Hagen. Gestrichene Wiederaufnahmen, Kurzarbeit, ein Einnahmeausfall von 900.000 Euro: Wie Intendant Hüsers die kommende Spielzeit dennoch bestreitet.
Die neue Spielzeit im Theater startet am Samstag, 5. September, mit dem Ballettabend „Schwanensee - Aufgetaucht – Prolog“, am Sonntag, 6. September, steht dann die Premiere der Rock-Show „Wenn die Nacht am tiefsten. . .“ auf dem Programm. Intendant Francis Hüsers musste coronabedingt die neue Spielzeit in großen Teilen terminlich umstricken. Eine Herkules-Aufgabe, denn viele der geplanten Wiederaufnahmen können erst einmal nicht aufgeführt werden.
Herr Hüsers, weder die Komische Oper „Zar und Zimmermann“ von Albert Lortzing noch die Oper „Orpheus und Eurydike“ in der Fassung von Christoph Wilibald Gluck werden in den kommenden Monaten wieder aufgenommen. Wo konkret liegen die Probleme?
Francis Hüsers: Bei ,Zar und Zimmermann’ liegt das Hauptproblem beim Chor, der viele Einsätze hat, sowie Massenszenen, die wir derzeit nicht auf die Bühne bringen können. Die Verschiebung von ,Orpheus und Eurydike’ vermutlich in die Spielzeit 2021/22 bedauere ich besonders, da die Oper in italienischer Sprache nach ihrer Premiere nur zwei Mal gezeigt wurde. Aber die Aufführung, die als Gesamtkunstwerk gesehen werden kann, und bei der unser Ballett, unser Orchester sowie unser Chor beteiligt sind, kann ich in der Form nicht präsentieren. Der Orchestergraben ist in Corona-Zeiten einfach zu klein.
Bei Musikern kommen besondere Berechnungsgrundlagen zum Tragen. Wie sehen die aus?
Für jeden Musiker müssen auf die Raumgröße gerechnet sieben Quadratmeter zur Verfügung stehen, ich könnte also maximal 14 Musiker im Orchestergraben sowie in den Logen platzieren. Für ,Orpheus und Eurydike’ benötigen wir aber weit mehr Musiker. Und auch die Ballett-Choreografie funktioniert nach Corona-Vorschriften nicht.
Auch der Chor ist seit Monaten ausgebremst und die Proben gestalten sich schwierig?
Richtig, im Chorsaal können gerade mal vier Sänger zeitgleich proben. Und auf der Bühne müssen die Choristen drei Meter Abstand zum Nachbarn halten, in der Ausatmungs- beziehungsweise Singrichtung sogar vier Meter.
Aber neue Stücke werden ab September gezeigt. Sie sind von Anfang an auf Corona-Bedingungen zugeschnitten. Wie muss man sich die Corona-konformen Stücke vorstellen?
Die Werke wurden aus der Not heraus gleich mit Abstand inszeniert. Es ist einfach so – eine Liebesszene sieht heute anders aus als vor Corona. In Marguerite Donlons Schwanensee-Prolog-Fassung wird ein Pas de deux zwischen Plastikfolie getanzt. Und Schuberts Liederzyklus ,Die Winterreise’ wurde zwischen Fensterscheiben aufgeführt. Wobei die Sicherheitsvorkehrungen nicht versteckt, sondern als Metapher eingebaut werden – mit Sinn und Sinnlichkeit.
Die Deutsch-Rock-Punk-Pop-Theater-Party „Wenn die Nacht am tiefsten. . .“ mit Musik von u. a. Ton, Steine, Scherben, von Fehlfarben und von Nina Hagen wird am 6. September erstmals im Hagener Theater aufgeführt. Eine Party mit Abstandszwang und Bewegungsverbot – wie soll die aussehen?
