Hagen. An einem Hagener Gymnasium gibt es exotische Wandbilder aus kolonialen Tagen. Sie fließen jetzt in ein Projekt der Fernuniversität ein.
Exotisches liegt in der Ferne – könnte man meinen. Doch sind Kolonialismus und Stadtgeschichte häufig eng miteinander verschränkt, so auch in Hagen.
Im Christian-Rohlfs-Gymnasium (CRG) befinden sich an der Wand des Fachraums für Geschichte Bilder mit kolonialen Motiven – Bilder, die in der ehemaligen Heubing-Schule, deren Gebäude vom CRG 2013 übernommen wurde, die Klassenzimmer schmückten. Sie zeigen deutsche Architektur in der Lüderitzbucht/Namibia. Oder deutsche Kriegsschiffe vor den Karolinen, einem Inselgebiet in der Südsee. Die Bilder sind idealisierend, sie transportieren europäische Vorstellungen von Kultur oder Architektur in ferne Winkel der Erde. Sie illustrieren, wie sich die Menschen in Hagen früher das Leben in den Kolonien vorgestellt haben.
Geschichtslehrer nutzt Wandbilder im Unterricht
Heute nutzt Geschichtslehrer Ingmar Vogel die Wandbilder dazu, seine Schüler in der Oberstufe kritisch mit der kolonialen Hagener Vergangenheit vertraut zu machen. Im Jahrgang Q1 stehe Kolonialismus auf dem Lehrplan, so Vogel: „Die Bilder sind ein guter Einstieg um sich mit dem Kolonialismus auseinanderzusetzen und zu zeigen, wie Geschichte früher wahrgenommen wurde.“
Denn der Kolonialismus, auch wenn man ihn kaum mehr mit Hagen in Verbindung bringt, hat nicht nur Wandbilder hinterlassen. Menschen aus dieser Stadt haben im Jahrhundert von 1850 bis 1960 koloniale Zeitgeschichte erlebt, wenn nicht geschrieben.
Anders als heute war Hagen im 19. Jahrhundert keine Einwanderungs-, sondern eine Auswanderungsstadt. „Die große Not, die in Deutschland herrschte, trieb überall Menschen dazu, nach Übersee zu gehen“, so Dr. Fabian Fechner und Barbara Schneider, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt an der Hagener Fernuniversität: „Der Kolonialismus war allgegenwärtig im Leben der Bevölkerung. Er war weder ein exotisches Phänomen noch eine Randnotiz.“
Koloniale Traditionen und Vorurteile in Hagen
Nachdem sich die beiden Historiker mit ihren Studenten vor zwei Jahren erstmals für ein Buchprojekt mit der kolonialen Vergangenheit Hagens beschäftigten, ist zum 275-jährigen Jubiläum der Stadt nun das Heft „Fernes Hagen“ erschienen, in dem sich ein Kapitel eben jenen Wandbildern aus der alten Heubing-Schule und ihren wirkmächtig exotisierenden und kolonialen Traditionen und Vorurteilen widmet.
Digitale Veranstaltung der Fernuniversität
Die gedruckte Publikation ist kostenfrei erhältlich. Bei Interesse bitte unter Angabe der Adresse melden unter: hagen.postkolonial@outlook.de.Zum Thema „Fernes Hagen. Kolonialismus und wir“ bieten die Universitätsbibliothek und der Lehrstuhl „Geschichte Europas in der Welt“ eine digitale Veranstaltung an. Sie findet statt im Rahmen des 275. Hagener Stadtjubiläums via ZOOM am 10. Juni von 16 bis 17.30 Uhr.Anmeldung unter veranstaltungen.ub@fernuni-hagen.de.
Ein anderes befasst sich mit dem Fabrikantensohn und Kulturmäzen Karl-Ernst Osthaus, der einen Vortrag vor der Deutschen Kolonialgesellschaft hielt, einem von mehreren kolonialen Vereinen, in denen hunderte, wenn nicht mehrere tausend Hagener Mitglied waren. Osthaus konnte beim Sammeln von Exponaten aus aller Welt auf Beziehungen aus seinem Bekanntenkreis zurückgreifen. So ließ er sich Holzskulpturen aus Deutsch-Neuguinea, das seit 1899 deutsche Kolonie war, von dem Hagener Franz Wiesner, der dort als Polizeimeister Dienst tat, schicken.
Als Entwicklungshelfer in Tansania
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In der Epoche des Kolonialismus war Hagen eben überraschend eng mit der übrigen Welt verbunden. Alfred Kunigk wirkte mit seiner Frau als Entwicklungshelfer und Missionar in Tansania und brachte kulturelle Hervorbringungen der Eingeborenen wie Tanzschellen oder einen Zeremonialstab als Geschenke mit in die Heimat.
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Sie alle waren Hagener.