Hagen. Das Emil Schumacher Museum Hagen zeigt eine große Werkschau des Malers Fritz Winter

Ein Brief von Paul Klee verändert im Jahr 1927 die Welt im kleinen Ahlener Bergarbeiterhaus. Darin bestätigt der Bauhaus-Professor Klee dem jungen Elektriker Fritz Winter die Aufnahme an die berühmte Akademie. Fritz Winter (1905-1977) soll zu einem der bedeutendsten Pioniere und Vertreter der abstrakten Malerei in Deutschland werden. Das Hagener Emil-Schumacher-Museum zeigt ab 30. August eine große Retrospektive des Künstlers. Der Schwerpunkt der überwältigenden Werkschau mit rund 100 Exponaten liegt auf den Bruchstellen einer außergewöhnlichen Künstler-Biographie.

Auch interessant

Einfach ist nichts im Leben von Fritz Winter. Der Sohn eines Schachtabteufers, das älteste von acht Kindern der Familie, arbeitet nach der Elektrikerlehre nachts im Bergwerk, um tagsüber auf dem Gymnasium das Abitur nachholen und Medizin studieren zu können. Diese Anstrengung hält er körperlich nicht durch. Ein Werkkundelehrer erkennt jedoch das Talent des Jungen und rät ihm, sich am Bauhaus zu bewerben.

Dunkelheit und Licht

Als junger Maler beschäftigt sich Fritz Winter mit der Dunkelheit und dann mit dem Licht, angeregt durch die experimentelle Schwarz-Weiß-Fotografie der Bauhaus-Kollegen und vielleicht auch durch seine Erfahrungen in der Nacht des Berges. Schon früh erhält er einen Lehrstuhl. Den verliert er 1933 nach der Machtergreifung der Nazis, die sein Werk für entartete Kunst erklären und ihn mit Malverbot belegen. Das ist der erste Bruch.

Winter zieht nach München und dann nach Dießen am Ammersee. Er geht in die innere Emigration. Dann muss er als Soldat in Hitlers Krieg, wird mehrfach schwer verwundet, muss immer wieder zurück an die Front und schafft mit den sogenannten Feldskizzen ein erschütterndes zeichnerisches Tagebuch. „Darin entwickelt er gegen alle Widerstände sein Oeuvre weiter“, unterstreicht Rouven Lotz. Der Wissenschaftliche Leiter des Hagener Emil-Schumacher-Museums ist der Kurator der Ausstellung.

Triebkräfte der Erde

A

Auch interessant

uf einem Genesungsurlaub 1944 entsteht, streng geheim und geradezu prophetisch, der Zyklus „Triebkräfte der Erde“, der Fritz Winter nach Kriegsende schlagartig berühmt macht, da befindet der Maler sich noch in russischer Kriegsgefangenschaft. In den 50er- und 60er- Jahren gelingt Winter der „Durchbruch zur Farbe“. Es entsteht ein großes Werk, das die Seele und die Raumtiefe der Farbe auslotet. Winter ist einer der ersten, vielbeachteten Documenta-Künstler, er bildet in Kassel zusammen mit Arnold Bode das Professoren-Doppelgestirn, das eine junge Malergeneration, darunter der Briloner Künstler Pitt Moog, ausbildet, und er wird zum künstlerischen Aushängeschild der sich etablierenden Bundesrepublik.

Bedingt durch die schweren Kriegsverletzungen, verlassen ihn die Kräfte allmählich. Die Bildformate werden kleiner. 1975 erleidet Winter einen Schlaganfall. Der nun halbseitig gelähmte Maler kann nicht mehr arbeiten, doch seine Nichte Helga Gausling schenkt ihm Filzstifte – und das Spätwerk entsteht.

Nach dem Schlaganfall malt der Künstler mit Filzstiften weiter

„Dreimal wird sein Oeuvre durch äußere Umstände unterbrochen, und er arbeitet auf Papier weiter“, schildert Rouven Lotz die Brüche im Werk. Die Hagener Ausstellung vereint diese Papierarbeiten mit den bekannten Ölbildern. Dadurch wird deutlich, wie eigenständig und stark die Stimme Fritz Winters in der abstrakten Kunst ist – und wie hart sie errungen wurde. „Wir zeigen das Werkverzeichnis Nummer 1 und die letzte Leinwand“, so beschreibt Rouven Lotz den Anspruch der Schau, aus dem umfassenden Rückblick neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Hagener Ausstellung wird unterstützt durch das Fritz-Winter-Haus in Ahlen und das Fritz-Winter-Atelier in Dissen. Helga Gausling betreut in Ahlen den Nachlass. Das Museum ist im Elternhaus Winters eingerichtet. „Mein Onkel hat gerne und oft meine Mutter in Ahlen besucht, er war mir von Kindheit an ein naher Verwandter.“ Nach dem Tod des Künstlers wurde auch das Atelier am Ammersee in eine Galerie umgewandelt, die der Großneffe Michael Gausling leitet.

Äußere Zwänge

Immer wieder sind es äußere Zwänge, aus denen Fritz Winter ausbrechen muss. Bei den Feldskizzen ersetzt der Bleistift die unerreichbare Farbe in feinsten Abstufungen und Schraffuren. Als Künstler mit Malverbot hat er keinen Zugang zu Ölfarbe oder guten Bildträgern, so entstehen die „Triebkräfte der Erde“ auf dünnem Schreibmaschinenpapier. Die letzten „Fingerübungen“ mit dem Filzstift bezeugen den Willen des Künstlers, sich von nichts, nicht einmal von einem Schlaganfall, an seiner Arbeit hindern zu lassen. Die Hagener Werkschau macht deutlich, wie diese Fähigkeit, mit Extremsituationen umzugehen, zu großer Kunst wird.

Die Ausstellung wird am 30. August eröffnet und ist bis zum 31. Januar im Emil-Schumacher-Museum Hagen zu sehen

www.esmh.de