Hagen. Die Polizei Hagen setzt ab Donnerstag auf Bodycams. Die Kameras sollen zur Deeskalation beitragen.

Langsam weicht sie zurück. Ihre Worte aber sind deutlich: „Sie werden mit Bild und Ton gefilmt!“ Dann drückt Annika Scholz auf die große Taste der Kamera, die ein Format hat, das man auch in angespannten Situationen kaum verfehlen kann. Doppelklick, ein roter Ring leuchtet, ein akustisches Signal ertönt. Die Aufzeichnung läuft.

Was die junge Polizistin und ihr Kollege Christoph Grzesista auf dem Gehweg am Präsidium demonstrieren, wird ab Donnerstag Wirklichkeit. 98 Bodycams (Körperkameras) sind ab sofort bei der Polizei Hagen im Einsatz. Die ersten Kollegen tragen die Geräte, die an der kugelsicheren Schutzweste befestigt werden, im Frühdienst.

Ein Meilenstein für die Polizei Hagen

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Das neue Einsatzgerät ist ein Meilenstein für die Hagener Polizei: „Wir werben dafür, aber es ist jedem selbst überlassen, ob er die Kamera nutzt“, sagt Hubert Luhmann, Leiter der Direktion Gefahrenabwehr und Einsatz. „Viele Kollegen haben aber auf die Kameras gewartet. Ich denke, sie werden ein Selbstläufer. Diese Erfahrung zumindest haben andere Behörden gemacht.“

Dass die Kameras jetzt erst genutzt werden, hat auch mit der Corona-Krise zu tun. „Wir hatten sie ja schon länger im Haus“, so Polizeipräsident Wolfgang Sprogies, „aber die Schulung sämtlicher Kollegen war nicht so leicht zu organisieren.“

Kameras werden flächendeckend eingesetzt

Denn: Die Kameras werden flächendeckend eingesetzt. Im Wach- und Wechseldienst, wo die Schichten die Geräte einander übergeben, aber auch im Bezirksdienst, bei den Hundeführern und bei den Eingriffs-Trupps. „Es gibt immer Videos im Netz, die unangemessene Polizeigewalt dokumentieren sollen“, so Sprogies, „die zeigen aber oft nur einen Ausschnitt. Jetzt haben auch wir die Möglichkeit, das Einsatzgeschehen zu dokumentieren.“

Genutzt werden dürfen die Kameras immer dann, wenn eine konkrete Gefahr für Körper und Leben besteht. Dass das immer häufiger der Fall ist, dokumentieren die jüngsten Zahlen. „In den letzten Jahren hatten wir pro Jahr zwischen 40 und 70 Übergriffe auf Kollegen“, so Sprogies weiter. „Alleine im ersten Halbjahr 2020 waren es schon über 50. Und das, obwohl in der Hoch-Corona-Phase weniger Polizisten unterwegs waren.“ Wenn nun auch vermehrt Corona-Verstöße durch die Polizei geahndet werden, so stecke darin laut Luhmann weiteres Konfliktpotenzial.

Beamte haben keinen direkten Zugriff auf Dateien

Die Schutzweste, die die Hagener Polizisten in Dienst tragen, wiegt ohne Ausrüstung rund sieben Kilogramm.

Rechnet man die komplette Ausrüstung hinzu, addiert sich das Gesamtgewicht schon auf zwölf Kilo.

Die relativ leichten Bodycams fallen da allerdings im wahrsten Sinne des Wortes kaum ins Gewicht.

Da sie vom Winkel her in etwa dem entsprechen, was das menschliche Auge wahrnehmen kann (130 Grad), erfassen sie einen großen Bereich im Umfeld der Polizeibeamten.

Die Polizisten selbst können nicht unmittelbar sehen, was genau sie gefilmt haben. Sie können auch keine Dateien schneiden oder löschen. Die Geräte können nur durch die Vorgesetzten ausgewertet werden.

„Unser Eindruck ist, dass Menschen aggressiver werden. Es wird zugetreten, wenn jemand schon am Boden liegt“, sagt Luhmann, „und auch bei Angriffen mit Messern wird immer wieder zugestochen. Wir spüren einen zunehmenden Vernichtungswillen.“

Übertragung an Dockingstation

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Dem will die Polizei begegnen. Und zwar mit Deeskalation. „Dazu dienen auch die Kameras“, sagt Luhmann, „wenn es die Situation zulässt, weisen wir deutlich auf deren Einsatz hin. Das mag dazu führen, dass der ein oder andere sein Verhalten noch einmal überdenkt.“

Sollte das nicht der Fall sein, so wird aufgezeichnet. Die Bewegtbilder können nur mit einer Dockingstation übertragen und von Vorgesetzten eingesehen werden. Sind sie für die Aufklärung von Einsatzgeschehen oder Straftaten relevant, werden sie gespeichert. Falls nicht, nach 14 Tagen wieder gelöscht.

Die Einsatzberichte der Polizisten bestätigen, dass es immer wieder zu Eskalationen kommt. „Es ist bewundernswert, wie ruhig unsere Kollegen damit umgehen“, so Luhmann und nennt den Fall eines 18-Jährigen, der wild mit einer Softair-Pistole hantiert habe. „Die sehen einer echten Waffe zum Verwechseln ähnlich“, so Luhmann. „Es ist durch Kommunikation gelungen, den jungen Mann dazu zu bewegen, die Pistole niederzulegen. Aber das war eine Grenzsituation, bei der auch die Dienstwaffe hätte zum Einsatz kommen können. Eine Kamera wäre hilfreich gewesen.“