Hagen. Lea Bröde ist 18 und hat keinen Schulabschluss. Doch die junge Frau will das Ruder herumreißen.

Das Schlimme ist, dass ich weiß, dass ich nicht dumm bin. Und auch nicht faul“, sagt Lea Bröde. Die junge Frau wirkt bedrückt, enttäuscht davon, wie das Leben mit ihr spielt, ist aber dennoch nicht ganz ohne Hoffnung.

Lea Bröde ist 18, hat keinen Schulabschluss und ist sich sicher, dass so ihr Leben nicht weitergehen kann. Die Hohenlimburgerin­ lebt derzeit von Hartz IV, die Vollwaisenrente wurde ihr gestrichen, „das verstehe ich, schließlich mache ich ja nichts, wofür soll ich da Geld bekommen?“ Von dem Betrag, der ihr zur Verfügung steht, kann sie ein Busticket und ihren Handyvertrag bezahlen und sich Garderobe kaufen, „das geht einigermaßen, ich muss ja keine­ Miete zahlen.“

Von Mitschülern gemobbt

Als Lea noch ein Baby war, starb ihr leiblicher Vater, ihre Mutter vor fünf Jahren. Die 18-Jährige lebt mit ihrer jüngeren Halbschwester bei ihrem Stiefvater, „mit uns läuft es gut, ich hab’ von Anfang an Papa zu ihm gesagt.“ In der Grundschule habe sie keine Probleme gehabt, sie wäre gern zum Unterricht gegangen, und auch anfangs auf der Gesamtschule sei alles glatt gelaufen, „doch dann starb meine Mutter, das hab’ ich nicht verpackt, ich war dann lange krank geschrieben, hatte­ eine Depression.“

Irgendwann kehrte sie still und introvertiert in die Schule zurück, „ab da ging es nur noch abwärts, ich wurde von meinen Mitschülern gemobbt mit Sprüchen wie ,Kein Wunder, dass deine Mutter gestorben ist - bei einem so hässlichen Kind’.“

Lea wechselte zur Realschule, dann wurde ihr Asthma, das sie seit dem achten Lebensjahr plagt, immer­ schlimmer, „ich hatte alle zwei Wochen eine Lungenentzündung.“

Viele Fehlstunden

Aufgrund der vielen Fehlstunden musste sie die 9. Klasse wiederholen, doch auch in der Zeit der „Ehrenrunde­“ war sie häufig krank. Lehrer signalisierten ihr, dass sie aufgrund ihrer Auszeiten keinen Abschluss bekommen würde, „da hab’ ich in den Sack gehauen.“

Damals war Lea 16. Gemeinsam mit einer Psychologin und ihrem Stiefvater überlegte Lea, wie es weitergehen könnte. Etwa ein halbes Jahr später begann sie mit einer Maßnahme zur beruflichen Wiedereingliederung­ im Bereich Wirtschaft und Verwaltung, „nach einiger Zeit wollte ich in die Abschlussklasse­ aufgenommen werden, doch die war schon voll.“

Und dann kam der Winter - Asthmazeit­. Sie schmiss die Wiedereingliederungsmaßnahme­, war monatelang zu Hause. „Doch ich bin immer früh aufgestanden, hab’ meine kleine Schwester in die Schule gebracht, ein bisschen den Haushalt geschmissen und mittags gekocht.“

Lea zögert, überlegt: „Ja, es ist gut, dass ich in einer festen Familienstruktur lebe, sonst hätte ich wahrscheinlich nur abgehangen.“

Hagen: Bei der Volkshochschule den Schulabschluss nachholen

„Wir dürfen nur Leute aufnehmen, bei denen die reguläre Schulpflicht erfüllt ist, also Schüler ab 17 Jahren“, sagt Martina Brätsch. Die Studienleiterin ist bei der Hagener Volkshochschule beschäftigt und dort zuständig für den Bereich Grundbildung und Schulabschlüsse. Brätsch arbeitet mit sieben fest angestellten Lehrern, die sich um drei Klassen kümmern, zusammen.

