Das AWO-Altenwohnheim in Haspe gehörte zu den ersten, in denen das Corona-Virus grassierte. Impfungen bringen den Optimismus zurück.

Weihnachtstage und der Jahreswechsel sind die Zeit der Rituale, des Miteinanders, der Vertrautheit, der inneren Einkehr sowie der Hoffnung auf einen Neustart. Das gilt für Familien ebenso wie für die Haus- und zuletzt auch Corona-Schicksalsgemeinschaft des Friedhelm-Sandkühler-Seniorenzentrums am Hüttenplatz in Haspe. Hier vollzieht das Team um Einrichtungsleiter Michael Hannemann und Pflegedienstleiterin Gayane Chil-Gevorgyan seit Monaten ein Balanceakt zwischen der Bewahrung von Vertrautem und der Einhaltung strenger Hygiene-Vorschriften: „Das Jahr 2020 übertraf wirklich alles“, ist das Führungsteam des AWO-Hauses dankbar, dass der Zusammenhalt unter den 80 Mitarbeitern sowie ein Hauch des Glücks dafür gesorgt haben, dass die Corona-Pandemie unter den 77 Bewohnern bislang noch kein Todesopfer gefordert hat.

An diesem Samstag rücken jetzt zwei Mediziner am Hüttenplatz an und bieten mit ihren Teams eine Corona-Schutzimpfung an. Ein Besuch, der Hoffnungen auf eine Rückkehr der Normalität schürt. Vier Fünftel der Bewohner haben bereits die Einverständniserklärungen unterzeichnet, bei den Mitarbeitern bislang lediglich 40 Prozent. „Hier muss noch Aufklärungsarbeit geleistet werden“, meint Hannemann – die aktuelle Informationskakophonie im Netz sorgt durchaus für Verunsicherung.

Der entscheidende Anruf an einem Schwarzen Freitag

Ein Gemütszustand, der dem 52-jährigen Leiter des Altenwohnheims durchaus vertraut ist, sobald er sich an jenen Schwarzen Freitag Ende März zurückerinnert: Als damals sein Telefon klingelte, eröffnete ihm das Gesundheitsamt, dass das teuflische Virus es über die Schwelle des Hauses geschafft habe. „Vermutlich über eine Mitarbeiterin, aber der Weg ist letztlich bis heute nicht geklärt“, stellte die Hiobsbotschaft seinerzeit den gewohnten Alltagsrhythmus komplett auf den Kopf. Trotz der Abstandsregelungen, aller Hygiene-Akribie oder auch Isolation auf Fluren und Zimmern, trotz aller Team-Strukturen, sofort eingefädelter Umorganisationen und Doppelbelegungen der Nachtwachen – Covid-19 suchte sich in den folgenden Wochen seine Wege durch die Flure. Insgesamt 21 Bewohner und zehn Mitarbeiter waren bis Mai infiziert, alle haben – teils sogar im Krankenhaus – dem Virus erfolgreich die Stirn geboten.

Die Dienstpläne sind seitdem so gestaltet, dass immer wieder die gleichen Betreuungsteams sich um dieselben Bewohner kümmern. Für das gesamte Team ein körperlicher, aber vor allem auch psychischer Kraftakt, für den es nicht bloß Applaus, sondern inzwischen auch die versprochene Corona-Prämie gab. „Zunächst war ja kaum genügend Schutzkleidung zu bekommen“, erinnert sich Gayane Chil-Gevorgyan an die Tage rund um Ostern zurück, als sie anfangs glücklicherweise noch auf Reserven vom jüngsten Norovirus-Ausbruch zurückgreifen konnte, bis Heimaufsicht und Gesundheitsbehörde für ausreichend Nachschub sorgten. „Wir sind in dieser Phase wirklich bevorzugt behandelt worden. Heute kriegen wir alles, was wir brauchen – nur die Wucherpreise sind geblieben.“

Sorge um die eigenen Angehörigen

Hinzu kam die Verunsicherung, die Angst vor dem Unbekannten. „Wir haben unendlich viel Aufklärungsarbeit leisten müssen“, blickt Hannemann nicht bloß auf stundenlange Telefonate mit Angehörigen und Bewohnern, sondern vor allem auch auf intensive Gespräche mit dem Team aus Pflege- und Hauswirtschaftskräften sowie dem Sozialen Dienst zurück. „Unsere Mitarbeiter haben schließlich ebenfalls Familien und Angehörige, sie haben auch die Sorge, das Virus in ihr privates Umfeld zu schleppen“, erzählt das Führungsduo des Hauses vom Austausch bis spät in die Nacht irgendwo zwischen Aufklärung, Ermutigung, Psychotherapie und jeder Menge Wertschätzung für das leidenschaftliche Engagement.

„Damals haben wir komplett neue Dienstpläne entwickelt und das Haus nach Risikogruppen aufgeteilt“, erinnert sich die Pflegedienstleiterin. Diese klare Trennung in feste Betreuungsteams für immer wieder die gleichen Bewohner hat bis heute Bestand, um im Falle eines erneuten Corona-Ausbruchs wieder klar separieren zu können. Dass es seit dem Frühjahr keinen weiteren Infektionsfall mehr gegeben hat, empfindet das gesamte Haus als eine barmherzige Streicheleinheit des Schicksals und keineswegs als Selbstverständlichkeit. Dafür sind die Wochen der Angst einfach noch viel zu präsent, als Isolation und Traurigkeit die Zeit des unbeschwerten Miteinander abgelöst hatten: keine gemeinsamen Mahlzeiten und das Gespräch mit den Verwandten lediglich per Skype. „In diesen Tagen haben wir die Kraft des freundlichen Wortes und der netten Gesten neu zu schätzen gelernt“, berichtet Gayane Chil-Gevorgyan von witzigen Fotoshootings mit Maske, von den bunten Blumen-Gaben einer Baumarkt-Kette, dem musikalischen Gruß vom Hüttenplatz durch die geöffneten Fenster oder den täglichen Distanzvisiten einer Ehefrau bei ihrem Mann, dem sie nur von der Straße aus zuwinken durfte.

Grußkarten aus dem Kindergarten rühren zu Tränen

Mit immer wiederkehrenden Schnelltests wird versucht, eine erneute Corona-Ausbreitung frühzeitig zu identifizieren. Entsprechend fielen auch die vertrauten Besuche von Kindergartengruppen in der Adventszeit aus. Stattdessen gab es gebastelte Grußkarten: „Unsere Bewohner hatten Tränen in den Augen“, so die Pflegedienstleiterin. Vier Weihnachtsfeiern standen in den Dezember-Wochen am Hüttenplatz auf dem Programm. Jeweils ein Dutzend Bewohner saßen im 80-Quadratmeter-Speisesaal zusammen, dick eingemummelt, damit zwischendurch ausreichend gelüftet werden konnte. Einige verbrachten sogar am Heiligabend ein paar Stunden im Kreise ihrer Familien – bei der Rückkehr ins Sandkühler-Haus wartete, wie ohnehin mehrfach pro Woche, schon der Schnelltest.

Der Impftermin an diesem Wochenende spendet zusätzlichen Optimismus. Michael Hannemann und Gayane Chil-Gevorgyan werden mit gutem Beispiel vorangehen, um ein Beispiel für den Zusammenhalt im Team zu geben. Denn eine große Lehre des vergangenen Jahres gilt 2021 weiter: Ein behütetes Wir-Gefühl, ein geborgenes Miteinander sowie respektvolle Achtsamkeit sorgen dafür, selbst in Zeiten der Distanzregeln der Einsamkeit trotzen zu können.​