Hagen. Das Hagener Volmetal bietet ein Bild der Verwüstung. Soldaten mit Panzern und Räumfahrzeugen helfen den Einwohnern nach der Jahrhundertflut.
Die Rettung kam in der Dämmerung. Bis zum Freitagmorgen waren Jürina Bien und ihr Mann in ihrem Haus am Rumscheider Weg in Dahl eingeschlossen. Die Sintflut hatte den Weg zerstört, den halben Garten mitgerissen und um ein Haar das Haus zerschlagen. „Es war wie ein tosendes Meer“, berichtet die geschockte Frau: „Ich bin einfach froh, dass das Wasser unser Haus verschont hat.“
Tagelang war sie isoliert wie auf einer Insel, ehe Soldaten der Bundeswehr in aller Herrgottsfrühe am Freitag den Rumscheider Weg von Schlamm und Geröll befreiten. Noch immer brodelt und schäumt der Kirchsieper Bach am Haus vorbei, doch die Gefahr ist gebannt. Nur Trinkwasser gebe es keines mehr, berichtet Jürina Bien: „Das organisiert mein Mann jetzt in der Nachbarschaft.“
Soldaten bestimmen die Szenerie
Es sind Geschichten wie diese, die viele Menschen im Volmetal zu erzählen haben. Die Sintflut hat kein Menschenleben gefordert, aber die psychischen Folgen und materiellen Schäden sind enorm. Am Straßenrand und manchmal mitten auf der Fahrbahn stehen mit Schlamm überzogene Autos, Pflanzenreste ragen aus dem Kühlergrill und den Fahrzeugritzen.
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Das Volmeufer ist an vielen Stellen abgesackt, die Leitplanken sind verzogen, vor den Häusern und kleinen Betrieben entlang der B 54 reinigen Menschen ihr Hab und Gut, schaufeln Schlamm beiseite, schleppen Mobiliar aus den verwüsteten Wohnungen.
Unterstützt werden sie von 250 Soldaten der Bundeswehr, die in ihren Kampfanzügen die Szenerie bestimmen. Vor dem Edeka-Laden am Obergraben haben die Infanteristen ihren Gefechtsstand eingerichtet, mitten im Katastrophengebiet. Es ist Major André Burdich, der ausspricht, was der Reporter sonst nicht geschrieben hätte: „Ich habe schon viel gesehen, aber so etwas noch nie. Das ist wie nach einem Bombenangriff.“
Sortiment wird als Billigware verkauft
Etwas abseits sitzt, wie gebrochen, Denny Preller, der Betreiber des Lebensmittelgeschäftes: „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Vor zwei Jahren war der Laden nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Geldautomaten ausgebrannt, erst vor drei Wochen hatte Preller den Wiederaufbau mit neuer Wursttheke und Kühlregal vollendet.
Fotostrecke- Nach der Flut – Hagen räumt auf
Dann schwappte die Sintflut ins Gebäude: „Diesmal ist alles noch viel schlimmer.“ Das gesamte Sortiment muss als Havarieware zu einem Billigpreis abverkauft werden, die Statik des Gebäudes ist bedroht, die Investitionen sind ins Leere gelaufen: „Keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt Preller.
Autos, Lastwagen und Panzer kommen nur schleppend voran, einige Straßen sind nach wie vor für den normalen Verkehr gesperrt. Mit einem Bergepanzer haben die Soldaten einen Überseecontainer aus der Volme gefischt. Der Pegel ist gegenüber dem Scheitelpunkt der Flut um rund 3,50 Meter gesunken, doch die braune Brühe hat überall Markierungen zurückgelassen.
Nach wie vor gurgelt und rauscht es
Das Wasser aber gurgelt und rauscht weiter von den Hängen ins Tal, wenn auch nicht mehr mit urwüchsiger Gewalt. Doch nach wie vor fließt es über Straßen und Bürgersteige, rinnt aus behelfsmäßig verlegten Rohren.
Bei Ignazio Tolli (54) stand die Volme zwei Meter hoch im Haus. Am Mittwoch stand er mit seiner Frau im Treppenhaus und beobachtete, wie das Wasser stieg und stieg. Am Fenster hängt noch die italienische Flagge, mit der er den Sieg seines Landes bei der Fußball-EM gefeiert hat. Er habe eine Gebäudeversicherung, aber Elementarschäden seien nicht eingeschlossen, sagt Tolli: „Die Heizung ist ausgefallen, die Waschmaschine können wir wegschmeißen.“
Er kann noch gar nicht überblicken, welche materielle Lawine da auf ihn zurollt, denn auch die Pizzeria Il Faro in Eilpe, die ihm gehört, ist überflutet worden. Es sind solche Schicksale, die viele Menschen im Volmetal zu erzählen haben.