Hagen. Immer häufiger bringen Betrüger als falsche Polizisten Senioren um ein Vermögen. Die Ermittler der Kriminalpolizei sind häufig machtlos.
Es war der bisherige Höhepunkt einer Serie von Straftaten, mit denen Trickbetrüger in Hagen, indem sie sich als Polizeibeamte ausgaben, ältere Leute um ihr Vermögen bringen: In den späten Abendstunden des 24. Juni ergaunerten sie bei einem Ehepaar in Dahl Goldbarren, Silber und Schmuck. Die Beute hatte einen Wert in sechsstelliger Höhe.
Von den Tätern fehlt jede Spur. Die Ermittlungserfolge bei den „Straftaten zum Nachteil älterer Menschen durch überregionale Täter“, wie die Delikte im Polizeijargon genannt werden, sind ohnehin überschaubar. Das liegt an der internationalen Verflechtung der Banden, ihrer technischen Versiertheit und der Anonymität, aus der heraus sie operieren. „Es gibt immer mal wieder Festnahmen“, sagt Matthias Reinhardt (55): „Aber die sind leider die Ausnahme, zumal die Täter nach jedem Ermittlungserfolg dazulernen.“
Reinhardt ist Mitarbeiter im Kommissariat Betrug der Hagener Polizei. Seit 15 Jahren macht er Jagd auf
Trickbetrüger,
die sich wahlweise als Klempner, Gasableser oder städtische Mitarbeiter ausgeben, um sich Zutritt zur Wohnung ihrer Opfer zu verschaffen und deren Geld oder Schmuck zu stehlen. Besonders perfide sind jedoch jene Täter, die sich als Enkelkinder oder eben Polizisten ausgeben und alte Leute, wie in Dahl geschehen, am Telefon derart unter Druck setzen, dass diese ihre Wertsachen herausgeben: „Diese Leute wissen genau, welche Knöpfe sie in einem Gespräch drücken müssen“, so Reinhardt, der selbst schon Aufzeichnungen solcher Telefonate gehört hat: „Das ist richtig übel, wie da vorgegangen wird.“ Dass den Angerufenen gesagt wird, es gehe um die Aufklärung eines Verbrechens und sie seien verpflichtet zu kooperieren, ansonsten würden sie sich selbst strafbar machen, ist noch die geringste Repressalie.
Jeder kann zum Opfer werden
In Hagen waren falsche Polizisten in diesem Jahr mindestens viermal „erfolgreich“. Inflationär sind inzwischen die versuchten Betrugsfälle, bei denen die Angerufenen rechtzeitig merken, dass sie geprellt werden sollen. Ohnehin ist Reinhardt sicher, dass die Dunkelziffer der vollendeten Taten höher ist, weil sich viele Opfer scheuen, die Polizei einzuschalten oder sich Angehörigen anzuvertrauen: „Sie schämen sich. Sie verstehen einfach nicht, wie sie sich so hinters Licht führen lassen konnten“, sagt Reinhardt: „Dabei behaupte ich, dass jeder auf diese Masche hereinfallen kann.“ Jeder Mensch könne in bestimmten Situationen kalt erwischt werden: „Sogar ich, der professionell mit diesen Dingen zu tun hat. Heute bearbeite ich diese Delikte, morgen werde ich vielleicht selbst zum Opfer.“
Sein Kollege Thomas Roth (61), der im gleichen Kommissariat tätig ist, bestätigt diese Einschätzung. Bei Vorträgen zum Thema „Trickbetrug“ spiele er zunächst einen Film ein, der die bisweilen simpel anmutenden Täuschungsmanöver der Betrüger darstellt. Seine Zuhörer reagierten dann häufig mit Bemerkungen wie „Das könnte mir nicht passieren“ oder „Wie kann man nur so doof sein“, berichtet Roth: „Bis einmal ein Mann aufgestanden ist und zugab: Man kann so doof sein. Mir ist es passiert.“ Daraufhin sei die Stimmung gekippt und die Leute im Publikum hätten sich ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie verletzlich und angreifbar gerade ältere Menschen sein können. „Und dann muss man sich ja stets vor Augen halten, wie gewieft die Täter sind.“
Notrufnummer auf dem Display
Eine spezielle Software ermöglicht es den Gaunern beispielsweise, bei ihren Anrufen die 110, den Notruf der Polizei, im Display der Opfer erscheinen zu lassen. Das Täuschungsmanöver suggeriert, es sei wirklich die Polizei, die da anruft, obwohl von der wirklichen Notrufzentrale aus schon aus technischen Gründen niemand angerufen werden kann. Und überhaupt: „Die Polizei ruft niemanden an, um ihn zur Übergabe von Wertsachen und Bargeld zu bewegen“, sagt Roth.
Die Software, die Trickdiebe und Telefonbetrüger nutzen, ist inzwischen so ausgereift, dass die Anrufe kaum mehr zurückzuverfolgen sind. Die Polizei weiß, dass die Betrügereien in der Regel in der Türkei ihren Anfang nehmen, wo der Kopf der Bande sitzt. Einer seiner wichtigsten Handlanger ist der Keiler, der die meist zufällig ausgesuchten Senioren anruft. Das kann zum Beispiel ein Türke sein, der in Deutschland gelebt hat und deshalb perfekt Deutsch spricht.
Neben dem Keiler sitzt der Logistiker, der sich in dem Augenblick, in dem der Keiler ihm signalisiert, dass er ein potenzielles Opfer am Hörer hat, mit seinen Komplizen in Deutschland in Verbindung setzt und einen Abholer requiriert. Dieser holt, wie es der Name sagt, die Beute ab – an dem Ort, den der als falscher Polizist agierende Keiler den oft blind gehorchenden, in Panik versetzten Opfern angibt. Später wird die Beute häufig einem weiteren Kurier übergeben, der sie auf Schmuggelpfaden in die Türkei bringt.
Keine Kavaliersdelikte
Der Kampf gegen diese Banden ist ein Sisyphos-Kampf. „Für jeden Abholer, den wir einsperren, stehen sofort zwei neue bereit, die sich das Geld verdienen wollen“, sagt Matthias Reinhardt. An den Chef der Bande und dessen Helfer in der Türkei sei ohnehin kaum heranzukommen – neben den perfekt verschleierten Rufnummern ist auch die aufwändige Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden ein Problem für die Polizei.
Doch den Beamten ist es wichtig zu verdeutlichen, dass diese Art von Trickbetrug kein Kavaliersdelikt ist und keine humorigen, pfiffigen Schlitzohren am Werk sind, sondern ausgebuffte Kriminelle, die die Wehr- und Hilflosigkeit alter Menschen, die vielleicht gerade gesundheitlich nicht auf der Höhe oder durch den Tod eines Angehörigen von der Rolle sind, hinterhältig ausnutzen. Und dass man sich nicht schämen muss und es vor allem nicht für sich behalten sollte, wenn man diesen Verbrechern auf den Leim gegangen ist. „Um wieder mit sich selbst klarzukommen, muss man sich jemandem anvertrauen“, sagt Thomas Roth: „Sonst sinkt die Lebensqualität gegen Null.“
Dann ist nicht nur das Ersparte verloren. Dann wird man womöglich nie mehr Vertrauen in sich und andere haben.