Hohenlimburg. Seit dieser Woche werden Walzwerke in Hohenlimburg wieder mit Vormaterial per Schiene beliefert – im Ausnahmebetrieb

Dienstagmorgen, kurz vor 7 Uhr. Tobias Hauschild, Bezirksleiter DB Netz, steht an der Färberstraße auf dem Gleis, das ein paar hundert Meter weiter in das Werk von Bilstein führt. Rund vier Kilometer entfernt, am Güterbahnhof in Halden, fährt gleich der Zug los, der das Walzwerk an diesem Morgen mit Vormaterial versorgen soll. Wegen des defekten Stellwerks in Hohenlimburg sind die Signale außer Betrieb und die die Fahrt muss anders geplant werden.

Am Dienstagmorgen rollte gegen 7 Uhr der erste Güterzug auf das Werksgelände der Firma Bilstein an der Färberstraße.
Am Dienstagmorgen rollte gegen 7 Uhr der erste Güterzug auf das Werksgelände der Firma Bilstein an der Färberstraße. © WP Hagen | Marcel Krombusch

Stellwerk außer Betrieb

Es fehlt das Wissen, ob die Strecke frei und gesichert ist. Unangenehm für die Eisenbahner, wie Hauschild erläutert. „Wir sind keine Straßenbahn. Auf Sicht fahren wir eigentlich nur bei Störungen, aber nicht von vornherein.“ Dennoch einen sicheren Notbetrieb über Wochen zu organisieren, sei außergewöhnlich. Um das Stellwerk zu umgehen, helfen Körperkraft, Handy, Stift und Papier. So läuft ein Bahnmitarbeiter jeden Morgen das Gleis zwischen dem Ortseingang Hohenlimburg und dem Werksgelände ab, um die Strecke zu kontrollieren. Mitarbeiter postieren sich an den Bahnübergängen und ersetzen die Schranken, die derzeit ebenfalls nicht funktionieren. Der Fahrdienstleiter verständigt die Posten über das bahneigene Handynetz, damit sie den Übergang sperren. Der Zugführer bekommt den Befehl, die Fahrt nach Hohenlimburg anzutreten – festgehalten mit Stift und Papier – und setzt den Zug in Bewegung. Die Lok fährt aus Halden los und schiebt die Waggons mit höchstens 30 Kilometern pro Stunde. Bis der Zug am Werk in der Färberstraße eintrifft, brauchen wartende Autofahrer vor der Bahnschranke Geduld. Warum die Übergänge nicht erst sperren, wenn der Zug in Sichtweite ist?

„Im Eisenbahnbetrieb stellen wir vor der Fahrt sicher, dass der Weg frei ist“, sagt Hauschild. Dazu gehört: Gleis frei, Fahrweg gesichert. „Ich sage nicht, ich schicke den Zug mal los und dann wird der Posten schon reagieren, sondern alle Beteiligten werden vor Zulassung der Fahrt verständigt.“

Dazu komme im Notfall ein Bremsweg, der bei den tonnenschweren Zügen nicht zu unterschätzen sei – auch bei 30 Kilometern pro Stunde.

Signale außer Betrieb: Wegen der Flutschäden im Stellwerk von Hohenlimburg funktionieren die technischen Anlagen an den Gleisen zurzeit nicht.
Signale außer Betrieb: Wegen der Flutschäden im Stellwerk von Hohenlimburg funktionieren die technischen Anlagen an den Gleisen zurzeit nicht. © WP Hagen | Marcel Krombusch

Finanzielle Einbußen durch Unwetter

Vorschriften, Regularien, Sicherheitsbestimmungen. Für jede Zugfahrt müssen viele Zahnräder ineinandergreifen. Da wundert es kaum, dass die Bahn einen ähnlich aufwendigen Notbetrieb wie zurzeit für ein paar Züge im Güterverkehr pro Tag nicht auf den gesamten Verkehr mit Personenzügen übertragen kann und will. Dass die Bahn den Aufwand für die Industrie betreibt, liegt auch im Eigeninteresse, die Lieferungen auf der Schiene zu halten – und nicht etwa an die Lkw-Konkurrenz auf der Straße zu verlieren. Grundsätzlich kostet der Stillstand auf der Strecke trotzdem. Mit jedem Personen- und Güterzug, der zurzeit nicht rollen kann, fällt auch Erlös von Bahnunternehmen weg, die im Normalbetrieb für das Befahren der Trassen bezahlen. Zudem werden die Flutschäden noch eine lange Rechnung einfordern: Allein die von der Flut beschädigten Anlagen und Gleise im Hagener Stadtgebiet zu reparieren, werde einen Millionenbetrag kosten.

