Breckerfeld. 36 Jahre hat Gunter Urban in Breckerfeld als evangelischer Pfarrer gewirkt. Jetzt ist Schluss. Der Geistliche geht in den Ruhestand.

Dieser Aufstieg ist eine Zeitreise. Eine Reise, die vorbeiführt, an Blasinstrumenten, die fast 100 Jahre alt sein dürften, weil im Turmzimmer früher die Musiker der Gemeinde geprobt haben. Vorbei an einem alten Uhrwerk, das einst zum Gemeinde-Jubiläum saniert wurde und noch heute für ein paar Minuten laufen kann. Vorbei an einer Tür, hinter der man einen Blick auf das Gewölbe des Kirchenschiffs werfen kann. Und schließlich hinauf zu einer Glocke aus dem Jahr 1558.

Im Turm der Evangelischen Jakobuskirche Breckerfeld, einem Gotteshauses aus dem Mittelalter, kann man Geschichte noch atmen. Gunter Urban atmet sie. Er atmet sie tief ein. Er erzählt über das, was sich hier in all den Jahrhunderten zugetragen hat und blickt gleichzeitig zurück auf eine ganz außergewöhnliche Geschichte, die genau vor 36 Jahren und einem Monat in der Jakobus-Kirche ihren Anfang genommen hat. Es ist seine eigene Geschichte. Seine Geschichte als Pfarrer in Breckerfeld, die am 30. April 2020, mitten in der Corona-Krise, einen seltsamen Abschluss gefunden hat.

Nicht mehr auf der Kanzel

Leidenschaftlicher Pilger

Gunter Urban ist leidenschaftlicher Pilger und hat immer wieder Reisen organisiert.

Sein Ziel ist es, eines Tages den Jakobsweg bis zum Ende in Santiago de Compostela zu pilgern.

Er ist als Geistlicher mit pastoraler Beauftragung Mitglied im Vorstand der Jakobusfreunde Breckerfeld.

Diese Aufgabe wird der katholische Pfarrer Claus Optenhöfel übernehmen.

Gunter Urban wird an den Sonntagen nicht mehr auf der Kanzel stehen. Er ist jetzt ein Geistlicher im Ruhestand.

„Ich bin immer wieder mit Konfirmandengruppen hier hoch gekommen“, sagt er, als er die oberste Ebene des Turms erreicht. Eine Ebene, deren Boden eigens verstärkt worden ist, damit auch Besuchergruppen gefahrlos den Blick durch die kleinen Dachfenster werfen können, durch die man einen so wunderbaren Blick auf die Hansestadt hat.

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Durch eines dieser Fenster kann Gunter Urban, der im August 66 Jahre alt wird und dann die Altersgrenze erreicht, das Pfarrhaus sehen. Jenes Gebäude am Wengeberg, das für ihn, seine Frau Heike und die beiden Kinder Miriam und Lennart zu einem Zuhause geworden ist. Ausziehen muss er dort nicht. Es hat sich die Möglichkeit ergeben, dass die Familie das Pfarrhaus übernimmt. „Als wir damals eingezogen sind, habe ich aus der Haustür geblickt und die Bushaltestelle ,Am Kreutz’ gesehen“, sagt er. „Da habe ich mir gedacht: Hier musst du richtig sein.“

Familie bleibt in Breckerfeld

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Urban, der in Nachrodt-Wiblingwerde groß geworden ist, bleibt also Breckerfelder. Seine Großeltern waren Bauern, sein Vater Diakon und Presbyter. „Ich bin in meiner Heimat als Jugendlicher in einem offenen Gemeindehaus ein und ausgegangen“, sagt Gunter Urban, „all das hat mich geprägt.“

Wegzugehen – darüber hat er sich nur anfangs mal Gedanken gemacht. „Es gab bei meinem Dienstantritt ein Gespräch mit dem Presbyterium“, erinnert er sich, „wenn das hier passt, dann wollen wir, dass Sie länger bleiben – so hat man mir das damals gesagt.“ Es passt. Und als Tochter Miriam eingeschult wird, fällt der endgültige Entschluss für die Hansestadt. „Ich bin ein Beziehungsmensch“, sagt Urban, „ich glaube, ich habe hier einfach hin gepasst. Dass ein Pfarrer sein ganzes Dienstleben an ein und demselben Ort verbringt – das kommt heute kaum noch vor.“

Der Glaube hat im Alltag immer geholfen

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Urban ist in dieser Hinsicht ein Exot. Einer, dem der Glaube an Gott im Alltag immer geholfen hat. „Ich bin ja studierter Theologe, habe den Glauben auch wissenschaftlich durchdrungen“, sagt er, „aber der persönliche Glaube ist eben doch etwas anderes. Den hat man mir hier abgenommen. Vielleicht auch, weil für uns als Gemeinde die Freiheit eine große Rolle spielt. Wir haben nie jemandem vorgeschrieben, wie er glauben muss.“

Vielleicht ist es auch die Freiheit, die die Gemeinde bis heute zu einer lebendigen macht. „Es gibt unheimlich viele, die sich ehrenamtlich engagieren“, sagt Gunter Urban, „ich denke, dass wir es schaffen, in guter Weise mit den Menschen zu wirken. Das ist ein Fundament, auf das man hier aufbauen kann.“

Kirchenband gegründet

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So ein Turmaufstieg bietet Zeit für einen Rückblick: Auf die Freizeiten nach Skandinavien und immer wieder nach Texel, die Urban organisiert hat. Auf die Gründung der Kirchenband, die er, der er selbst in einer Party- und Rockband gespielt hat, ins Leben gerufen hat. Auf die sozial orientierten Gottesdienste, deren logische Folge schließlich sein Engagement im Forum Flüchtlinge ist.

Auf seinen Abschied hat Gunter Urban sich vorbereitet. „Es war ja klar, dass diese Zeit kommen würde“, sagt er. Geplant war eine Feier im Gottesdienst am 19. April. Dann aber kam die Corona-Krise und alles wurde anders: „Da habe ich dann alleine in der großen Kirche vor einer Kamera gestanden und einen Gottesdienst im Internet gehalten“, sagt Urban, „das ist schon seltsam.“

Das Fest zum Abschied wird nachgeholt

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Ein Fest wird nachgeholt. Und Gunter Urban freut sich – im festen Glauben an Gott – auf einen neuen Lebensabschnitt. „Wir sind vor einem dreiviertel Jahr Großeltern geworden, wir werden mehr Zeit für die Familie haben“, sagt er, „wir haben Hunde, wollen die Natur genießen. Ich werde lesen, nicht nur theologische Schriften, sondern historische Romane. Und ich werde in meinem Strandkorb auf der Terrasse sitzen und einfach nur entspannen.“