Halden. Viele Kneipen sterben. Diese nicht. Im Gegenteil. Sie ist der Anti-Trend und einen Besuch wert. Das „Pröhlken Eck“ zieht alle Generationen an.
Ja, es gibt ein Kneipensterben. Da brauchen wir nicht drumherum zu schreiben. Wer das bestreitet, der war entweder seit 25 Jahren nicht mehr in einer Kneipe oder interessiert sich so gar nicht für das Nachtleben in Hagen. Es gibt aber auch Gegenentwürfe. Anti-Trends sozusagen. Orte, an denen die Erzählungen vom Niedergang, dem Wandel und der alten Zeiten null und nichtig sind. Das „Pröhlken Eck“ an der Flensburgstraße ist so ein Ort. Aber noch viel entscheidender als das urige Interieur, die gemütliche Enge und die außergewöhnliche Lage: Hier wirken Tanja (52) und Jörg Leschinsky (57). Menschen, wegen denen Menschen einen Ort besuchen.
Sie sind jung und alt. Jung heißt wahrlich 20, 25. Und alt 60, 70 oder älter. Sie sind Arbeiter und Studenten. Doktoren und Angestellte. Sie sind Dortmunder und Schalker. Sie sind homosexuell und nicht homosexuell oder alles, was dazwischen sonst noch glücklich macht. „Die Menschen, die zu uns kommen, sind unterschiedlich“, sagt Tanja Leschinsky. Und das ist, so gegensätzlich das auch klingt, das, was sie eint.
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Das Geheimnis? Die Leschinskys machen Kneipe mit „Lust und Liebe“
„Na ja“, sagt Tanjas Gatte und Wirt Jörg Leschinsky und hebt für die beiden ein bisschen den Finger: „Es liegt vielleicht auch an uns.“ Seine Frau nickt verstehend. „Stimmt“, sagt sie, „wir machen das hier mit Lust und Liebe.“ Das ist eine schöne Beschreibung für die eigene Arbeit. Schön deshalb, weil dabei klar wird, dass die Leschinskys hier keine CDs einwerfen, Striche auf Deckel machen, irgendwann Rausschmeißer-Lieder spielen und abkassieren.
Die beiden haben sich in einer Kneipe kennengelernt. Sie kennen die Wirkung eines solchen Ortes. Seine Magie, seine Verlässlichkeit. Sie wissen, dass eine Kneipe ein Ort der Narrative ist, wo es Erzählungen gibt, die Einfluss darauf haben, wie man seine eigene Umwelt wahrnimmt. Und, dass Kneipen Orte sind, an denen man seine eigene Dekoration, sein gesellschaftliches Standing und etwaige Eitelkeiten vor der Tür lässt und einfach als das reinkommt, was man ist. Jutta, Uwe, Manuel, Saskia – ein Mensch, einfach nur ein Mensch.
Es gibt hier keinen Ärger. Keine Prügeleien, keinen Stunk, niemanden, der meint, Frauen in durchzechter Nacht als Beute anzusehen. „Das ist hier bei uns wirklich wichtig“, sagt Tanja Leschinsky. Es gehe um Respekt und die Chance, auch im Rummel eines Abends, seine Ruhe haben zu dürfen. Die Kneipe als Schutzraum sozusagen.
Äußeres Zeichen der Vielfalt: Die Dortmund- und die Schalke-Fahne wehen
Sie ist aber auch ein Ort der Cliquen geworden, auch der Fußball-Cliquen. Das äußere Zeichen des Zusammenhaltes auf einer hölzernen Eckkneipe, wie man sie sich vorstellt: Die Schalke- und die Dortmund-Fahne wehen am Mast. Und dazu kommt diese Lage. Denn wenn wir schon über Anti-Trends schreiben, dann setzt die Lage des Pröhlken Ecks der Außergewöhnlichkeit noch einmal die Krone auf. Sie liegt an der Flensburgstraße, außerhalb der City und des Rummels. Ein Grill gegenüber, eine Bus-Wende links daneben, ansonsten gutbürgerliche Ein- und Zweifamilienhäuser. Wer Wirt werden will und einen Business-Plan hat, kommt niemals auf diese Lage. Und doch funktioniert es.
Vermutlich eben wegen dieser Lage. Aus Boele, Eppenhausen, dem Gerichtsviertel, dem Boloh oder Emst kommen sie her. Wochentags sind die Tische immer belegt, mit Skat- und Würfelrunden. Am Wochenende steht man Hemd an Bluse vor dem Tresen, so gut gefüllt ist es. Eine der bestfrequentierten Zeiten ist das Feierabend-Bier. Ja, das gibt es noch, das Feierabendbier in geselliger Runde.
Jörg Leschinski war in seinem Vor-Pröhlken-Leben Kaufmann. Sein Traum, eine Kneipe zu führen, starb nie. Doch – Wirte werden es nachempfinden – dafür braucht es die Partnerin. Die traf er im zweiten Anlauf. Und weil Tanja Leschinsky schon in der „Alten Feuerwache“ und den „Meisterstuben“ frisch Gezapftes über den Tresen reichte, war da plötzlich auch jemand mit Kneipenerfahrung. „Die Entscheidung unseres Lebens“, nennt Jörg Leschinsky das „Pröhlken Eck“ und sieht sich hier bis zur Rente und gerne auch länger. In der Pandemie haben die Leschinskys spüren dürfen, dass der Zusammenhalt auch über den Tresen schwappte. „Die Hilfsbereitschaft unter den Gästen, aber auch in unsere Richtung war enorm“, sagen beide dankbar. Als nach langer Schließung endlich wieder geöffnet werden durfte, gab es Tränen unter den Gästen. Auch bei den Leschinkys. Ein Zeichen dafür, welche Kraft eine menschelnde Kneipe immer noch auf ihre Besucher ausüben kann.