Hagen. Die Corona-Infiziertenverfolgung braucht eine gute Software. Doch das Hagener Wunschsystem ist noch nicht verfügbar. Hier die Hintergründe.

Geregelte Arbeitszeiten sind für die engagierten Teams des Hagener Gesundheitsamtes, die sich um die Nachverfolgung der Infektionsketten kümmern, seit Monaten ein Fremdwort. Bis spät in die Nacht werden potenzielle Kontaktpersonen von Corona-Infizierten informiert, aufgeklärt und mit Verhaltensregeln versorgt. Allerdings geschieht dies in Hagen weiterhin nach Altväter-Sitte.

Die von der Bundesregierung seit Monaten angepriesene und maßgeschneidert entwickelte Software zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie kommt im Rathaus bislang noch nicht zum Einsatz. Die Begründung: Die Stadt wartet zunächst das Ausrollen der Version „SORMAS eXchange“ ab, die seit November im Piloteinsatz ist. „Die Installation soll zeitnah erfolgen, aber aktuell können wir noch nicht sagen, ab wann die Software in der Praxis zum Einsatz kommt“, möchte Stadtsprecher Michael Kaub keinen konkreten Starttermin benennen.

Berlin macht Druck auf die Kommunen

Mit dieser Zurückhaltung steht die Stadt Hagen keineswegs allein da. Bundesweite Umfragen zeigen, dass lediglich ein Drittel der Kommunen und Kreise auf „SORMAS-ÖGD“ (Surveillance and Outbreak Response Management System – Öffentlicher Gesundheitsdienst) zurückgreift. Doch jetzt macht Berlin Druck: Bis Ende Februar soll SORMAS, so das Ergebnis des jüngsten Corona-Gipfels bei der Kanzlerin, in allen Gesundheitsämtern installiert werden. Der Grund: Falls die englische oder brasilianische Corona-Mutation in Deutschland Fuß fasst, möchte das Kanzleramt die Gesundheitsbehörden optimal gerüstet wissen.

Enger vernetzt

Professor Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Institut, versichert, dass SORMAS keiner speziellen technischen Ausstattung bedürfe, die Gesundheitsämter sich weder um die Systeminstallation noch die Pflege kümmern müssten.Selbst Schulungen werden angeboten, so dass jeder Anwender die intuitiv simple und auf die Anforderungen der Gesundheitsbehörden gezielt zugeschnittene Software nach zwei Tagen beherrscht.Mit SORMAS sind die Ämter unter anderem dazu in der Lage, Labormeldungen direkt aus dem Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) zu empfangen und Datensätze mit anderen Gesundheitsämtern digital auszutauschen.SORMAS wird den Ämtern gratis angeboten, und das Bundesgesundheitsministerium übernimmt sogar die Kosten für Installation, Betrieb, Wartung und Support bis Ende 2022.

Doch bislang sind solche Zieltermine und Vorgaben aus der Hauptstadt meist krachend gescheitert. Und das, obwohl neben der Auslastung der Krankenhäuser die Überforderung der Gesundheitsämter bei der Infektionsketten-Nachverfolgung immer wieder als ein wesentliches Argument für die strengen Lockdown-Regeln herangezogen wird.

Entwickelt haben die Software das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam (Digital Engineering) und das Helmholtz-Zentrum in Braunschweig (Infektionsforschung) bereits vor sieben Jahren. Deren ursprüngliche Motivation war es, Ausbrüche von Ebola in Westafrika verhindern zu können, wo das Programm seitdem in vielen Ländern auch erfolgreich angewendet wird.

Hagen setzt auf den Systemwechsel

In Deutschland bewegt sich derweil die Pandemiebekämpfung vorzugsweise nach dem „Never-change-a-running-system“-Prinzip auf einem oft individuell zusammengeschusterten Flickenteppich aus handschriftlichen Notizen, Excel-Listen, Faxen und Telefondurchsagen, der jedoch eine flächendeckende Datenkommunikation gar nicht erst ermöglicht. Im Hagener Gesundheitsamt wird hingegen nicht etwa mit einer eigenen, handgestrickten Infektionsschutzsoftware gearbeitet, sondern das Team um Behördenleiterin Dr. Anjali Scholten nutzt das Office Paket von Microsoft. „Insofern erhoffen wir uns durch den SORMAS-Einsatz schon eine deutliche Verbesserung bei der Bearbeitung der Fälle“, betont Kaub, dass Hagen für das neue System durchaus offen sei. Aber bislang stehe die passende Version für den Systemwechsel eben noch nicht zur Verfügung.

Diese ermöglicht beispielsweise einen nahtlos vernetzten Austausch zwischen Behörden und Laboren. Die SORMAS-Software erleichtert die Kontaktnachverfolgung sowie die Symptom-Dokumentation bei den Erkrankten. Mit Hilfe spezifischer Prozessmodelle für Fallmeldungen, Infektionsverläufe und Diagnostik wird eine schnelle und effektive Kontaktverfolgung ermöglicht, versprechen die Entwickler. Dazu gehören ganz praktische Funktionen wie die automatisierte Visualisierung von Corona-Karten und Übertragungsketten, die Dokumentation von Reisehistorien oder auch die Erkennung von Doppeleingaben.