Hagen. Spült die Juli-Flut auch einen Teil der Hagener Vergangenheit weg? Im Keller des Rathauses werden zurzeit durchnässte Akten gesichert.
Als nach den Starkregenfluten in den frühen Morgenstunden des 15. Julis die Mitglieder des Hagener Krisenstabs alarmiert wurden, ahnte noch niemand das Ausmaß der nächtlichen Hochwasserkatastrophe, die auch Kellerräume der Stadtverwaltung massiv traf. In der jüngeren Stadtgeschichte gibt es in ihren Auswirkungen bislang keine vergleichbare Wasserflut. Bis die Folgen auch in den Aktenschränken der Verwaltung beseitigt sind, dürften Jahre ins Land gehen.
„Angesichts der schlimmen Folgen der Überflutungen im Stadtgebiet und der menschlichen Dramen, die sich abspielten, konzentrierten sich in den ersten Tagen jedoch alle Kräfte des Rathauses zunächst auf die Hilfe und Unterstützung der betroffenen Hagenerinnen und Hagener“, skizziert Dezernent Sebastian Arlt, Krisenstabsleiter, in der Rückschau die Prioritäten. Erst im Anschluss stand die Rettung von Akten und Vorgängen der Stadtverwaltung aus Kellern der Verwaltungsgebäude auf der Tagesordnung des Krisenstabs. „Denn städtische Akten sind der Spiegel jeder Stadtgeschichte. Sie erfassen menschliche Biografien, zahlreichen Aspekte menschlichen Werkens und bürgerlichen Engagements und sind für auch für eine moderne Stadtverwaltung noch unentbehrlich“, betont Arlt. Die Aktenverluste nach dem Hochwasser zeigten sich nach ersten Bestandsaufnahmen vor Ort gar noch größer als zunächst vermutet.
Gründung einer Task Force
Der Fachbereich Kultur und das Stadtarchiv übernahmen in dieser Notlage die Koordination und Organisation. Kurzfristig wurde eine Task Force „Aktenrettung“ aus Mitarbeitern des Stadtarchivs, der Fachbereiche Kultur und Gebäudewirtschaft sowie der betroffenen Fachbereiche gebildet. Unterstützung erhält die Task Force seitdem durch das LWL-Archivamt, das die Maßnahmen durch Rat und Tat begleitet.
Schnell stellte sich heraus, dass besonders die Aktenkeller im Rathaus Hohenlimburg und im Rathaus II am Hauptbahnhof teilweise überflutet waren. „Durch das schwülwarme Wetter nach der Hochwasserkatastrophe bildete sich an den durchnässten und feuchten Akten schnell Schimmel“, beschreibt Historiker Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Archive und Museen, die Problematik. „Die betroffenen Fachbereiche und Abteilungen mussten nun prüfen, welche Akten und Vorgänge vernichtet werden, weil sie nicht mehr zu retten waren, welche Akten wegen ihres Inhalts so wichtig sind, dass sie zum Beispiel durch eine Restaurierung gerettet werden müssen, und welche Akten sich in einem Zustand befinden, der eine weitere Nutzung ermöglicht.“
Während in Hohenlimburg klares Oberflächenwasser vorwiegend durch die Fenster eingedrungen war und jeweils die unterste Regalreihe überflutet hatte, sind die Schäden im Rathaus II schwerwiegender. Hier stand schlammiges Wasser, das durch die Kanalisation hochgedrückt worden war, bis über Kniehöhe. „Insgesamt betroffen waren mehrere Kilometer an städtischen Akten, die überwiegend aufgrund gesetzlicher Fristen und Vorgaben aufbewahrt werden müssen“, macht Blank das stattliche Ausmaß der Hochwasserschäden deutlich: „Erhebliche Teile der Bestände müssen durch Fachunternehmen für Papiertrocknung aufgearbeitet werden, indem sie einzeln foliert, tiefgefroren und zu einem späteren Zeitpunkt vakuumgetrocknet werden.“ Im Einzelfall sei auch bereits eine Schimmelsanierung erforderlich.
Fachunternehmen stark ausgelastet
Aktenverlust historisch nichts Neues
Der Verlust von Akten kam in Hagens Geschichte schon häufiger vor: So verschwand 1584 das Archiv der Grafschaft Limburg, das im Bergfried des Schlosses Hohenlimburg untergebracht war. Truppen des Kölner Erzbischofs hatten es gestohlen.
1811 schlug der Blitz in den mittelalterlichen Schlossturm und zerstörte das dort angelegte Archiv. Hier wurde die berühmte „Schwarze Hand“ gefunden.
Zwei Jahre später rückten russische Kosaken in die Stadt Hagen ein. Um Streu für ihre Pferde zu erhalten, plünderten sie das damalige Stadtarchiv.
Während des ersten schweren Luftangriffs auf Hagen in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943 wurden in städtischen Gebäuden zehntausende Akten vernichte.
Wie lange dieser Vorgang dauert, ist derzeit aufgrund der Auftragsbelastung der verfügbaren Fachunternehmen nicht absehbar. „Unter Umständen kann dieser Prozess bis zu drei Jahren in Anspruch nehmen“, setzt Krisenstabsleiter Arlt auf einen langen Atem. Parallel müssen die Bestände, die nicht unmittelbar im Wasser gestandenen haben, zumindest im Rathaus II komplett umgelagert werden, wobei zu überprüfen ist, ob auch diese Akten nicht mittlerweile so durchfeuchtet sind, dass sie ebenfalls eine maschinelle Trocknung benötigen. Bereits die Entnahme der beschädigten Unterlagen gestaltet sich schwierig, da auch die Rollregalanlagen nicht mehr benutzbar sind und zeitgleich mit dem Ausräumen der Akten demontiert werden müssen. Betroffen sind überwiegend Unterlagen des Baudezernats, der Sozialverwaltung und verschiedener anderer Fachämter.
Das Stadtarchiv hat gemeinsam mit dem Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) und den Fachbereichen Immobilien, Bauverwaltung und Wohnen sowie Gebäudewirtschaft nach Räumlichkeiten gesucht, die für die übergangsweise Unterbringung von Akten und Vorgängen aus konservatorischen Vorgaben geeignet sind. Ein im „Kalten Krieg“ reaktivierter und umgebauter Hochbunker erwies sich dabei als ein auch aus der Sicht des LWL-Archivamts optimale Möglichkeit. Wo dieser steht, bleibt aus Sicherheitsgründen das Geheimnis der Stadt. Sicher ist nur, dass er weit weg vom nächsten Gewässer steht.