Hagen. Bei einem schweren Autounfall erlitt Springreiter Jeremy Hein schlimmste Verletzungen. Doch er verliert sein Ziel nicht aus den Augen.
„Papa, schau mal, was wir mitgebracht haben.“ Jeremy Heins (10) Augen glänzen, wenn er sich an diesen Moment vor acht Jahren erinnert. Als sein Vater vor die Tür trat, erwartete ihn dort ein Pferdeanhänger. In dem stand Mogli, ein Shetty-Hengst. Das freche Pony sollte das erste Pferd von Sohn Jeremy sein, der Kauf war aber eigentlich eher spontan, wie Mutter Nina berichtet: „Wir haben gesehen, wie schlecht es ihm ging. Den mussten wir einfach mitnehmen.“ Und auch der Vater freundet sich mit dem neuen Familienmitglied an.
Die Leidenschaft von Jeremy für den Reitsport war damit geweckt. Dabei stellt Mogli, der gerade einmal eine Schulterhöhe von 90 Zentimetern hat, seinen jungen Reiter öfter mal auf die Probe: „Ich bin auch mal runter gefallen. Aber dann habe ich einmal auf den Boden gestampft, gesagt: Ey Mogli, was soll das! Und bin dann wieder aufgestiegen“, entdeckt Jeremy früh seinen Ehrgeiz. Dass er diesen Ehrgeiz Jahre später nicht nur im Sport, sondern auch bei seiner Reha brauchen würde, kann damals noch niemand ahnen.
"Rambo" kommt mit zu Turnieren
Als Jeremy sieben Jahre alt war, zog mit Dunkelfuchs Rambo sein erstes Sportpony bei Familie Hein ein. Und schon zu diesem Zeitpunkt zeigt sich klar, dass der Reitsport nicht nur ein Hobby sein soll. „Wir haben uns für Rambo entschieden, weil klar war, dass Jeremy mit ihm auch Turniere gehen kann“, erinnert sich Nina Hein, die früher zwar selbst geritten ist, allerdings nie im Wettkampf.
„Bei mir war es eher ein Bibi-und-Tina-Reiten auf einem Bauernhof. Schön, aber ohne Ambitionen.“ Ihr Sohn hingegen entscheidet sich für das intensive Training und so wechselt er mit seinem Pony zu einem Stall nach Menden in den Reitverein Kalthof und die dortige Jugendförderung.
Sportliche Entwicklung geht immer weiter
Und die Entwicklung geht immer weiter. „Sportlich gesehen geht die Schiene immer höher. Da muss man sich dann entscheiden, ob man bei einem Pferd bleibt und es nur zum Spaß bewegt, oder ob man das Turnierleben haben möchte. Jeremy geht so viele Prüfungen, dass wir uns dazu entschieden haben, zwei Pferde zu halten“, erklärt Nina Hein, wieso der nur 128 Zentimeter große Rambo die Familie vor kurzem wieder verlassen muss. „Auf der Hinfahrt haben Mama und ich nur geheult“, erinnert sich Jeremy an den Tag des Abschieds, ergänzt aber auch: „Er ist in gute Hände gekommen und es ist besser so. Er ist einfach zu klein geworden.“ Dafür hat er nun mit Nemo und Valentino zwei sogenannte Endponys mit einem Stockmaß von 1,48 Metern. So groß wie er selbst.
Beide Beine mehrfach gebrochen
Dass der Jüngste von drei Geschwistern heute nicht nur sporadisch, sondern äußert erfolgreich im Pferdesport aktiv ist und mit seinen beiden Ponys auf Spring- und Vielseitigkeitsturniere gehen kann, daran ist vor anderthalb Jahren kaum zu denken. Ein schwerer Unfall reißt Jeremy aus seinem gewohnten Alltag. Vor dem Haus seiner Eltern wird der damals Neunjährige von einem Pkw eingequetscht.
Die Folge: beide Beine sind mehrfach gebrochen und zertrümmert, das rechte steht kurz vor einer Amputation. Mit einer Notoperation im Allgemeinen Krankenhaus Hagen kann das schlimmste verhindert werden.