Drei Klassen pro Schuljahr

„Wir sind eigentlich in der Erwachsenenbildung tätig, doch in den letzten Jahren kommen immer mehr junge Menschen mit gerade mal 17 zu uns“, sagt sie. Die meisten der ganz jungen Leute, die zu Martina Brätsch und ihrem Team kommen, wollen bei der VHS ihren Hauptschulabschluss nachholen. Pro Schuljahr wird eine Klasse mit maximal 25 Schülern gebildet. Außerdem bietet die VHS zwei Kurse für die Erlangung des mittleren Schulabschlusses, sprich, den Realschulabschluss, ebenfalls für je 25 Teilnehmer an. Die Vormittagskurse finden im Stadtteilhaus in Vorhalle, die Abendkurse im Fichte-Gymnasium statt.

Die Klientel, die sich entschließt, in Sachen Schulabschluss aktiv zu werden, ist gemischt. Genau wie die Motivation, sich noch einmal hinter Bücher zu klemmen. „Einige der jungen Leute merken, dass sie, um in der Arbeitswelt Fuß fassen zu können, zwingend einen Abschluss brauchen. Außerdem bekommen sie in der Regel ohne Abschluss auch keine Ausbildungsstelle“, erklärt Martina Brätsch, die seit 1991 bei der VHS beschäftigt ist, anfangs für viele Jahre als Weiterbildungslehrerin, seit 2012 als Studienleiterin.

Ältere Kursteilnehmer meist mit klarem Ziel vor Augen

Ältere Schüler - meist 20 plus oder 30 plus - hätten vielleicht jahrelange berufliche Erfahrung, würden aber im Job gern weiterkommen, „wer zum Beispiel seinen Meister machen will, braucht einen Realschulabschluss.“ Einige, die seit vielen Jahren im gleichen Beruf arbeiten würden, wollten sich aber auch komplett umorientieren. Die meisten der älteren Kursteilnehmer hätten eine klares Ziel vor Augen und die Abbrecherquote sei bei ihnen weit geringer als bei den jungen Leuten.

„Die Hälfte der Hauptschulabschluss-Klasse haut allerdings in den Sack“, sagt Brätsch, „in den ersten Wochen kommen die Teilnehmer noch motiviert, doch dann kommen die Probleme wieder hoch, Schulmüdigkeit macht sich breit, Rückschläge folgen, mit dem ständigen Scheitern kommen viele nicht klar, unentschuldigte Fehlzeiten häufen sich.“

Mut machen Brätsch und ihrem Team jene, die die Kurve kriegen: „Wer sich gut anstellt und eine Durchschnittsnote von drei hat, kann im Anschluss in die Realschulabschluss-Klasse wechseln. Die Leute schaffen es dann in zwei Jahren von 0 auf 100.“

Bewerbungsgespräch klärt vieles im Vorfeld

Die VHS kooperiert mit dem Rahel-Varnhagen-Kolleg: „Wer bei uns einen guten Realschulabschluss hinlegt, kann dann dort sogar sein Fach- oder Vollabitur machen“, sagt Brätsch. Die Anmeldung für einen Schulabschluss läuft bei der VHS übrigens nicht per Internet, „ich möchte die Interessierten schon persönlich kennenlernen. In einem ersten Gespräch spürt man gleich, ob Motivation und Ernsthaftigkeit hinter der Bewerbung steckt oder nicht.“

Die Kurse zur Erlangung von Schubschlüssen werden größtenteils vom Land NRW über das Landesweiterbildungsgesetz finanziert.

Wie es weitergehen könnte für Lea? Die 18-Jährige hat sich beim Käthe-Kollwitz-Berufskolleg, wo sie einen Schulabschluss nachholen möchte, angemeldet. „Ich steh’ auf der Warteliste, wenn ich dort einen Platz bekomme, würde es Mitte August losgehen und wenn alles klappt, hätte ich nach einem Jahr den Hauptschulabschluss nach Klasse 9.“

Was sie aus ihren Rückschlägen gelernt hat? „Ich habe kein großes Ziel mehr vor Augen, sondern denke­ in kleinen Schritten.“