Hagen. In Hagen gibt es Unternehmerfamilien, die im Rahmen der Industrialisierung Spuren hinterlassen haben. Ein Fernuniprojekt beleuchtet fünf Familien.
Es geht um Unternehmerfamilien und zwar um jene, die in Hagen sichtbare Spuren hinterlassen haben. Und es geht darum, wie diese Unternehmens-Dynastien mit ihren Pionieren an der Spitze noch heute Einfluss auf ihre Nachfahren haben. Die Rede ist vom Projekt „Hagener Unternehmerfamilien – Industrialisierungsgeschichte als Familiengeschichte“, an dem momentan an der Fernuniversität gearbeitet wird.
Nachfahren müssen Auskunftsbereitschaft zeigen
Projektleiterin ist Dr. Eva Ochs vom Institut für Geschichte und Biografie an der Fernuni. „Die zentrale Frage zu Anfang war natürlich, welche Familien wir auswählen“, sagt die 57-jährige Akademikerin. Dabei ging es nicht nur darum, Familien anzusprechen, die eine lange Tradition in Hagen haben, sondern auch ganz pragmatisch um die Auskunftsbereitschaft der Nachfahren.
Fünf Unternehmer-Familien, mit deren Nachfahren in den kommenden Monaten das Thema „Erinnerungskultur“ anhand von Interviews, die in filmische Porträts münden, beackert wird, hat Eva Ochs ausgewählt: die Familien Osthaus/Funcke, die Familie Harkort, die Familie Bechem, die Familie Wälzholz sowie die Familie Eversbusch.
Villa Bechem als Keimzelle der Fernuni
Auf den vermeintlichen Promi-Status besagter fünf Dynastien angesprochen, antwortet Eva Ochs selbstbewusst: „Wenn einige Hagener zum Beispiel sagen, die Familie Bechem würden sie überhaupt nicht kennen, dann sollte sich das ändern. Schließlich ist die Firma, die Schmierstoffe herstellt, seit 1834 in Familienhand. Und die Villa Bechem ist die Keimzelle der Fernuni.“
Zum Hintergrund des Interviewprojektes: Das Ruhrgebiet – und auch Hagen – steht Pate für die erfolgreiche Industrialisierungsgeschichte Deutschlands. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Regionalverbands Ruhr (RVR) in diesem Jahr und dem Jubiläum „275 Jahre Hagener Stadtrechte“ im kommenden Jahr wollen die Fernuni, der RVR und die Stadt Hagen die historische Bedeutung von Hagener Industrieellen-Familien in Erinnerung rufen und greifbar machen.
Finanzielle Unterstützung durch Stadt Hagen und RVR
Die Stadt Hagen wie auch der RVR unterstützen das Projekt mit jeweils 5000 Euro, davon werden u.a. ein Filmteam, das die Videos dreht, sowie die Produktion eines Best-Of-Films finanziert. Die Interviews sollen unter anderem im Hagener Stadtmuseum, das 2021 eröffnet werden soll, gezeigt, im Archiv Deutsches Gedächtnis archiviert sowie als Online-Bestand mit dem Hagener Stadtarchiv verlinkt werden.
Die Frage, ob die Erkenntnisse über die Hagener Unternehmer-Dynastien auch als Buch veröffentlicht werden, verneint Eva Ochs. „Publikationen kosten Geld, und davon steht uns für das Projekt nicht viel zur Verfügung.“ Außerdem sei ihr Ziel auch nicht das Erstellen einer Hochglanz-Werbebroschüre, die vielleicht sogar noch von den beteiligten Unternehmen mitfinanziert würde, „es handelt sich hier um eine wissenschaftliche Forschungsarbeit, daher wählen wir erst einmal den digitalen Weg.“
Corona-Krise bremst Interview-Phase aus
Wenn die Corona-Krise nicht dazwischen gekommen wäre, wären Ochs und ihr Team schon mitten beim Interview führen und auswerten, nun werden die Gesprächstermine zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, da viele der Befragten älter sind und somit zur Corona-Risikogruppe zählen.
Der Fragenkatalog, der in Kürze mit den verabredeten Interviewpartnern durchgegangen werden soll, ist breit gesteckt. „Waren Sie als Kind stolz, zu dieser Familie zu gehören?, Haben Sie in den Ferien in der familieneigenen Firma gejobbt? Gab es Situationen, in denen Sie einfach nur weg wollten, in denen Sie Firma, Familie und die Stadt einfach hinter sich lassen wollten? oder „Finden Sie, dass die Erinnerung an Ihre Vorfahren in der Stadt Hagen angemessen gewürdigt wird?“ sind nur einige Beispiele der den Protagonisten gestellten Fragen.
Fünf Familien ausgewählt
Folgende fünf Unternehmerfamilien wurden für das Projekt ausgewählt: Das Wirken der Familien Osthaus/ Funcke ist noch heute in Hagen sichtbar. Das stattliche Wohnhaus von Kunstmäzen Karl-Ernst Osthaus – der Hohenhof in Eppenhausen – ist für den Hagener Impuls ein Beispiel par excellence. Osthaus war ein Enkel des wohlhabenden Wilhelm Funcke, der 1844 die Schraubenfabrik Funcke und Hueck an der Ennepe erbaute. Der einst pompöse Unternehmenssitz gilt heute als „lost place“.
Auch die Familie Harkort, deren Ahne Friedrich Harkort (1793 bis 1880) als „Vater des Ruhrgebiets“ gilt, schreibt ein Stück Hagener Industrialisierungsgeschichte. Friedrich Harkort gilt als mittelständischer Pionier. Das in Hagen bekannte Haus Harkorten war der ehemalige Wohnsitz der Kaufmanns- und Industriellen-Familie. Es handelt sich um eine baulich fast vollständig erhaltene Gutsanlage in Haspe. Mittlerweile setzt sich ein Verein für den Erhalt des Hauses ein.
Der Stammsitz der 1834 gegründeten Firma Bechem befindet sich in Vorhalle. In mittlerweile siebter Generation leitet heute Christoph Hundertmark als Geschäftsführer das Unternehmen, das Schmierstoffe produziert.
In der stattlichen Villa Bechem an der Feithstraße waren lange Zeit Rektor und Kanzler der Fernuni beheimatet, dann wurde dort das Institut für Geschichte und Biografie einquartiert, derzeit wird die Villa renoviert.
Der Stammsitz von Wälzholz liegt in Hohenlimburg. Die C.D. Wälzholz GmbH & Co. wurde 1829 gegründet. Das Unternehmen ist ein international agierender Hersteller von kaltgewalzten und wärmebehandelten Stahlbändern und Profilen. Vor 15 Jahren übernahm Hans-Toni Junius als Vorsitzender der Geschäftsführung die Leitung des Unternehmens.
Wälzholz ist auch deshalb eng mit seinem Namen verbunden, da sich Hans-Toni Junius in zahlreichen sozialen und kulturellen Projekten in Hagen engagiert.
Die Eversbusch-Brennerei ist ein Aushängeschild für den Stadtteil Haspe. Die Firma wurde 1780 gegründet und ist auch heute – 240 Jahre nach ihrer Gründung – im Besitz der Familie Eversbusch.
Geleitet wird die Wachholderbrennerei, die dem Begriff Tradition stets eine große Bedeutung geschenkt hat, von den Brüdern Christoph und Peter Eversbusch. Die Gebäude und Räume an der heutigen Berliner Straße stehen seit 2009 unter Denkmalschutz.