Hagen. Hagener Ärztin sieht höhere Infektionsgefahr in Problemvierteln: „Hausärzte werden jetzt mehr gebraucht denn je, um Aufklärungsarbeit zu leisten“
Dass es eine Herausforderung sei, Menschen mit Migrationshintergrund für eine Impfung zu gewinnen, hatte erst kürzlich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betont. Darum weiß man auch in Hagen bei der Stadt und im Impfzentrum (siehe Zweittext). „Obwohl das Problem weniger die Gewinnung der Impflinge ist“, will Ärztin Dr. Duaa Aresmouk, Ärztliche Leitung im Medizinischen Versorgungszentrum „Nephrocare“, betonen. Vielmehr könnten diese Menschen durch die Impfkampagne schlechter erreicht werden. „Das liegt zum einen an der Art, wie Nachrichten konsumiert werden. Auf der anderen Seite gibt es viele Hürden – wie Sprachbarrieren und Verständnisprobleme.“
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Allein an der Terminbuchung würden viele Patienten mit Migrationshintergrund verzweifeln. Unter anderem deshalb hatte die Stadt zuletzt ein mobiles Team nach Altenhagen und Wehringhausen geschickt, um dort direkt „im Brennpunkt“ zu impfen. Die Aktion hatte vorab für Diskussionen gesorgt. „Aber ich halte das für genau den richtigen Weg und finde es absolut großartig, dass wir hier Vorreiter sind“, betont Duaa Aresmouk, die mit dem Praxis-Team auch in der Praxis impft. Wie heute Patientin Llack Huda. 40 Jahre alt. „Die Coronazeit ist schlimm für unsere Familie. Unsere Kinder sind nicht in der Kita, zu Hause fällt die Decke auf den Kopf“, erklärt Llack Huda, warum sie sich für eine Impfung entschieden hat. Sie wird von Duaa Aresmouk beraten – teils auf Deutsch, bei expliziteren Nachfragen auch auf Arabisch.
Verständnis für Lebenssituationen
„Wir leben privilegiert, das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Dennoch gibt es vielleicht Viertel, in denen die Wohnsituation eine andere ist. In der man sich leichter anstecken kann, weil man auf beengterem Raum zusammenlebt. In Vierteln, in denen viele der Menschen keine Autos haben, auf den ÖPNV angewiesen sind oder in einem Job arbeiten, in dem kein Homeoffice möglich ist“, will die Fachärztin für Innere Medizin, Nephrologie und Hypertensiologie um Verständnis werben, warum gerade hier Infektionsrisiken größer sind.
„Deswegen halte ich es für immens wichtig, aktiv auf die Menschen zuzugehen. Da sind auch die Hausärzte gefragt, Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie kennen ihre Patienten und haben einen Vertrauensvorschuss. Die Impfung in den Praxen ist für die Impflinge – vom Ablauf her – etwas unkomplizierter“, betont Duaa Aresmouk und verweist auf das Beispiel von Llack Huda, die genau aus diesem Grund auch ins MVZ gekommen ist. Trotzdem will sie die Arbeit des Impfzentrums loben: „Was da geleistet wird: Hut ab.“
Im MVZ selbst wird ebenfalls geimpft: „Wir hatten uns eigentlich schon im Dezember um schnelle Impftermine bemüht, denn wir haben grundsätzlich ein sehr krankes Patientenklientel“, betont die Ärztin, dass viele eine Transplantation hinter sich haben oder an einer Niereninsuffizienz leiden.
Impfkapazitäten ausweiten
„Gerade in den ersten Monaten mussten wir schockiert und traurig beobachten, dass sich viele Patienten angesteckt haben, ins Krankenhaus kamen und es nicht überlebt haben. Die Sterberate war mit etwa 40 Prozent dramatisch hoch.“
Direkt im Februar seien viele der Patienten dann geimpft worden – Stand heute: 90 Prozent der Dialyse- und Transplantationspatienten sowie etwa 70 Prozent der MVZ-Mitarbeiter sind durchgeimpft. „Seitdem beobachten wir – zum Glück – eine Sterberate, die gegen Null geht. Obwohl es auch nach der ersten Impfung noch zu Infektionen gekommen ist“, so Aresmouk.
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Rund 50 Impfungen in der Woche werden bei Nephrocare durchgeführt, sagt Diplom-Pflegewirt Jürgen Link, der mit der Ärztin die Hagener Gesellschaft Nephrocare GmbH betreibt. „Wir haben uns schon früh an den mobilen Impfungen in Seniorenheimen beteiligt. Daher sind wir gut vorbereitet gewesen. Wir wollen die Impfzeiten bei uns jetzt sogar noch ausweiten.“
Die Ärztin will das als Anlass für einen Appell nutzen: „Wenn man nicht selbst gesehen hat, wie Menschen kämpfen, wie Menschen sterben und wie viel besser die Krankheitsverläufe nach bereits nur einer Impfung sind, dann neigt man manchmal dazu, die Wichtigkeit dieser Sache zu vergessen. Es ist jetzt jeder Bürger gefragt, solidarisch zu sein, um der Gesellschaft wieder die Chance auf ein normales Leben zurückzugeben.“
Hintergrund: Start für stadtweite Impfaktion
Mit großer Nachfrage wurde am Donnerstag das zweite mobile Impfangebot der Stadt auf dem Friedensplatz in Altenhagen angenommen. Insgesamt 366 Dosen des Johnson & Johnson-Impfstoffs wurden von 13 bis 21 Uhr an Obdachlose sowie Bürgerinnen und Bürger in prekären Wohnverhältnissen verimpft.
Am Tag zuvor hatte es eine Aktion in Wehringhausen gegeben - hier wurden 160 Impfungen durchgeführt. „Durch das gezielte Aufsuchen der Stadtteile, die besonders hohe Inzidenzen aufweisen, erreicht die Stadt mit dem Impfangebot auch Bürger, die sich über die üblichen Kommunikationskanäle nur schlecht informieren lassen.
Die beiden Sonderimpfaktionen mit eigens durch das Land NRW zur Verfügung gestelltem Impfstoff wurden durch das große Engagement zahlreicher Beteiligten von Luthers Waschsalon, des DRKs, des Gesundheitsamtes, des Impfzentrums, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, des Ordnungsamtes und der Polizei sowie des Kommunalen Integrationszentrums und des städtischen Quartiersmanagement ermöglicht“, so die Stadt.
„Die beiden Veranstaltungen bilden den Auftakt zu einer stadtweiten Impfaktion in den Stadtteilen. Voraussetzung ist die ausreichende Verfügbarkeit von Impfstoff.“ Wann genau und vor allem wo eine nächste Aktion stattfinden soll, steht noch nicht fest, bestätigt Stadt-Sprecherin Clara Treude.