Hagen. Die aktuelle deutsche Klimapolitik, die die Treibhausgasneutralität zum Ziel erklärt hat, belastet die Hagener Betriebe erheblich bei den Kosten.

Dass das Thema komplex ist, soll nicht vom Lesen dieses Artikels abschrecken, sondern deutlich machen, in welch anspruchsvoller Lage sich die Hagener Wirtschaftsunternehmen befinden – ausnahmsweise mal nicht wegen Corona, sondern wegen des CO2-Preises, der seit Jahresbeginn erhoben wird. Deutschland soll bis 2050 treibhausgasneutral werden. Ein löbliches Ziel, dass die heimische Industrie aber vor Mammutaufgaben stellt.

Optimierung der Produktion

Auch Thyssenkrupp in Hohenlimburg spürt den Transformationsdruck durch die CO2-Bepreisung. „Generell ist es so, dass hinsichtlich der CO2-Emissionen von Thyssenkrupp Steel der allergrößte Anteil am Standort Duisburg im Rahmen der Roheisenproduktion in den Hochöfen anfällt. Weitere, im Vergleich geringe Mengen entstehen entlang der Prozesskette, so auch in Hohenlimburg. Dort, wie an anderen Standorten auch, sind wir bestrebt, diese verbleibenden Emissionen durch Optimierungen unserer Produktions- und Logistikprozesse weiter zu senken“, sagt Sprecherin Tanja Laven.

Am Standort Hohenlimburg konnte durch interne Energieeffizienzprojekte und –programme im Rahmen des Energiemanagementsystems der CO2-Ausstoß zuletzt stetig verringert worden. „Eine signifikante Reduktion des CO2-Ausstoßes in den Jahren 2019 und 2020 ist jedoch hauptsächlich auf den konjunkturellen Einbruch zurückzuführen. Der coronabedingte Produktionsrückgang führte auch zu einem deutlichen Rückgang des CO2-Ausstoßes“, so Laven. Brennstoffe, die bereits in EU-emissionshandelspflichtigen Anlagen wie dem Warmbandwerk Hohenlimburg eingesetzt werden, sind mittlerweile vom nationalen Emmissionshandel ausgenommen worden, um Doppelbelastungen zu vermeiden.

Brennstoffe, die am Standort Hoesch Hohenlimburg zur Wärmeerzeugung in Nicht-EU-emissionshandelspflichtigen Anlagen eingesetzt werden, würden aber sehr wohl dem nationalen Handelssystem unterfallen. Tanja Laven: „Über welche verbleibenden Brennstoffmengen wir hier am Ende reden, wird gerade geprüft. Unklar ist allerdings nach wie vor, wie hoch dann die tatsächliche Kostenbelastung aus dem Nationalen Handelssystem sein wird.“ Damit steht das Beispiel Thyssenkrupp Hohenlimburg repräsentativ für die Unsicherheit, die in vielen Betrieben herrscht.

Seit Anfang des Jahres haben Emissionen von Brennstoffen in Deutschland einen Preis für CO2, die aus der Verbrennung insbesondere von Heizöl, Flüssiggas, Erdgas, Kohle, Benzin und Diesel entstehen können. Also die Emissionen im Bereich Verkehr und Wärme, die bisher nicht vom EU-Emissionshandel erfasst sind, der seit 2005 das zentrale Klimaschutzinstrument der EU ist und der die Unternehmen natürlich bereits enorme Summen Geld kostet. Darin werden die Emissionen von europaweit rund 11.000 Anlagen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie erfasst. Zusammen verursachen diese Anlagen rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Europa. Darunter sind in Hagen beispielsweise die Drahtstraße der Deutschen Edelstahlwerke, die Papierfabrik in Kabel, das Heizkraftwerk in Kabel der Mark-E oder Thyssenkrupp in Hohenlimburg.

