Wehringhausen. Nach der Neugestaltung des Bodelschwinghplatzes geht es jetzt an die Bausubstanz drumherum. Die Hagener Entwicklungsgesellschaft hat viele Ideen.
Wenn man mit Bauschaffenden unterwegs ist, klingt der Satz „Diese Ecke hat Charme!“ wie eine Floskel aus einer gewöhnlichen Werbebroschüre. Doch im Dunstkreis des Bodelschwinghplatzes in Wehringhausen lässt diese These durchaus irritiert aufhorchen.
Schließlich ist dies doch jene Ecke – so das weit verbreitete Hagener Klischee –, wo nur noch jene Menschen wohnen, die es nicht mehr rechtzeitig weggeschafft haben, als südosteuropäische Zuwanderer mit ihrer Großfamilie billige Butzen suchten, wo die Trinkerszene sich schon vormittags die Kante gibt und wo Rauschgiftsüchtige sich bei einem Hinterhof-Doktor ihre Ersatzdrogen beschaffen und auf dem Weg kleine Kinder erschrecken. Alles nicht ganz falsch, und dennoch sieht Hans-Joachim Bihs in dem Quartier vor allem eines: reichlich Potenzial.
Ankäufe, aber nicht für jeden Preis
Der Geschäftsführer der Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft (HEG) hat westlich und östlich des altehrwürdigen Bodelschwinghplatzes entlang der Wehringhauser Straße in den vergangenen Jahren etwa ein Dutzend Immobilien aufgekauft, teilweise bewohnt, andere schon so runtergeranzt, dass dort wahrlich niemand mehr hausen möchte.
Inzwischen verfügt die städtische Tochter über etwa 100 Wohneinheiten im unteren Wehringhausen und will damit nicht bloß Sozialpilgertum ausbremsen, sondern vor allem der Quartiersentwicklung Impulse verleihen.
„Die HEG soll zu einem Instrument der Stadtentwicklung ausgebaut werden“, ist sich Bihs mit Stadtbaurat Henning Keune einig, dass es in einer schrumpfenden Kommune wie Hagen nicht das alleinige Ziel einer solchen Gesellschaft sein kann, weitere Grünflächen im Außenbereich für schmucke Eigenheime zu entwickeln. Vielmehr gelte es ebenso, den Bestand in den etablierten Wohnvierteln qualitätvoll zu bewahren und zukunftsfit zu gestalten.
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Eine Aufgabe, die rund um den Bodelschwinghplatz einen langen Atem, nicht unerhebliche Finanzressourcen, einen klugen Blick auf Förderkulissen und vor allem eine Vision für eine attraktive Wohnqualität entlang der inzwischen verschlafenen Hauptverkehrsachse – die Bahnhofshinterfahrung lässt grüßen – erfordert.
Impulse animieren Hausbesitzer zu Sanierungen
Bihs hat hier gezielt eingekauft, nicht für jeden Preis, aber immer mit Verstand. Wer Wucherpreise abseits der Marktlage verlangt oder bei Versteigerungen die Gebote in astronomische Höhen treibt, hat aus HEG-Sicht einfach Pech gehabt – der Ingenieur kann warten, bis der Kurs eines Tages dann plötzlich doch stimmt.
Beispiel Haus Nr. 4 am Bodelschwinghplatz, das zurzeit hinter einem eingehüllten Gerüst verschwunden ist: fünf Geschosse, solide Bausubstanz aus der Zeit der 1900er-Jahrhundertwende, als das untere Wehringhausen noch Handelszentrum war und rund um den Drei-Kaiser-Brunnen die Geschäfts- und Wohnhäuser mit ihren Ladenlokalen in die Höhe schossen.
Ein besonderes historisches Flair, das die jüngste millionenteure Platzsanierung im Jahr 2018 mit Fördermitteln aus den „Soziale Stadt“-Töpfen wieder hervorkitzeln sollte. Ein Impuls, der trotz aller unansehnlichen, wenig kunstvollen Graffiti-Schmierereien einige Hausbesitzer im Umfeld durchaus schon zu kostspieligen Sanierungen animiert, aber vor allem den HEG-Chef inspiriert hat.
Erst recht, wenn bei der Fassadensanierung von Haus Nr. 4 plötzlich das historische Fachwerk wieder sichtbar wird. „Das werden wir jetzt wieder herausarbeiten“, will Bihs nicht bloß mit einer neuen Gasheizung den Mietern das Bleiben leichter machen.
