Haspe. Die Herkunft der Kinder und ihre Sprachen sind international – für das Team im Kinderhaus Martinstraße eine Chance zum offenen Miteinander.
Das zentrale Ziel steht unübersehbar auf einem polierten Schild des Bundesfamilienministeriums direkt neben der Eingangspforte: „Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist.“ Was diese eher metaphorische Betrachtung im Alltag von ein- bis sechsjährigen Kindern konkret bedeutet, formuliert Barbara Habla, Fachkraft für alltagsintegrierte Sprachbildung, etwas anschaulicher: „Wir baden die Kinder in Sprache“, verweist sie auf formulierte Worte und Gesang ebenso wie auf Spiel, Tanz, Bildergeschichten und Entdeckungstouren. Durch diesen breiten Ansatz kommen die 98 Mädchen und Jungen im städtischen Kinderhaus Martinstraße in Hagen-Haspe, die ursprünglich aus zehn Nationen stammen und sich dort in fünf Gruppen tummeln, erst gar nicht auf die Idee, über nationale oder kulturelle Unterschiede nachzudenken.
Kinder kennen keinen Rassismus oder ethnische Unterscheidungen. Sie fragen nicht nach Herkunft, Heimatland oder Verwurzelung. Sympathie entscheidet über Freundschaften – sowohl in der Kita als auch bei privaten Besuchen oder Geburtstagseinladungen.
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„Bei uns lernen sie von der ersten Minute an, dass diese Gesellschaft bunt ist und man ihr offen gegenübertreten muss“, betont Einrichtungsleiterin Susanne Werth und unterstreicht dabei ganz selbstbewusst für das gesamte Hasper Team: „Wir gestalten hier gesellschaftliche Zukunft. Vielfalt ist Normalität“, gilt es vor allem, Berührungsängste vor dem anderen gar nicht erst entstehen zu lassen. Statt die Kinder – wie vor Jahren üblich – von der ersten Minute an anzuhalten, deutsch zu sprechen, bestimmt heute eine tolerante und offene Haltung zu Sprachen, Religionen und Kulturen den Alltagsrhythmus. Die pädagogische Fachberaterin Katrin Sieferth unterstreicht: „Es ist ganz wichtig, dass Kinder diese Chance erhalten.“
Kein Platz für Pascha-Allüren
Dazu gehört auch, dass gar nicht erst versucht wird, zwischen weiblichen und männlichen Rollenbildern zu differenzieren. „Wir vermitteln es als Selbstverständlichkeit, dass jeder alles kann und auch machen muss“, lässt Susanne Werth beispielsweise dem tradierten Pascha-Verhalten, sich von der Mama die Schuhe anziehen zu lassen, gar keinen Spielraum. „Wir vermitteln Selbstständigkeit, Konfliktfähigkeit und selbstbewusstes Auftreten“, blickt die Kinderhaus-Leiterin vorzugsweise auf die wesentlichen Schlüsselqualifikationen für die spätere Schullaufbahn – ganz ohne Rücksicht auf kulturelles Rollenverständnis oder ethnische Eigenheiten.
Zurzeit besuchen das Kinderhaus in der Kipper immerhin 43 Kinder, die aufgrund ihres internationalen Hintergrunds zwei- oder gar dreisprachig aufwachsen. Keineswegs ein Manko, sondern eine Chance für alle, über die Welt abseits ihrer Hasper Realität noch viel mehr zu erfahren. „Unsere zentrale Aufgabe besteht darin, zunächst einmal mögliche Ängste aufgrund von Verschiedenheit abzubauen und nicht etwa Kinder auf Kurs zu bringen“, hat das gesamte Team um Susanne Werth althergebrachte Vorstellungen längst über Bord geworfen. „Bei uns funktioniert die Sprachbildung in Permanenz – von der Begrüßung bis zur Verabschiedung. Und das gelingt, weil die Kinder sich bei uns sicher fühlen und somit den Mut entwickeln, sich beim Thema Sprache auszuprobieren. Sie trauen sich einfach viel mehr zu.“ Und Katrin Sieferth ergänzt: „Kinder sind unvoreingenommen und offen – sie saugen Neues einfach auf.“ Verweigerungshaltung – ein Fremdwort.
In enger Abstimmung mit Eltern
Ein vorschulischer Prozess, der von der Elternschaft aktiv begleitet wird. Regelmäßige Rückkopplungen und konkrete, individuelle Tipps für daheim sind Teil des täglichen Miteinanders: „Wir müssen die Mütter und Väter hier sensibel abholen“, befinden Susanne Werth und ihre Kolleginnen sich hier im steten Dialog.
Die Sprachentwicklung der Mädchen und Jungen, die bis zu Grundschule meist vier Jahre lang eine Kita besuchen, ist ein ständiges Thema bei den Elternsprechtagen. Manchmal muss das Kita-Team auch regelmäßige Besuche anmahnen, damit die kontinuierliche Entwicklung nicht abreißt.
„Dinge, die mit Spaß und Freude vermittelt werden, bleiben in den Köpfen auch länger hängen“; weiß Barbara Habla, dass die Sprachförderung auch ganz wesentlich von der inneren Haltung des Teams abhängt. Und die ist in Haspe allein schon aufgrund der muttersprachlichen Vielfalt der Erzieherinnen garantiert: Familiäre Wurzeln in der Türkei, Albanien, Polen oder auch dem englischsprachigen Raum machen es einfach, beispielsweise dem Wunsch der Kinder nach Liedern aus diesen Ländern nachzukommen. Für die Jüngsten ein ähnliches Faszinosum, als wenn Migranten-Eltern Geschichten aus fremdsprachigen Lese- und Bilderbüchern präsentieren.
Bücher als Schatz für Entdecker
Die Einführung eines Bücherführerscheins schafft zusätzlichen Anreiz, erzählt die Sprachbildungsfachkraft, deren Stelle lediglich aufgrund der Internationalität des Hasper Kinderhauses finanziert wird: „Die Kinder schnappen sich immer wieder ein Buch und fordern mich zum Vorlesen auf. Bücher sind Lebensmittel – ein Schatz, den es immer wieder zu erforschen gilt.“ Aber dem Hasper Team geht es auch um die gesamtgesellschaftliche Anerkennung: „Wir leisten eine qualitativ hochwertige Arbeit für unsere Gesellschaft. Das muss endlich begriffen werden, damit auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden“, blickt das Kita-Team durchaus neidvoll nach Skandinavien – dort wird Kindererziehung längst mit ganz anderen Personalschlüsseln hinterlegt.
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