Hagen. Die Firmen Varta und Brandt haben Stadtgeschichte geschrieben. Die Historie steht beispielgebend für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess.

Adolph Müller war ein echter Industriepionier, eine Art Bill Gates seiner Zeit. Als er 1887 eine Produktionsstätte für Batterien, die Accumulatorenfabrik Tudorschen Systems (AFA), in Wehringhausen gründete, war keineswegs sicher, ob sich die netzunabhängige Speicherung elektrischer Energie als Gewinn bringender Geschäftszweig durchsetzen würde. Doch wie Microsoft in der Neuzeit zum Software-Giganten aufstieg, entwickelte sich seinerzeit das Unternehmen, ab 1962 unter dem Namen Varta, zum weltbekannten Batteriehersteller.

Gestern: Zwei prägende Unternehmen

Ab 1923 gehörte die Firma AFA zum Besitz des Unternehmers Günter Quandt. Unter ihm wurde das Werk grundlegend modernisiert, schon ab 1926 erfolgte die Einführung von Fließbändern. Mit zeitweise 6000 Mitarbeitern war die Firma einer der bedeutendsten Arbeitgeber in Hagen. Allerdings war die Herstellung der Batterien mit Gesundheitsrisiken verbunden, mussten die Beschäftigten doch mit Blei, Cadmium oder Schwefelsäure hantieren. Schon Firmengründer Müller engagierte daher einen Betriebsarzt, der den Arbeitern vorsorglich Milch (!) zu trinken gab und dafür sorgte, dass eine Wäscherei und sanitäre Anlagen eingerichtet wurden.

Bei der Firma Brandt begann alles mit einem Pferdefuhrwerk und eisernem Willen: 1912 gründete der Bäcker- und Konditormeister Carl Brandt die Märkische Zwieback- und Keksfabrik. Schon 1929 wurde die Zwieback-Herstellung mechanisiert, und im selben Jahr wurde auch ein „Brandt-Kind“ mit dem gewinnenden Lächeln zum unverwechselbaren Markenzeichen des Unternehmens.

Heute: Produktion stillgelegt

Heute ist hauptsächlich die Weiternutzung der Varta-Fläche bestimmendes Thema.
Heute ist hauptsächlich die Weiternutzung der Varta-Fläche bestimmendes Thema. © Westfalenpost Hagen

Die traditionsreiche Batterieproduktion in Hagen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgreift (einst Accu und Varta), gibt es nicht mehr. Die Enersys-Konzernzentrale in den USA hat die Herstellung am Standort Wehringhausen zum 30. Juni 2021 eingestellt. 200 Arbeitsplätze in der Produktion bei Hawker, wie die einstige Firma Varta heute heißt, fielen weg. Lediglich ein kleinerer Montagebereich ist erhalten geblieben. Der amerikanische Mutterkonzern in Pennsylvania, der sich als führender Anbieter von Energiespeicherlösungen für die Industrie versteht, verspricht sich von der Schließung des traditionsreichen Produktionsstandortes ca. 17. Millionen Euro Kostenersparnis.

Die 180 Kollegen im Bereich der Administration, im Service, Vertrieb, Controlling, IT, Sicherheitsdienst und in der Verwaltung, deren Außendienstkräfte zum Teil weltweit unterwegs sind, werden in Hagen weiterbeschäftigt.

Die Firma Brandt versteht sich trotz des hohen Bekanntheitsgrades als mittelständisch geführtes Familienunternehmen und nicht als Konzern. Für viel Kritik sorgte 2002/2003 die Stilllegung des Hasper Werkes und die gleichzeitige Verlagerung der Produktion ins thüringische Ohrdruf. Rund 500 Menschen in Hagen verloren ihren Job.

In Haspe blieb nur die Verwaltung zurück, die im September 2019 wieder an ihren alten Standort an der Enneper Straße in Westerbauer zurückkehrte. Geleitet wird das Unternehmen seit vier Jahren von den Brüdern Carl-Heinz und Christoph Brandt und produziert heute Zwieback, Schokolade und Knäcke an den vier deutschen Standorten Ohrdruf, Landshut, Rhede und Burg.

Morgen: Hin zum Dienstleistungsgewerbe

Hier zu sehen: Die denkmalgeschützte Fassade mit den Produktionsbrücken.
Hier zu sehen: Die denkmalgeschützte Fassade mit den Produktionsbrücken. © WP | Michael Kleinrensing

Die Historie der Firmen Hawker und Brandt kann beispielgebend für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess in Hagen herangezogen werden. Wie diese beiden Unternehmen, die ihre Produktion in andere Regionen verlegt haben und nur noch mit ihrer Verwaltung in Hagen geblieben sind, so verschiebt sich der wirtschaftliche Schwerpunkt der Stadt mehr und mehr auf das Dienstleistungsgewerbe.

Dazu passt die Zielsetzung im Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) für das Jahr 2035. Darin heißt es, die gewerblich-industrielle Produktion müsse als Kern und Basis der Hagener Wirtschaftskraft gesichert werden. Es gelte jedoch, kleinteilige, nicht-störende Produktion und Dienstleistungen nach Hagen zu holen, etwa Agenturen, Büros, Werkstätten und Start-Ups.

Dass die Ewald Dörken AG vor acht Jahren in Vorhalle eine Fabrik für Spinnvliesfertigung neugebaut hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Dienstleistungssektor in Hagen letztlich doch eine immer größer werdende Rolle einnimmt