Hohenlimburg. Der Chefarzt des Zentrums für Seelische Gesundheit Elsey befürchtet mehr Suchtkranke als Folge von Corona – und gibt Tipps gegen die Isolation

Eigentlich hätte Dr. Bodo Lieb mit Stolz verkünden können, dass seine Suchtklinik in Elsey bisher von Corona-Fällen unter den Patienten verschont geblieben ist. Aber dass die mehr als 2000 Patienten, die in der Klinik seit dem Frühjahr behandelt wurden, allein dank des Hygiene-Konzeptes geschützt waren, greife deutlich zu kurz, sagt der leitende Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit.

„Viel mehr unterstreicht das, wie wenig unsere Patienten draußen sozial integriert sind.“

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Virus befällt Menschen mit Sozialkontakten

Denn, so sagt Lieb, Corona ist eine Erkrankung der sozial integrierten Menschen. Ein Virus, dass auf Partys, Familien-Treffen, in Clubs und Bars weitergetragen wird. Es erwischt nicht die, die einsam am äußersten Rand der Gesellschaft stehen. „Dieser Befund zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesundheitssystem in ganz Hagen“, so Lieb und verweist auf Gespräche mit dem Gesundheitsamt, wonach etwa auch innerhalb der Gruppe der Obdachlosen keine Corona-Fälle verzeichnet seien.

Umso schwerer wiege, dass Anlaufpunkte für Beratung und Therapie durch die Pandemie erheblich gelitten haben. Suchthilfen und Selbsthilfegruppen finden nicht statt oder laufen erst langsam wieder an – und das wird Folgen haben, ist Lieb sicher. „Ich gehe davon aus, dass wir mehr Fälle von Depression, mehr Suizide, mehr Menschen mit Suchterkrankung haben werden.“

Gefährdet sei gerade die Gruppe älterer Menschen, die aus Angst vor einer Corona-Infektion isoliert lebt und Kontakte einschränkt.

Erste Studie zur „Sucht im Alter“

Vorbeugen lasse sich dadurch, dass ältere Menschen sozial in Kontakt bleiben, sei es durch Spaziergänge und Treffen unter Abstands- und Hygieneregeln. „Das Infektionsrisiko ist mit adäquatem Abstand draußen im Herbst nicht hoch und die Gefahren, die durch eine komplette Isolation entstehen, sind fast größer als der Schutzeffekt.“ Er ermutigt, zusätzlich auch Neue Medien zu nutzen.

Über Suchtkranke in der zweiten Lebenshälfte ist am Zentrum für seelische Gesundheit so viel bekannt wie in keiner anderen Fachklinik deutschlandweit. Seit rund fünf Jahren existiert dort mit der „Aqua-Station“ eine Anlaufstelle, um Süchtige der älteren Generation akut zu behandeln. Über Erfahrungen mit den besonderen Bedürfnissen von sucht- und psychisch kranken Senioren diskutierten gestern namhafte Experten bei einem Symposium in Hagen, federführend organisiert vom Zentrum für seelische Gesundheit Elsey. Präsentiert wurde dabei die erste umfangreiche Studie zur „Sucht im Alter“. .