Hagen. Der Mediziner, der im Hagener Impfzentrum als Hochstapler aufgeflogen ist, hat sich in seinem Prozess reumütig gezeigt. Hier die Details:

Der Arzt, der in Wahrheit ein Scharlatan und Schwindler war: Gestern hat der falsche Doktor (33) aus dem städtischen Corona-Impfzentrum vor dem Landgericht Hagen die Beichte seines Lebens abgelegt. Er bezeichnete sich selbst als „erbärmliche Existenz“. Und gestand reumütig ein: „Mir ist bewusst, dass ich kein Opfer bin. Ich bin der Täter.“

Um es gleich vorwegzunehmen: Am Ende dieses Verfahrens, das bereits im Vorfeld für großes öffentliches Aufsehen und bundesweite Schlagzeilen gesorgt hatte, wird eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung stehen. Der Strafrahmen wurde am Dienstagmorgen bereits in einem Rechtsgespräch („Deal“) zwischen der Kammer, dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft festgesteckt. Dabei verständigte man sich auf einen Strafrahmen zwischen dreieinhalb Jahren (mindestens) und (höchstens) viereinhalb Jahren Haft.

Großes Schauspieltalent

Der Angeklagte – in seiner gepflegten Erscheinung, mit seiner filigranen Gestik und vornehmen Ausdrucksweise – dürfte seine Rolle als Mediziner zwanzig Monate lang durchaus glaubhaft verkörpert haben. Aber großes Schauspieltalent ist allen gewieften Hochstaplern zu eigen. Und ein kriminelles Vorleben mit verurteilten 16 Betrugsfällen, zwei Fällen von Urkundenfälschungen und 87 Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis lässt sich offenbar locker überspielen. Weder das Deutsche Rote Kreuz (DRK) noch die Stadt Hagen, die den selbst ernannten Arzt und Doktor eingestellt hatten, waren jemals argwöhnisch: „Ein Führungszeugnis wurde nie verlangt“, tönt es aus der Anklagebank.

Im Internet von Zeugin wiedererkannt

Der falsche Doktor ist durch die Veröffentlichung eines Fotos im Netz aufgekippt: Das Bild zeigte ihn als Leiter des Corona-Impfzentrums in Hagen. Eine Frau aus Ahaus, die ihn persönlich kennt, entdeckte das Foto im Internet und brachte die Ermittlungen ins Rollen.Auch bei den „Hasper Lichtern“ im September 2019 und beim „Oktoberfest 2019“ in der Stadthalle Hagen sicherte der Angeklagte als angeblicher Arzt die Veranstaltungen ab.Bei einer Hausdurchsuchung entdeckten die Ermittler unter anderem Arztausweise, ein Rückenschild „Notarzt“ und ein Autoschild mit Saugnapf „Arzt im Dienst“. Außerdem einen Karton mit Rezeptvordrucken. Einem Patienten hatte er sogar Morphium verordnet.

Die jetzt zur Verhandlung anstehenden Vorwürfe: gewerbsmäßiger Betrug mit Vermögensschaden großen Ausmaßes, fünf Urkundenfälschungen und das unbefugte Nutzen eines akademischen Grades mit der Berufsbezeichnung „Arzt“. Während sich der Angeklagte bei seinem Erstkontakt zum DRK-Hagen im Jahr 2017 noch als „Psychologe aus dem Krankenhaus Herdecke“ ausgab, behauptete er im Jahr 2019 bereits gegenüber dem damaligen Rotkreuzleiter in Haspe, dass sein „Psychologiestudium auch ein Medizinstudium“ enthalten hätte, weshalb er in Deutschland als Arzt anerkannt sei. Zur Glaubhaftmachung wurde eine „Studienbescheinigung Medizin“ von der niederländischen Universität Nijmegen vorgelegt und eine Approbationsurkunde – beide vom Angeklagten selbst am Heimcomputer gefälscht.

Vorsitzender Richter Christian Hoppe erkundigt sich präzise nach der Methode des Hochstaplers.
Vorsitzender Richter Christian Hoppe erkundigt sich präzise nach der Methode des Hochstaplers. © WP | Michael Kleinrensing

„Woher wussten Sie denn, wie diese Urkunden auszusehen hatten?“, fragte Vorsitzender Richter Christian Hoppe interessiert nach. Der falsche Arzt: „Ganz einfach: Ich habe es im Internet gegoogelt. Dort gibt es gute Online-Vorlagen.“

Rasante Beförderungen in Hagen

Mit den gefälschten Dokumenten ging die Beförderung des selbst ernannten Doktors dann Schlag auf Schlag: DRK-Arzt im Ortsverein Haspe, Kreisverbandsarzt vom DRK-Kreisverband Hagen, Bezirksarzt des Landesverbands Westfalen Lippe sowie Rotkreuzleiter des Bezirks.

Staatsanwalt Ömer Sivrice: „Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten ging insbesondere auch der DRK-Kreisvorstandsvorsitzende, der Zeuge Udo Stroh, von Anfang an davon aus, dass der Angeschuldigte tatsächlich approbierter Arzt war.“

So saß der falsche Mediziner als Notarzt auf dem Rettungswagen, ordnete in mehreren Fällen die Legung von Zugängen bei Patienten an. Im Sommer 2020 fädelte er als Rotkreuz-Bezirksleiter dann den Kontakt zur Stadt Hagen ein und war mit dafür verantwortlich, dass in der Folgezeit das Deutsche Rote Kreuz die Stadt bei der Pandemiebekämpfung unterstützte und mithalf, das Corona-Impfzentrum und das dazu gehörende Team aufzubauen.

Für Amtsarzt der Stadt Hagen gehalten

Dabei kam es zu den jetzt angeklagten Betrugstaten: Der Angeklagte bezog ein Büro im Gesundheitsamt, wo er, laut Anklage, „durchweg als Arzt auftrat und teilweise auch für einen Amtsarzt gehalten wurde“. Und er kassierte im Laufe der Zeit insgesamt 271.835,26 Euro an Arzthonorar.

In seinem Geständnis fand der Schwindel-Mediziner dafür die passenden Worte: „Ich habe viel Böses, manches Dummes und eine Menge Waghalsiges getan, viele verletzt und gekränkt.“ In den fast neun Monaten, die er nunmehr in Untersuchungshaft sitzt, sei er zu dieser Erkenntnis gelangt: „Mit meinem alten Leben will ich jetzt abschließen.“