eine Versicherung an seinen damaligen Anwalt als Teilzahlung überwiesen hatte – zur Weiterleitung. Von dem Geld hat er bis heute noch keinen Cent gesehen: „Bei mir ist nie was angekommen. Mittlerweile sind schon 4500 Euro aufgelaufen“, erklärt der resolute Senior im Zeugenstand.
Dabei hätte der Rentner die Teilzahlung der Versicherung wirklich gut gebrauchen können: 2019 hatte er einen beinah tödlichen Verkehrsunfall erlitten, ein Lkw war ihm ins Auto gefahren. So heftig, dass der Eingeklemmte von der Feuerwehr aus dem Wrack herausgeschnitten werden musste. Ein Rettungshubschrauber flog den Schwerverletzten in eine Spezialklinik. Mit zwei Hirnblutungen lag der Rentner im Koma und kämpfte noch wochenlang um sein Leben.
Weitere Verfahren drohen
Der Kampf, den er nun seit drei Jahren zu führen hat, ist der gegen seinen ehemaligen Rechtsanwalt. Dieser beteuert auf der Anklagebank: „Es tut mir aufrichtig leid, ich entschuldige mich. Sie sind der Erste, der sein Geld bekommen wird, sobald ich etwas habe“, verspricht er. Schon Ende dieses Monats will der Jurist wieder eigenes Geld verdienen, allerdings in einer ganz anderen Sparte: Im Bereich der Physiotherapie. „Als Angestellter in einer Firma, die gerade erst gegründet wurde“. Dabei ginge es um die Kältebehandlung von Patienten zur Therapie bei Rheuma.
Doch vorerst will der Ex-Anwalt erst mal Berufung gegen das Urteil einlegen, das ihn hinter Gittern sehen will. Ob ihm das helfen wird? Es gibt noch weitere schwere Betrugsvorwürfe gegen den Juristen und es gilt als wahrscheinlich, dass weitere Anklagen folgen werden.
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