Hagen. Rund um die Stadt erblüht das pralle Leben, nur in Hagen müssen sich viele Anbieter weiter in Corona-Geduld üben. Ein kurzes Stimmungsbild.

Der Corona-Tourismus wird an diesem Wochenende aufblühen. Hagener, die um die Seen im Norden spazieren und auf Herdecker Gebiet einen Kaffee auf der Sonnenterrasse schlürfen, Hagener, die am Kletterpark in Wetter in die Baumwipfel klettern, Hagener, die bei einem Elektrogroßhändler in Ennepetal einkaufen. Weil in Hagen die Corona-Inzidenz mit 99,1 aber noch weit von der 50er-Grenze entfernt ist, gucken Gastronomen, Händler, Kulturschaffende und Betreiber von Freizeiteinrichtungen und Fitnessstudios in die Röhre. Ein Stimmungsbild.

Gastronomie

„Ganz ehrlich – das ist eine schöne Scheiße“, sagt Annette Reinecke vom Ausflugslokal Hinnenwiese. Denn während mitten im Hagener Stadtwald fernab jeglicher Hotspots gar nichts geht, öffnen nur wenige Kilometer weiter (beispielsweise an der Glörtalsperre) bei Sonnenschein die Biergärten. „Seit Ende Oktober haben wir komplett geschlossen. In unserer Lage funktioniert auch kein Lieferservice.“ Immerhin: Annette Reinecke nutzt die Zeit, um komplett zu renovieren – drinnen, draußen, in der Küche. „Wir sehnen den Tag herbei, an dem wir wieder Gäste empfangen können.“ Wann das sein wird – völlig offen.

Einzelhandel

Der Dauerfrust des bisherigen Einzelhandelsjahres hat bescheiden gemacht: „Dieser Samstag ist jetzt endlich mal ein Highlight“, freut sich Björn Garthe, Inhaber des gleichnamigen Expert-Elektro-Fachgeschäfts in der Kampstraße, dass es an diesem Wochenende in Hagen ganz sanft wieder losgeht. Es gilt das Gesetz von Click & Meet sowie den drei Gs: Getestet, geimpft oder genesen kann jeder Angemeldete – maskiert und auf Abstand – wieder den Laden betreten. Natürlich darf auch schamvoll an der Tür geklopft werden. Dabei hat der Kaufmann in den vergangenen Tagen durchaus neidisch die TV-Bilder aus der Nachbarstadt Dortmund verfolgt, wo die Leute längst wieder in Straßencafés sitzen, oder den Erzählungen einer Wittener Mitarbeiterin gelauscht, die von 30er-Inzidenzwerten und nahezu normalen Einkaufserlebnissen berichtete. „Vielleicht sind wir ja, wenn wir unter der 100er-Inzidenz bleiben, auch in Hagen Ende nächster Woche soweit, dass wir ohne Voranmeldung wieder Interessenten einlassen und beraten können. Zuletzt haben sich Kunden bei mir gemeldet“, so berichtet Garthe weiter, „die haben sich vor zwei Wochen bei einem Einkaufsbummel in Münster bereits ausführlich zu einem Elektrogerät informiert.“ Jetzt hofft er, dass sie auch noch die Geduld mitbringen, ihr Geld in Hagen und nicht in der Nachbarschaft auszugeben.

Kultur

Robert-Koch-Zahlen geben den Rhythmus vor

Ob Hagen zeitnah ebenfalls wie die Nachbarkommunen auf weitere Öffnungsschritte hoffen darf, werden erst die nächsten Tage zeigen.

Maßgeblich ist der Inzidenzwert des Robert-Koch-Instituts (RKI), der gestern bei 99,1 lag, während die Stadt selbst aufgrund nachträglicher, aktueller Infektionsmeldungen einen Wert von 99,6 auswies.

Sollte Hagen in den nächsten Tagen noch einmal über die 100er-Schwelle rutschen, zögert sich der Restart für Handel, Gastronomie sowie Freizeit- und Fitnessbranche noch weiter heraus.

„Für Juni haben wir keine konkreten Pläne für Live-Konzerte geschmiedet, wir bleiben vorerst bei unseren Streaming-Angeboten“ sagt Jürgen Breuer. Der Geschäftsführer des Kulturzentrums Pelmke überlegt allerdings, den für August im Freien geplanten Poetry Slam vorzuziehen, „wenn der Inzidenzwert mitspielt“. Am 2. Juli startet die Pelmke mit ihrer Open-Air-Filmreihe „Kino unter freiem Himmel“, „unsere Kneipe bleibt vorerst noch geschlossen, aber am 4. Juni wollen wir unseren Biergarten öffnen“. Einen Kultur-Tourismus befürchtet Breuer nicht, „wir haben ein treues Stammpublikum, viele der Gäste kommen zu Fuß und aus Wehringhausen und werden wohl kaum in Nachbarstädte fahren, um eine Veranstaltung zu besuchen“.

Fitnessstudios

Auch die Fitnessstudios in Hagen bleiben geschlossen, während es in den Nachbarkommunen wieder möglich ist, den Körper auf Trab zu bringen oder das Immunsystem mit sportlichen Übungen zu stärken. „Diese Situation trifft uns sehr hart, es tut echt weh“, sagt Dirk Fastbinder, Inhaber von Bechelte Sports & Med, der sich wahnsinnig darüber ärgert, dass es in Hagen nicht wie andernorts gelingt, die Inzidenz zu senken: „Und ein Grund ist offenbar, dass sich die Leute in einigen Stadtteile überhaupt nicht um Corona kümmern.“ Dass die Bechelte, die im Lockdown keine Gelder von ihren Mitgliedern einzieht, mit ihrem familiären Charakter viele Kunden ins Umland verliere, glaube er zwar nicht, so Fastbinder: „Aber das Neukundengeschäft fällt weiterhin total weg.“ Hagen brauche endlich eine Perspektive: „Wir müssen lernen mit Corona umzugehen.“

So sieht es auch Thorsten Kielmann, Chef des Injoy in Hohenlimburg: „Hagen kommt mir wie eine Blase vor, in der alles geschlossen bleiben muss.“ Er habe das Gefühl, dass das nicht zuletzt daran liege, dass die Stadt Hagen strenger kontrolliere als umliegende Kommunen. Zudem könne er nicht verstehen, so Kielmann, dass Fitnessstudios in NRW erst ab einer Inzidenz unter 50 öffnen dürften, während der Schwellenwert in den meisten Bundesländern bei 100 liege: „Und überhaupt: Es wäre extrem wichtig für die Menschen, ihr Immunsystem endlich trainieren zu können.“

Indoorsport und -soccer

Eine noch gar nicht kurzfristige Öffnungsperspektive hat Harry Sonnenberg, Chef der „Lennearena“, wo man auf 4000 Quadratmeter, Beachvolleyball- und Soccer spielen kann. Denn: Für eine Öffnung seiner Halle wäre ein Inzidenzwert von unter 50 maßgeblich. „Ich gehe davon aus, dass wir mindestens noch vier Wochen geschlossen haben werden angesichts des Inzidenzwertes. Deswegen beschäftige ich mich auch noch nicht damit, was in Städten um uns herum passiert“, sagt Lennearena-Betreiber Harry Sonnenberg.