Hagen. Zum Tag der Arbeit sehen sich die Hagener Gewerkschafter in Corona-Zeiten einer Aufgabenflut gegenüber, weil sich die Arbeitswelt verändert.

„Die roten Fahnen können wir schwingen, aber dass der 1. Mai nicht als Kundgebung, sondern in Form eines Livestreams stattfindet, hätte ich mir vor ein paar Wochen auch nicht vorstellen können.“ In Corona-Zeiten blickt Stefan Marx, Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Hagen, mit durchaus gemischten Gefühlen auf den traditionellen Tag der Arbeit.

„Unsere großen Themen bleiben zwar, wir werden uns auch weiterhin um die Arbeit der Zukunft kümmern, aber im Moment dreht sich eben alles bloß um das Leben nach Corona“, verzichtet der Gewerkschaftsführer auf jegliche Klassenkampf-Rhetorik. „In dieser Phase gilt es, solidarisch zu handeln und mit Mut und neuer Hoffnung in die Zukunft zu schauen.“ Erdung pur.

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Gleichzeitig warnt Marx davor, dass Corona keinesfalls als Argument dafür herhalten dürfe, Errungenschaften wie den Arbeitsschutz auszuhebeln. Neben reichlich Fragen rund um die Kurzarbeit drehten sich die meisten Fragen an den DGB-Telefonen um den Gesundheits- und Arbeitsschutz. Außerdem wollten die Angehörigen der Pflegeberufe wissen, wann und zu welchen Bedingungen es denn endlich die versprochenen Prämien gebe. Helden der Arbeit zu sein, sei ja schön, aber irgendwann müsse es auch mal einen Schluck und nicht bloß ein Schlückchen aus der Gehaltspulle geben, lässt der Hagener DGB-Chef keinen Zweifel, dass Corona auch finanzielle Erwartungen abseits der Rettungsschirme wecke.

Liquidität sichert Arbeitsplätze

Letztere seien allerdings für die Betriebe in diesen Wochen elementar, begrüßt IG-Metall-Geschäftsführer Jens Mütze die Akutmaßnahmen von Bund und Land ausdrücklich. „Wer die Liquidität der Unternehmen sichert, sichert Arbeitsplätze“, weiß der Metaller, dass die Eigenkapitaldecke mancher Betriebe auch schon vor Corona nicht mehr so rosig ausgesehen habe wie in den Vorjahren. Entsprechend hat Mütze auch erhebliche Zweifel, wie lange die Wirtschaft die jetzige Situation durchhalte. Immerhin hätte die Hälfte der heimischen Unternehmen in der Metallbranche inzwischen Kurzarbeit angemeldet. Im Gegensatz zu den USA, wo eine Hire-and-Fire-Mentalität vorherrsche, werde in Deutschland eben versucht, qualifizierte Kräfte zu halten. Daher sei die Politik gefordert, den Betrieben möglichst lange den Rücken frei zu halten.

Mit dem Begriff „Unsicherheit“ umschreibt auch Thomas Köhler, Verdi-Bezirksvorsitzender Südwestfalen, die vorrangige Stimmung im öffentlichen Dienst in der Region zu Corona-Zeiten: „Die Arbeitswelt steht Kopf.“ Sorgen um die eigene Gesundheit und die Weiterexistenz der Arbeitsplätze wechselten sich ab mit veränderten Arbeitswelten und zunehmender Digitalisierung: „Viele Instrumente, die vorher schon da waren, aber nur mit spitzen Fingern angefasst wurden, werden jetzt plötzlich hoch geschätzt“, skizziert der Gesamtpersonalratsvorsitzende der Stadt Hagen auch ein Umdenken in den Köpfen der Arbeitnehmer. Die Verdi-Hotlines würden aktuell kaum stillstehen. Und dort seien keineswegs bloß Mitarbeiter aus den hochbelasteten Bereichen wie Gesundheit, Ordnung, IT, Finanzen und Controlling, Feuerwehr oder auch Jobcenter mit ihren Sorgen an der Strippe, die ihre Nöte und Ängste formulieren.

Arbeitsbedingungen verbessern

Dabei geht Köhler davon aus, dass die öffentlichen Betriebe, in denen die Beschäftigten ja auch mit großer innerer Überzeugung unterwegs seien, gut durch die Krise kämen und ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis stellten. Allerdings ahnt er auch, dass die nächsten Tarifrunden zumindest beim Blick auf finanzielle Forderungen sich „kompliziert“ gestalten werden, weil die Steuereinnahmen stark rückläufig seien und somit nennenswerte Tariferhöhungen vorerst eine Utopie zu bleiben drohen. Entsprechend fordert er, dass der Staat künftiger mutiger und kreativer werden müsse, sich zu refinanzieren. Parallel zu den pekuniären Aspekten müsse der Fokus aber auch darauf gerichtet werden, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern.

„Zurzeit wird alles auf Null gestellt, darin liegt auch eine Chance“, fordert DGB-Chef Marx für die Nach-Corona-Zeit eine komplette Neuorientierung in der Arbeitswelt ein. „Wir springen ja jetzt nicht bloß in die digitale Gesellschaft rein, sondern müssen auch Lieferketten neu bewerten, den Fokus auf echte Systemrelevanz richten und den Arbeits- und Gesundheitsschutz hinterfragen.“ Reichlich Stoff für engagierte und sicherlich auch kontroverse Debatten – wenn auch in diesem Jahr mal nicht im Kundgebungsformat.