Hagen. Alarmierender Zustand des Hagener Waldes: Welche Bäume die Rettung bringen könnten, weiß angesichts des Klimawandels niemand so genau.

Wenn die sterbenden Fichtenbestände in den Hagener Wäldern vor Schmerzen schreien könnten, würden sich die Menschen mit Schaudern des Grauens vermutlich fluchtartig abwenden. Überall rieseln die Nadeln zu Boden, an den Wurzeln vieler Bäume beweist braunes Bohrmehl, dass der seit drei Jahren anhaltende Vernichtungsfeldzug des Borkenkäfers in vollem Gange ist. Viele Hänge bestehen lediglich noch aus Baumskeletten, die gerade ihre Rinden verlieren, oder sind längst gerodet. „Wir können der Situation nicht mehr Herr werden“, hat Martin Holl, Fachleiter Forst beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) längst resigniert. „Solange es noch Fichten gibt, ist der Borkenkäfer auch nicht mehr aufzuhalten.“ Bereits in fünf Jahren, so schätzen Experten, sollen sämtliche Bestände in NRW abgestorben sein.

Fichten-Baumskelette ragen in den Himmel. Der Borkenkäfer hat hier ganze Arbeit geleistet.
Fichten-Baumskelette ragen in den Himmel. Der Borkenkäfer hat hier ganze Arbeit geleistet. © WP | Michael Kleinrensing

Dabei ist der Borkenkäfer selber kein neues Phänomen, ihn gab es schon immer. Allerdings können sich die Bäume inzwischen nicht mehr ausreichend selber schützen. Um sich dagegen zu wehren, bräuchte eine Fichte unglaublich viel Wasser. Damit setzt sich im Baum ein Prozess in Gang, an dessen Ende die Käfer eingeharzt werden und sich unter der Rinde nicht weiter vermehren können. Doch die vergangenen Jahre waren – nachdem die Sturmschäden von „Friederike“ im Januar 2018 dem Schädling reichlich Nahrung serviert hatten – trocken und heiß und somit ohne das ausreichende Nass.

Der Käfer knabbert sich seitdem also ungebremst durch die Stämme der von Trockenheit geschundenen Wälder. Auch wenn der Winter 2019/20 wieder etwas feuchter als im Schnitt ausfiel, sind die Defizite der vorangegangenen Hitzesommer damit kaum ausgeglichen worden. „Außerdem hatte wir im März schon wieder fast keinen Niederschlag“, erinnert Holl daran, dass vor allem der Wassermangel im Frühjahr in einer Tiefe von 1,80 Metern entscheidend sei, weil genau dort sich die meisten Bäume ihr Wasser holen. „Selbst starke Fichten haben inzwischen einen Borkenkäferbefall von etwa 20.000 Tieren“, erzählt Holl. „Dazu muss man wissen, dass 300 bis 400 Käfer ausreichen, um eine Fichte zum Absterben zu bringen.“

Wald in einem miserablen Zustand

Aufforstung mit Hindernissen

In ganz Deutschland sind die Forstwirte zurzeit gefordert, den Wald mit den passenden Arten umzubauen, die dem Klimawandel stabil trotzen können und zugleich den Schädlingen besser Paroli bieten.

Das ist auch der erklärte politische Wille, so dass seitens der Bundesregierung zunächst 800 Millionen Euro für diese Aufgabe bereitgestellt wurden. Allerdings stellt sich zunehmend die Frage, ob vor allem die privaten Waldbesitzer angesichts der anhaltenden Verluste in den vergangenen Jahren überhaupt die erforderlichen Eigenmittel für diese staatliche Förderung aufbringen können.

Zudem gilt es, sich zunächst eine Schneise durch den Antragsdschungel zu schlagen. Es müssen parallel Kräfte für die notwendigen Arbeiten her und es fehlt das ausreichende Saatgut, mit dem die Baumschulen Milliarden von Setzlingen ziehen können.