Bausubstanz rechtfertigt Sanierung
Eine weitere Immobilie unweit des inzwischen schmucken, in einem warmen Rotton gestalteten Antiquitäten-Handels (In der Beike) steht inzwischen leer und ist umzäunt. In gigantischen Containern wird von einem Entrümpler im Auftrag der HEG gerade jenes Mobiliar versenkt, das andernorts vermutlich wild auf dem Bürgersteig gelandet wäre und über Wochen die Waste-Watcher zur Verzweiflung getrieben hätte. Die fantastischen Bodenfliesen im Eingangsbereich erinnern an vornehmere Zeiten. „Hier machen wir eine Kernsanierung“, erläutert Bihs, „die Bausubstanz gibt das allemal noch her.“
Gegenüber sind gleich drei HEG-Immobilien nebeneinander eingerüstet. Ihre dreckigen Fassaden lassen zumindest erahnen, dass sich hier einst ein Stuckateurmeister ausgetobt hat – filigrane Handwerkskunst, die heute unbezahlbar wäre. In diesen Objekten geht es zunächst nur um die Außenhaut. „Die Wohnungen fassen wir erst an, wenn jemand auszieht – wir wollen die Altmieter keineswegs verdrängen.“ Wer hier durchgehalten hat, wohnt verdammt günstig. Zumal hier künftig Solarpaneele die Grundlast der Stromversorgung abdecken sollen: „Die Stromersparnis durch diese Technik wird deutlich höher sein als die entstehenden Mehrkosten“, verspricht Bihs ein sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich verlockendes Angebot.
Raum für mehr Lebensqualität
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Hinter den Gebäuden eröffnet sich eine komplett neue, von der Öffentlichkeit verborgene, aber auch längst vergessene Welt. Schmucklose Anbauten für Handwerksbetriebe wechseln sich mit Schuppen, Lagerflächen und Garagenhöfen ungeordnet ab.
Das vitale Leben ist hier längst Vergangenheit, Unrat türmt sich neben Drogenbestecken. Ein altes Backhaus mit Flaschenzugwinde für Mehlsäcke am First und stattlichem Schornstein für den einstigen Backofen soll abgerissen werden. Zuletzt muss der Bau wohl eher als Bordellbetrieb hergehalten haben. Das unzweideutige Interieur mit Whirlpools in jedem zweiten Zimmer lässt da kaum Zweifel aufkommen.
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Die lindgrüne Brandruine nebenan mit fast 800 Quadratmetern Wohnfläche darf hingegen auf eine Wiederbelebung hoffen – mit Balkonen, die einen wunderbaren Blick auf einen neuen Innenhof versprechen.
Auf HEG-Architekt Marius Schmahl kommen spannende Jahre zu: „Alte Immobilien bieten nicht nur positive Überraschungen.“ Er wird die Gebäude baulich ins 21. Jahrhundert katapultieren und zugleich die Hinterhofflächen, die bis zum Bahndamm reichen, so gestalten, dass dort neben ausreichend Parkraum vor allem auch grüne Spiel- und Lebensqualität geschaffen wird sowie neue Wegeverbindungen in die Minervastraße dem Karree Vitalität verleihen.
Verwunschene Ecken mit Potenzial
Aber auch östlich des Bodelschwinghplatzes regen verwunschene Ecken zumindest auf den zweiten Blick die Fantasie an. Hinter der einstigen Tischlerei Borgmeier, die sich fast an den Bahndamm anschmiegte und deren Werkstatt über die Jahre vom Efeu konserviert wurde, erstreckt sich ein weitgehend verwilderter Grünstreifen, der bis zum Grothe-Center reicht.
Dieses weite Hinterland der Bebauung entlang der Wehringhauser Straße eröffnet vielfältige Gestaltungschancen und Wegeachsen, die vor allem wieder die Passion für ein vitales unteres Wehringhausen wecken, in dem Lebenskultur und nachbarschaftliches Miteinander ein bald wieder reizvolleres Wohnen dominieren.
Eine Entwicklung, die die HEG in direkter Nähe zum Hauptbahnhof und zur Innenstadt gezielt vorantreiben möchte. Und wenn’s funktioniert – fünf Jahre kann’s noch dauern –, soll dieses Stadtsanierungspilotkonzept auch in andere Quartiere exportiert werden. Hans-Joachim Bihs hat bereits einige Immobilien in Altenhagen im Blick. Aber das wird dann wieder eine ganz neue Geschichte . . .