Hagen. 150 Menschen in Hagen engagieren sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Sie essen oder geben weiter, was andere nicht mehr wollen.

Stefan Reh (57) öffnet den Kofferraum seines Kleinwagens, der vollgepackt ist mit Kartons und Tüten. Darin Nudeln, Müsli, Obst, Milch und weitere Lebensmittel. Er hat sie gerettet. „In Deutschland werden pro Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel ungenutzt vernichtet“, sagt Stefan Reh: „Das ist doch Wahnsinn.“

Reh ist Lebensmittelretter bzw. Foodsaver. Er bewahrt Nahrung davor, dass sie nicht gegessen wird. Gemeinsam mit rund 150 weiteren Foodsavern in Hagen holt er Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum in Supermärkten, kleinen Einzelhandelsgeschäften, Bäckereien und Cafés ab, um sie anschließend an Bekannte, Nachbarn und Freunde, aber auch an Bedürftige zu verteilen. „Die Hauptsache ist doch, sie landen nicht im Müll“, sagt Reh.

Gegen die Verschwendung von Lebensmitteln

Foodsharing ist eine 2012 in Berlin gegründete Initiative für einen Wegwerfstopp und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Die Waren, die Reh sammelt, mögen manchmal etwas beschädigt und vielleicht nicht mehr ganz frisch sein, aber davon abgesehen sind es einwandfreie Nahrungsmittel. „Es würde keinen Hunger auf der Welt geben, wenn man das, was produziert wird, unten allen Menschen verteilen würde“, sagt Reh.

Ihm selbst sei es vor fünf Jahren wie Schuppen von den Augen gefallen, mit welcher Nonchalance und Unbekümmertheit in den Industrieländern Lebensmittel in großem Stil beseitigt werden. „Da kam ein Freund zu mir, der bereits als Foodsaver tätig war, und zeigte mir, welche Lebensmittel er an jenem Tag gerettet hatte“, schildert er sein Erweckungserlebnis. Seitdem engagiert er sich in der Initiative Foodsharing und ist in Hagen inzwischen zu einem der wichtigsten Akteure der ehrenamtlichen Organisation aufgestiegen.

Langsam kommt ein Bewusstseinswandel in Gang

Immerhin zehn Händler in Hagen kooperieren mit den Foodsavern, darunter viele kleine Geschäfte. Aber auch ein Edeka-Markt ist dabei, und Reh baut darauf, dass die großen Ketten sich dem Projekt bald mehrheitlich anschließen.

Noch wollen die meisten Händler nicht öffentlich genannt werden – möglicherweise in dem Glauben, die Zusammenarbeit mit den Foodsavern sei dem Image eher abträglich denn förderlich. Bei einigen Betrieben haben die Hagener Foodsaver für einen Bewusstseinswandel gesorgt, sie stellen den Lebensmittelrettern mittlerweile viel weniger Waren zur Verfügung als früher: „Weil sie selbst bewusster im Umgang mit Lebensmitteln geworden sind“, sagt Reh: „Und das ist auch gut so, denn im Prinzip wollen wir uns selbst abschaffen.“

Vieh lebt und stirbt umsonst

Das wird so bald nicht gelingen. 52 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel werden nach Angaben des Vereins Foodsharing in Privathaushalten entsorgt. „Und kaum jemand macht sich darüber Gedanken“, klagt Reh. Er sagt, 45 Millionen Hühner, vier Millionen Schweine und 230.000 Rinder würden pro Jahr sinnlos gemästet und geschlachtet: „Sie leben und sterben umsonst, weil ihr Fleisch niemals gegessen wird.“ Die Tiere, die Nahrung liefern sollten, würden dadurch obendrein verhöhnt.

Reh betont, Foodsharing sei keine soziale Einrichtung, sondern eine Umweltorganisation: „Im Vordergrund steht nicht die Bedürftigkeit, sondern die Umwelt.“ Die Hagener Foodsaver sind vom städtischen Gesundheitsamt als Lebensmittelbetrieb kategorisiert worden, sie müssen dokumentieren, welche Lebensmittel sie retten, und sie müssen sich an die gängigen Vorschriften halten (etwas dass Brot nicht zusammen mit Gemüse gelagert werden darf).

Lebensmittelrettung sei Klimaschutz, betont Reh. Anbau, Transport und Lagerung von später ungebraucht vernichteten Lebensmitteln würden Unmengen nutzlos produziertes Kohlendioxid freisetzen. Das Klimagas setze jeder frei, der Lebensmittel in den Mülleimer befördere.