Hagen. Es war ein schockierender Unfall mit gravierenden Folgen. Doch der Verursacher erhält für seinen Fahrfehler bloß eine Geldbuße. Hier die Gründe.

Es war ein verregneter Freitagabend an diesem 21. Dezember 2018 und, wie um diese Jahreszeit üblich, gegen 18.40 Uhr bereits stockfinster. Drei junge Leute, die bei Burger King in Vorhalle noch Hamburger gegessen hatten, setzten sich zur Weiterfahrt in den silbernen Mercedes. Einer der Insassen, ein gemeinsamer Freund und Arbeitskollege (damals 18), sollte noch eben nach Hause gebracht werden. Die Spritztour endete für ihn folgenschwer.

Auf der Anklagebank vor dem Jugendschöffengericht sitzt ein schlaksiger 21-Jähriger, der soeben seine Ausbildung abgeschlossen hat: der Mercedes-Fahrer, der seinerzeit Papas große Limousine ausgeliehen hatte. Der Vorwurf der „fahrlässigen Körperverletzung“, der ihm gemacht wird, lässt zunächst gar nicht das traurige Ausmaß dieses Falles erahnen. Als der Staatsanwalt beginnt, die Anklageschrift zu verlesen, wird er kurz unterbrochen. Ein Weinkrampf, laut vernehmbar. Der Angeklagte ist in Tränen aufgelöst.

Kontrolle über Auto verloren

Über die Volmestraße in Richtung Stadthalle ging damals die Fahrt. Dort beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 Stundenkilometer. Die drei jungen Leute im Mercedes waren gut gelaunt. Einer der beiden Mitfahrer (25) spielte auf seinem Handy und bekam gar nicht mit, wie sich der Freund hinterm Steuer plötzlich zu einem Spurwechsel entschied, um ein vorausfahrendes Auto zu überholen. Er bekam auch von der ruckartigen Lenkbewegung nach links nichts mit. Auch nicht, dass der Fahrer jetzt fester aufs Gaspedal trat und mit überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug verlor: Das Heck brach aus, der Mercedes stellte sich quer und rutschte über die Gegenfahrbahn.

Zusätzliche Forderungen

Mit der Zahlung von 4000 Euro an die Hagener Verkehrswacht sind die Unfallfolgen für den Angeklagten noch lange nicht erledigt: Es werden zusätzliche Regressforderungen, wie Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, auf ihn zukommen.

Opferanwalt Ralph Giebeler will sich zunächst an die Haftpflichtversicherung wenden. Er vertritt den Standpunkt: „Wer mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt brettert, kann kein Augenblicksversagen für sich in Anspruch nehmen.“

Dann, das schreckte den Mitfahrer von seinem Handy auf, kam es zu einem ohrenbetäubenden Knall. Kurz darauf zu einem weiteren lautstarken Knall: „Ich war ein paar Sekunden lang weg“, schildert er als Zeuge, „bewusstlos.“ Der Mercedes war mit voller Wucht gegen einen Toyota und ein weiteres Fahrzeug geprallt, hatte sich über die rechte Längsseite überschlagen und war schließlich auf dem Dach gelandet. Bilanz des Horrorunfalls: vier Verletzte, die Weihnachten im Krankenhaus verbringen mussten.

Schluchzen im Zuhörerraum

Doch besonders schwer hatte es den jungen Beifahrer getroffen, der eigentlich nach Hause gebracht werden sollte: „Er erlitt innere Verletzungen und eine Hirnblutung“, führt der Staatsanwalt sachlich aus, „bis auf die Bewegung einzelner Finger ist er bis heute zu keiner körperlichen Aktion mehr fähig.“ In diesem Augenblick ist ein zaghaftes Schluchzen aus dem Zuhörerraum zu vernehmen. Dort sitzen die Eltern des schwer Pflegebedürftigen, dessen Leben nie mehr so sein wird, wie es einmal war, die tapfer die Gerichtsverhandlung verfolgen.

Auch auf dieser Seite fließen Tränen. Christian Simonis, der Verteidiger des Angeklagten, wendet sich ihnen zu: „Mein Mandant macht sich seit dem Vorfall jeden Tag Vorwürfe, denn es ist ein Freund, den er nahezu verloren hat. Und er respektiert ihren Wunsch als Eltern, dass Sie keine Entschuldigung von ihm annehmen wollen.“

Keine Jugendstrafe

Das Jugendschöffengericht fällt sein Urteil: Von der Verhängung einer Jugendstrafe wird abgesehen, der Angeklagte muss 4000 Euro Geldbuße an die Verkehrswacht zahlen. „Denn“, so Richterin Ulrike Radke-Schäfer, „er fuhr mit einer überhöhten Geschwindigkeit, von mindestens 68 km/h bis möglicherweise 77 km/h, wie der Gutachter errechnet hat. Aber er war dadurch noch lange kein Raser. Auch wenn der Unfall schwere Folgen hatte, haben wir es hier lediglich mit einem Fahrfehler zu tun. Das mögen die Eltern und die Öffentlichkeit vielleicht anders sehen: Wir Juristen müssen das rechtlich bewerten.“