Die ,Mover’, also die Tänzer, müssen größeren Abstand halten. Es wird keine Walk-Acts geben und keine Interaktion mit dem Publikum. Die Einschränkungen sind sehr schade, doch der Abend darf nun mal nicht zur ausgelassenen Party werden. Trotzdem hoffen wir, dass sich beim Publikum Begeisterung und Enthusiasmus einstellen werden.
Vorverkauf läuft
Der Vorverkauf für Vorstellungen, die im September laufen, ist vor wenigen Tagen gestartet. Der Startschuss für den Vorverkauf für das Weihnachtsmärchen fällt am 12. Oktober. Hier werden die Karten nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vergeben.
Auch am Opern-Doppelabend, der am 12. September Premiere feiert, halten sie fest. Aber wie soll ein abendfüllendes Programm, das in gekürzter Fassung schon zweimal 60 Minuten plus Pause läuft, ohne gastronomisches Angebot funktionieren?
Das ist ein großes Problem, an dem wir derzeit noch knacken. Eventuell können wir den Zuschauern eine verbindliche Tischreservierung für die Pause anbieten. Auf jeden Fall wird der Abend mit Haydns Oper ,Die einsame Insel’ eröffnet, nach der Pause – ob mit oder ohne Gastronomie -- geht es mit ,Marilyn forever , einer Hommage an die einsame Ikone Marilyn Monroe – weiter.
Eines der Aushängeschilder des Theaters ist das jährliche Weihnachtsmärchen, das über Hagens Grenzen hinaus beliebt ist und pro Jahr rund 30.000 junge Zuschauer lockt. Und in diesem Jahr?
Wir zeigen ,Alice im Wunderland’, das Lutz-Leiterin Anja Schöne inszeniert hat. Wir haben von Anfang an unter Corona-Bedingungen geprobt, das fällt bei einer Neuproduktion zum Glück leichter. Was traurig ist: Normalerweise ist das Haus, wenn das Weihnachtsmärchen gezeigt wird, rappelvoll, sprich, nicht selten mit über 700 Kindern gefüllt. Diesmal stehen uns pro Vorstellung maximal 180 Plätze zur Verfügung, das heißt, 2020 werden höchstens 6800 Kinder – also ein Bruchteil im Vergleich zu den Vorjahren – das Stück sehen.
Apropos Zuschauerzahl: Sie haben einen neuen Saalplan erstellt?
Richtig. Unser neues Sicherheitskonzept ist mit der derzeitigen Gesetzeslage konform. Ich bin mir sicher, dass der Hagener Krisenstab unserem Konzept zustimmen wird. Wir werden maximal 180 Gästen – statt 780 – Einlass gewähren. Wir vergeben Zweierplätze, nach rechts und links bleiben jeweils drei Plätze frei, nach vorne und hinten jeweils die ganze Reihe. Damit unterstreichen wir auch unsere Botschaft, dass in unserem Haus Sicherheit über allem steht. Daher lautet unser Slogan für die kommenden Monate auch „Ins Theater? Aber sicher!“
An eine Kostendeckung können Sie bei so geringer Auslastung natürlich nicht denken?
Nein, aber kostendeckend arbeiten wir als Kulturstätte ja nie. Im Normalfall liegt unsere Deckung bei 15 bis 20 Prozent, wir werden also zu 80 bis 85 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert.
Bleiben wir bei Zahlen – wie hoch beziffern Sie den Einnahmeausfall Ihres Hauses während der letzten Spielzeit?
Der Einnahmeausfall liegt bei 900.000 Euro. Um Ausgaben zu sparen, haben wir im Frühjahr für 190 von unseren insgesamt 240 Mitarbeitern Kurzarbeit angemeldet. Den Antrag auf Kurzarbeit haben wir bis Ende des Jahres verlängert. Natürlich hoffen wir, dass, wenn wieder mehr Produktionen gespielt werden, auch wieder mehr Mitarbeiter voll beschäftigt werden können. Aber wie sich alles entwickelt, werden die kommenden Wochen zeigen.