Dennoch: Derzeit hoffe man, bis zum Herbst die Reparaturen soweit erledigt zu haben, dass die Ruhr-Sieg-Strecke wieder im Normalbetrieb mit Personenzügen befahren werden kann. Bis dahin werden wohl nur Baumaschinen und täglich ein paar Güterzüge über die Gleise im Bezirk rollen. In den kommenden Wochen sollen die Posten an den Bahnübergangen übrigens noch aufgerüstet werden: mit einer mobilen Schrankenanlage. Statt wie aktuell vor Flatterband, warten Autofahrer dann wieder vor einer geschlossenen Schranke. Man wolle die Sicherheit der einzelnen Zugfahrten weiter verbessern, so Hauschild. „Auch im Notbetrieb.“

Wegen des defekten Stellwerks müssen die Übergänge händisch gesperrt werden – wie hier am Werksgelände von Thyssenkrupp in Oege.
Wegen des defekten Stellwerks müssen die Übergänge händisch gesperrt werden – wie hier am Werksgelände von Thyssenkrupp in Oege. © WP Hagen | Marcel Krombusch

Kraftakt im Vorfeld

Dem Notbetrieb vor Ort ging ein Kraftakt voraus. Seit Montag rollen wieder die schweren Güterzüge, die die tonnenschweren Brammen (Stahlblöcke) aus dem Ruhrgebiet zur Mittelbandstraße von ThyssenKrupp in Oege transportieren. Ein kleiner Teil, etwa 5 Prozent, werde weiter mit dem Lkw angeliefert, so Tanja Laven, Sprecherin Thyssenkrupp Hohenlimburg. Damit sei die Versorgung des Werkes mit Vormaterial sichergestellt. „Voraussetzung hierfür ist, dass der Verkehr werktäglich in dieser Menge aufrecht erhalten werden kann.“ Für dreieinhalb Wochen war das Warmwalzwerk nach der Katastrophenflutnacht von der Anlieferung abgeschnitten, weil die Wassermassen die Gleise unterspült hatten (diese Zeitung berichtete). Zudem wurde der Keller im Stellwerk geflutet und damit die Leitungen von den Schienen und Gleisen hin zum Kontrollturm. Die Folge: ein technischer Totalausfall des Stellwerks, der den Zugverkehr in Hohenlimburg zum Erliegen brachte. Durch den dadurch bedingten Versorgungsengpass mit Brammen an der Mittelbandstraße des Warmwalzwerkes von ThyssenKrupp drohte der heimischen Kaltwalzindustrie und somit insbesondere der deutschen Automobilindustrie gewaltige Versorgungsnöte. Denn den heimischen Industriekapitänen war schnell bewusst, dass die Anlieferung bis zu 500 Brammen pro Tag ins Warmwalzwerk nach Oege nicht mit Lastwagen erfolgen konnte, weil pro Lastwagen im Schnitt nur zwei Brammen hätten angeliefert werden können. Und 250 Lkw täglich aus dem Ruhrgebiet nach Oege zu schicken, war schlichtweg unmöglich. Deshalb glühten nach Informationen dieser Zeitung die Telefondrähte bis in Bundeswirtschaftsministerium. Dieses intensive Bemühen bescherte den erhofften Erfolg. Innerhalb von dreieinhalb Wochen gelang es der Deutschen Bahn, zwei Gleisanschlüsse – von Thyssenkrupp Hohenlimburg und Bilstein – in einem Notbetrieb wieder bedienen zu können. In den kommenden Wochen sind jeweils zwei bis drei Fahrten zwischen 6 Uhr und 21 Uhr zu den beiden Werken vorgesehen, so die aktuelle Planung.