Hagen. René Röspel wird im Herbst nach 23 Jahren aus dem Bundestag ausscheiden. Das sagt er zum Abschied und der Zukunft der Politik in unserem Land.

Es sind nur noch fünf Monate, dann wird René Röspel (56) nach 23 Jahren aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Seit 1998 hat der SPD-Politiker Hagen dort vertreten und bei sechs Wahlen stets mit beträchtlichem Vorsprung das Direktmandat gewonnen. Doch im Dezember unterlag er bei der Aufstellung des Direktmandates seinem Parteikontrahenten Timo Schisanowski in einer Kampfabstimmung mit 26 zu 27.

Denken Sie schon manchmal an das Ende Ihrer Tätigkeit in Berlin?

Natürlich, seitdem ich mit der Entscheidung der Delegierten konfrontiert bin, bin ich dabei, meinen Abschied zu organisieren. Den habe ich mir allerdings ganz anders vorgestellt – sowohl was meine Nichtnominierung angeht als auch die Pandemie, die es mir zum Beispielverwehrt, in meinen letzten Monaten noch Besuchergruppen oder Schüler in den Reichstag einzuladen. Auch diese Diskussionen mit Besuchern werden mir in Zukunft einfach fehlen.

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Es sieht insgesamt nicht gut aus für die SPD. Was glauben Sie, wie Ihre Partei abschneiden wird?

Auch wenn die Umfragen schlecht sind, denke ich, dass das Rennen offen ist. Klar, ich bin nicht objektiv. Aber wenn ich zum Beispiel den Hype betrachte, der zurzeit um Annelena Baerbock entfacht wird, dann erinnert mich das sehr an die Euphorie, die unseren Spitzenkandidaten Martin Schulz 2017 zunächst umgab, ehe die SPD sich selbst zerlegt hat. Genau das passiert diesmal mit der CDU, unfassbar. Die Grünen aber haben überall dort Erfolg, wo sie nicht anecken. Winfried Kretschmann regiert in Baden-Württemberg, weil er konservativ ist und keine grüne Politik macht. Sollten die Grünen wirklich in die Bundesregierung kommen, dann wird die grüne Kernklientel etwas ganz anderes erwarten.

Ihr Vetter Wolfgang Röspel hat für die CDU die Kommunalpolitik in Hagen über viele Jahre mitgestaltet. Da haben Sie ja beide zurzeit nicht viel zu lachen, oder?

Wir haben zurzeit wenig Kontakt, weil wir uns meistens bei Spielen von Phoenix Hagen gesehen haben. Aber klar: Es ist nicht angekommen oder wir haben es nicht ordentlich rübergebracht, dass die Große Koalition sehr erfolgreich gearbeitet hat. Gerade sozialdemokratische Anliegen haben wir durchgebracht: die Grundrente, die Abschaffung des Solis für Normalverdiener, Unterstützung für Kitas, Digitalpakt Schule, die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Ich bin natürlich ziemlich enttäuscht, dass sich das nicht in den aktuellen Umfragen widerspiegelt.

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Corona überlagert alle anderen Themen.

Ja, und die Sorgen und Existenznöte der Menschen kriegen wir im Bundestag „hautnah“ mit. Wenn ich aber sehe, welche Reaktionen wir nach der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes erhalten haben, dann mache ich mir Sorgen um den Zustand unserer Gesellschaft. Da werden Vergleiche zum Ermächtigungsgesetz aus der Nazizeit gezogen oder es wird behauptet, Corona gebe es überhaupt nicht. Wie aufgeklärt ist die Menschheit eigentlich? Wir driften in amerikanische Verhältnisse ab, das hätte ich so vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten, mit Argumenten dringt man manchmal nicht mehr durch. Glücklicherweise verhalten sich die meisten Menschen sehr vernünftig und rücksichtsvoll.

Braucht unser Land die SPD in Zukunft überhaupt noch? Für die sozial Schwachen gibt es doch die Linken und die modernere Linkspartei sind eh die Grünen.

Ich war 2018 in Bottrop, als mit Prosper Haniel die letzte Steinkohlenzeche geschlossen wurde. Das war sehr emotional. Ein Jahrhundert lang haben die Kumpel im Ruhrgebiet gewusst, dass sie zusammenhalten müssen, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen. Und dass sie dazu auch Gewerkschaft und SPD brauchen. Dieser Zusammenhalt ist weg, das stimmt. Die Arbeiterkinder, die dank unserer Politik studieren konnten und wohlhabend geworden sind, können mit der SPD vielleicht nicht mehr viel anfangen.

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Also?

Ich bin überzeugt, dass man uns mehr denn je braucht. Den Spagat zwischen Klimaschutz und dem Erhalt der industriellen Arbeitsplätze in Deutschland, den kriegen nur wir hin. Wir sind verwurzelter als die anderen, die entweder zu radikal sind oder sowieso nur unerfüllbare Forderungen stellen. Mit Olaf Scholz haben wir einen Kandidaten, der viele Erfolge als Regierungschef in Hamburg und als Arbeits- und Finanzminister aufzuweisen hat und in der Krise entschlossen handelt.

Die SPD hatte große, unvergessliche Vorsitzende wie Brandt oder Schmidt. Und jetzt das Duo Esken/Walter-Borjans. Lässt sich der Niedergang Ihrer Partei nicht auch personell festmachen?

Ach, Willy Brandt ist ein Symbol, das nie erreicht werden kann. Und Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind kein staatsmännisches Format, das stimmt. Aber das wollen sie auch gar nicht sein, sie drängen ja nicht nach einem Regierungsamt. Bei ihrer Wahl habe ich eine tiefe Sehnsucht in der Partei gespürt, endlich jemanden an der Spitze zu haben, der die SPD in den Blick nimmt und nicht im Merkel-Kabinett sitzt. Und das machen die beiden ordentlich.

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Hängen Sie der Abstimmungsniederlage gegen Timo Schisanowski immer noch nach?

Ich will es mal diplomatisch sagen: Das habe ich zu akzeptieren. Ich habe niemals meinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt, wie das behauptet wurde. Es tut mir natürlich auch gut, dass ich bislang viel Unverständnis, Solidarität und Ratlosigkeit erlebt habe – in der Bevölkerung wie auch bei vielen Kollegen im Bundestag. Aber es ist jetzt, wie es ist.

Trauen Sie Schisanowski zu, das Direktmandat zu holen?

Die Voraussetzungen sind da. Auch wenn ich mit den Erststimmen immer weit vor meiner Partei gelegen habe, bin ich in jede Wahl wie früher in ein Handballspiel gegangen: Es steht 0:0, und nach 60 Minuten wird man sehen.Hagen- Medien-Manager Nienhaus will für die CDU nach Berlin

Sind Ihre Kinder denn wenigstens in eine andere Partei eingetreten und was machen Sie nach ihrem Abschied aus Berlin?

(lacht) Da muss ich Sie enttäuschen, meine Tochter und mein jüngster Sohn sind bei den Jusos. Aber alle meine Kinder lernen einen „anständigen“ Beruf ohne Blick auf eine politische Karriere. Ich werde meine kleine Wohnung im Regierungsviertel für ein paar Monate behalten, bis ich meine Aktenberge verteilt habe. Zudem will meine Tochter in der Hauptstadt studieren, und wenn sie keine WG findet, kann sie erstmal dort einziehen. Und ich selbst? Ich werde endlich mal ausschlafen, unser Haus von meinen unzähligen überall verstreuten Papierstapeln befreien und endlich mal den Robert-Kolb-Weg von Hagen zum Kahlen Asten wandern. Ohne Handy!