Hagen. Hiltrud und Karl-Heinz Kretzschmar haben keineswegs einen Spleen. Sie sind auch nicht verwegen oder melancholisch, keineswegs. Sie sind einfach verliebt. In Finnland. Die Verliebtheit der Kretzschmars ist längst zu echter, tiefer Liebe gereift. Sie wollen auswandern.

Dieses Land der Mitternachtssonne, dieses Land der zehntausend, ach was - hunderttausend Seen, dieses Land der Saunas und dieses Land der Stille. Die Verliebtheit der Kretzschmars ist längst zu echter, tiefer Liebe gereift. Sie wollen auswandern. Karl-Heinz Kretzschmar sagt es so: „Die Finnen fühlen sich nicht durch Stille gestört. Wir auch nicht.”

Der 52-jährige Bereichsleiter beim Hagener Betrieb für Informationstechnologie und seine Frau (53), die als Fertigungstechnikerin arbeitet, gehören keineswegs zur Spezies jener lautstarken, oftmals miserabel vorbereiteten Migranten, die sich beim Auswandern von einer TV-Kamera begleiten lassen. Aber mal ehrlich: Wer will denn schon nach Finnland? Dort ist es kalt, dunkel und eintönig. Es lauern Bären und andere wilde Tiere im Wald, und in Finnland gibt es fast nur Wald und Wasser.

Urlaub ohne Strom und fließend Wasser

Der Viitalampi-See ist ein Weiher in Mittelfinnland, an dessen Ufer ein Blockhaus ohne Wasser- und Stromanschluss steht. Dort haben Kretzschmars in den vergangenen 30 Jahren häufig den Sommerurlaub verbracht, mal mit ihren beiden Söhnen, später, als die Kinder aus dem Haus waren, zu zweit. „Dort kann man wirklich die Stille hören”, berichtet Karl-Heinz Kretzschmar. „Es gibt dort Bären und Elche, es ist mitten in der Wildnis. Man nimmt diese Unberührtheit in sich auf.”

Fast hört man ihn tief durchatmen, wenn er vom Viitalampi-See erzählt. „Aber wir sind keine Alt-Ökos”, sagt seine Frau. „Keineswegs. Wir lernen jetzt Finnisch, und erst wenn wir die Sprache beherrschen und beruflich und finanziell abgesichert sind, wandern wir aus. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wir sind nicht blauäugig.” Drei VHS-Semester hat das Ehepaar inzwischen hinter sich und braucht nach eigener Einschätzung noch zwei Jahre, um die extrem schwierige Sprache der Finnen, die zum Beispiel ohne Präpositionen daherkommt, zu erlernen.

Sparen für die Auswanderung

Und Kretzschmars wollen auch nicht in das Blockhaus ohne Strom und Wasser ziehen; dieses zivilisationsferne Domizil haben sie sich im Urlaub vor allem deshalb ausgesucht, um einen Ausgleich zu den technisch geprägten, ganz naturfernen Berufen, in denen sie tätig sind, zu finden. Sie wollen also keineswegs in der finnischen Einöde verschwinden und für den Rest ihres Lebens einen Holzkohlenmeiler betreiben.

„Wir sparen für die Auswanderung”, sagt Karl-Heinz Kretzschmar. „Wir lieben Land und Leute und wollen in einem normalen Haus mit Fernseher und allem, was dazugehört, leben. Wir wollen unseren Lebensabend in Finnland verbringen. Aber wenn wir einen Job bekämen, dann sind wir auch vorher weg.” Die Kälte und Dunkelheit im Winter könnten ihnen nichts anhaben, die wilden Tiere schon gar nicht und erst recht nicht die Mücken: „Wir sprechen oft über Finnland und wie es sein wird, für immer dort zu leben. Wir glauben, wir kommen damit klar.”

Die Mentalität der Finnen kommt ihnen entgegen. Wenn man sich vorstellt, dass das Land in etwa so groß wie Deutschland ist, aber nicht 82, sondern nur 5 Millionen Einwohner hat, bekommt man einen Begriff von der ungeheuren, aus Wald und Wasser bestehenden Einsamkeit. Der Stille. Dem Schweigen.

Gastfreundlich und zuvorkommend

„Die Finnen sprechen nur, wenn sie etwas zu sagen haben”, sagt Kretzschmar. „Sie respektieren anderer Leute Privatsphäre und sind ungemein gastfreundlich und zuvorkommend. Das gefällt uns.”

Es heißt, die Finnen seien ein Volk, das in zwei Sprachen schweigt: in ihrer eigenen und im Schwedischen, das im westlichen Finnland Amtssprache ist. Es ist wohl die perfekte Umschreibung für diese Art vornehmer Zurückhaltung, die die Finnen auszeichnet, und dann noch die herrliche, brausende Natur: Es ist Liebe.