Die erste Fahrt nach dem Krankenhaus führt zu den Ponys
Wenn sich Jeremy an die Zeit im Krankenhaus erinnert, berichtet er ganz sachlich von den Untersuchungen, den Operationen und den schier unvorstellbaren Schmerzen. Fast so, als würde er nicht seine Geschichte, sondern die eines guten Bekannten erzählen. Ganz reflektiert berichtet er von der Verlegung ins Dortmunder Krankenhaus, Gesprächen mit Ärzten und Schwestern. Nur manchmal muss Mutter Nina etwas ergänzen. Zu gegenwärtig ist das Geschehen noch. Doch auch die schönen Erlebnisse.
Die erste Fahrt vom Krankenhaus nach Hause muss natürlich mit einem Umweg gefahren werden. Es geht nach langen Wochen erstmals wieder zu den Ponys. Keine Frage, der junge Reiter wollte seine vierbeinigen Freunde wiedersehen. Und sie hatten auch einen besonderen Anteil an seiner Reha, wie Videos auf dem Smartphone seiner Mutter zeigen. Im April, als Jeremy noch nicht selbstständig wieder laufen konnte und auf den Rollstuhl angewiesen war, saß er schon wieder auf Rambos Rücken.
Keine leichte Rückkehr zur Unbeschwertheit
Die Beine hängen zwar herunter, weil Titanplatten sie noch stabilisieren, aber das hält den damals Neunjährigen nicht auf. „Mit den Beinen konnte ich zwar nichts machen, aber dann habe ich Rambo mit einer Gerte gelenkt. Das ging schon.“ Pony Nemo war erst unmittelbar vor dem Unfall eingezogen und sollte daher noch nicht für die ersten Wiedereinstiegsversuche eingesetzt werden.
Doch so positiv, wie Jeremy berichtet und so leicht seine Rückkehr zu alter Unbeschwertheit wirkt, war es nicht immer, wie seine Mutter berichtet: „Es gab auch Tage, wo einfach nichts geklappt hat und er einfach sauer und wütend war.“ Denn der Lernprozess musste ganz von vorne beginnen, nicht einen Schritt konnte der junge Hagener eigenständig machen.
Nachdem die Titanplatten entfernt wurden, war ein Gehwagen sein ständiger Begleiter: „Da habe ich Papa einmal richtig angeschrien, weil ich dachte, dass der Boden im Wohnzimmer schief ist, weil ich immer nach links abgedriftet bin“, erinnert sich Jeremy lachend. Doch nicht der Boden im Haus der Familie in Staplack war schief. Die Motorik wollte nicht so, wie sie sollte. Doch der ehrgeizige Sportler gab nicht auf, kämpfte sich Stück für Stück wieder zurück.
Bis heute hat Jeremy noch Schmerzen
Und mit der Zeit kam alles wieder, auch dank wöchentlicher Physiotherapie, die bis heute noch stattfindet. Und Jeremys unbändigem Ehrgeiz. Schon 2019 ging es wieder bei Turnieren an den Start. „Er konnte schneller wieder reiten als richtig laufen“, kann es Nina Hein noch immer nicht so ganz glauben. Doch selbst der geliebte Sport viel Jeremy zum Teil schwer. Das linke Bein ist durch die Folgen der Verletzungen und Operationen verkürzt. Das verursacht nicht nur bis heute immer wieder Schmerzen vom Becken bis zum Kiefer, sondern sorgt auch dafür, dass die Last zum Teil nicht richtig aufgenommen werden kann. „Die Kampfrichter sehen das bei Turnieren auch und bewerten es. Man kann ihnen ja schlecht erklären, woran es liegt“, weiß Nina Hein, dass ihr Sohn sich darüber ärgert.
Doch dass er überhaupt wieder so in seinem Sport angekommen ist und nicht nur in Menden, sondern auch im Stützpunkttraining in Schwerte trainiert, ist bewundernswert. Und nicht nur im Sport ist Jeremy wieder angekommen, auch im (Stall)-Leben. So endet der Besuch im Stall auch schon mal auf dem Misthaufen. „Wenn er frech ist, dann fliegt er da schon mal drauf“, berichtet Nina Hein schmunzelnd.
„Frech? Ich doch nicht“, sagt Jeremy und der Schelm blitzt nur so aus seinen Augen. Mit seinen Ponys möchte der Springreiter noch hoch hinaus, als nächstes steht das Reitabzeichen vier und damit verbunden der Start in einem L-Springen auf seinem Plan. Und für später hat er schon einen Plan: „Ein eigener Hof wäre toll, wo ich die Pferde halten und Traktor fahren kann“, träumt er wahrscheinlich den Traum vieler Pferdeliebhaber.