Zudem weiß aktuell niemand genau, welche Bäume eigentlich gepflanzt werden sollten. „Wir haben kein Verständnis davon, welche Arten den Klimawandel mitmachen“, erläutert Henrik Hartmann, Forscher am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. „Es ist völlig unklar, welche Baumart es in 50 Jahren hier noch aushält, wenn es so weitergeht“, so der Experte.

Einfach nur Bäume aus trockeneren Weltgegenden zu importieren sei jedenfalls „wissenschaftlich nicht fundiert“. Etwa 300.000 Hektar zerstörter Wald müssten aktuell in Deutschland aufgeforstet werden. Das sind drei Prozent der gesamten Waldfläche.

Lange Zeit galt die Buche als der Hoffnungsträger. Doch Hartmann sagt: „Man merkt inzwischen, dass sie für den Klimawandel auch nicht geeignet ist.“ Lediglich in Höhenlagen des Harzes oder Bayerischen Waldes habe sie noch eine langfristige Perspektive.

Dem Wald geht es laut Waldzustandsbericht der Bundesregierung gerade schlechter als in den 80er-Jahren, als das Waldsterben die Bevölkerung alarmierte. Der Anteil von Bäumen ohne Schäden in den Kronen – ein wichtiger Indikator für die Gesundheit - war noch nie so gering wie 2019. Es wird Jahrzehnte dauern, das wieder aufzubauen, was durch Hitzesommer, Borkenkäfer und Klimawandel in den letzten drei Jahren kaputtgegangen ist.

Zumal der Holzmarkt nahezu zusammengebrochen ist und den Waldbauern die Erlöse fehlen. 10.000 Festmeter Holz möchte der WBH in diesem Jahr aus dem kommunalen Wäldern holen, etwa die Hälfte ist bislang geschafft. Doch es gibt inzwischen kaum noch Sägewerke, die die Stämme abnehmen, weil deren Kapazitäten längst erschöpft sind. Selbst das China-Geschäft (Bauholz) funktioniert lediglich noch gedrosselt, weil aufgrund der Corona-Pandemie deutlich weniger Leercontainer auf den Weltmeeren unterwegs sind.

Inzwischen erzielt der WBH bei Exportholz lediglich noch Preise unter der 30-Euro-Schwelle – im Januar 2018 war es noch 92 Euro pro Festmeter. Da allein die Aufarbeitung 20 bis 25 Euro kostet, bliebt am Ende lediglich eine rote Null übrig. Ein Preiseinbruch auf dem Holzmarkt, der für viele private Waldbesitzer längst existenzbedrohend ist.

Meterhoch liegen die Stämme zum Abtransport an den Wanderwegen. Nennenswerte Erlöse lassen sich mit dem Fichtenkäferholz nicht mehr erzielen.  
Meterhoch liegen die Stämme zum Abtransport an den Wanderwegen. Nennenswerte Erlöse lassen sich mit dem Fichtenkäferholz nicht mehr erzielen.   © WP | Michael Kleinrensing

Um im Herbst mit der Wiederaufforstung beginnen zu können, haben Holl und sein Team sich schon frühzeitig bei den bis zum Anschlag ausgelasteten Baumschulen um neue Setzlinge bemüht. Hagen setzt auf einen Mix aus Buchen, Ahorn, Douglasien, Tannen, Esskastanien, Eichen und Hainbuchen. Ob das die klügste Entscheidung ist, um dem Klimawandel zu trotzen, wird sich erst in einem halben Jahrhundert zeigen.

Wild als großer Schadfaktor

Zumal die Gefahr besteht, dass die Jungpflanzen vom Wild gleich wieder weggeknabbert werden. Manche Forstexperten warnen bereits, dass nicht etwa der Borkenkäfer, sondern künftig das Wild zum größten Schadfaktor für den Forst werde. Was nütze es beispielsweise, haufenweise neue Bäume zu pflanzen, wenn Rehe diese in kürzester Zeit wieder abäsen? Deshalb wird bereits der Ruf laut, deren Bestände per Jagd konsequent zu dezimieren, damit die Bäume wieder eine Chance bekommen. Aber das ist noch eine ganz andere Geschichte . . .