Auch die potenzielle Verschmutzung hat ihren Preis

Im Unterschied zum bisherigen europäischen Emissionshandelssystem wird bei der deutschen CO2-Bepreisung also nicht an das Ausstoßen von CO2, und damit die konkrete Verschmutzung angeknüpft, sondern an das bloße „Inverkehrbringen von fossilen Brennstoffen“, also die potenzielle Verschmutzung. Es kommt für viele Unternehmen aber zu einer doppelten Verpflichtung in beiden Emissionshandelssystemen. Manche Unternehmen sind bereits Verpflichtete im Europäischen System und dort beispielsweise für die Verbrennung von Gas abgabepflichtig. Jetzt ist aber dasselbe Gas über den deutschen nationalen Emissionshandel auch preislich belastet.

Zu den sogenannten „Inverkehrbringern“ zählen zum Beispiel Großhändler von Brennstoffen, Gaslieferanten oder Unternehmen der Mineralölwirtschaft, die energiesteuerpflichtig sind. Für jede Tonne CO2 , die durch die Verbrennung dieser Brennstoffe entstehen wird, muss ein Inverkehrbringer ein entsprechendes Emissionszertifikat erwerben. Der nationale Emissionshandel startet mit einem fixen Preis von 25 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2021. Das entspricht rund 7 Cent mehr pro Liter Benzin, 8 Cent mehr pro Liter Diesel, 8 Cent mehr pro Liter Heizöl und 0,6 Cent mehr pro Kilowattstunde Erdgas. Der Festpreis für die Zertifikate wird schrittweise bis 2025 auf 55 Euro ansteigen. Ab 2026 wird der CO2-Preis durch Versteigerungen ermittelt, wobei für 2026 ein Preiskorridor von 55 bis 65 Euro vorgegeben ist.

Der Mitverantwortung bewusst

Das Hagener Weltunternehmen Waelzholz ist beispielsweise deutlich betroffen. „Die Preise für die eingesetzte Primärenergie, in unserem Fall im wesentlichen Erdgas, werden von unserem Brennstoff-Lieferanten seit dem 1. Januar um den Preis für die CO2-Zertifikate erhöht. Waelzholz selbst kauft keine Zertifikate. Das bedeutet für Waelzholz Mehrkosten, die sich im siebenstelligen Bereich pro Jahr bewegen. Waelzholz ist sich seiner Mitverantwortung für Klima und Umwelt bewusst und überlegt gemeinsam mit seinen Partnern Lösungen für den Einsatz klimafreundlicher Energie. Jedoch stehen grüner Strom oder auch klimaneutral produzierter Wasserstoff weder in ausreichender Menge zur Verfügung, noch gibt es die notwendige Infrastruktur dafür“, erklärt Waelzholz-Sprecherin Ute Neuhaus.

Bei Waelzholz werden diese Mehrkosten ein gewichtiger Teil einer anstehenden Zukunftsentscheidung sein. Zur Produktion von Elektroband will das Unternehmen ein neues Werk mit neuer Ofenanlage errichten. Geschätzte Kosten: 100 Millionen Euro. Ob einer der wichtigsten Gewerbesteuerzahler der Stadt das aber in Hagen tun wird, wo Flächen nahe des Kabeler Bahnhofs zur Verfügung stünden, ist unklar. Die CO2-Bepreisung, die hohen Energiekosten und der Wettbewerbsnachteil spielen eine Rolle. Denn der CO2-Preis ist ein deutscher Alleingang. Kein Konkurrent auf der Welt hat diese Belastung. Der Bau des Werkes in einem anderen Land ist deshalb möglich.

Mehrkosten landen bei den Verbrauchern

Auch beim heimischen Energieversorger Enervie schlägt das Thema seit Anfang des Jahres voll durch. Die Enervie-Gruppe mit den beiden Tochterunternehmen Mark-E und Stadtwerke Lüdenscheid ist beim Thema „Erdgas“ betroffen. Konkret müssen Mark-E und Stadtwerke Lüdenscheid für jede Kilowattstunde an einen „Letztverbraucher“ geliefertes Erdgas ein Zertifikat kaufen. Daraus ergibt sich dieses Rechenbeispiel: Ein Privatkunde mit einem jährlichen Gasverbrauch von 10.000 Kilowattstunden muss aktuell mit Mehrkosten von 45,50 Euro rechnen. Diese Kosten würden sich dann bis 2025 schrittweise auf ca. 100 Euro pro Jahr steigern.