Hagen. Weil die Polizei auf sich warten ließ, handelte er selbst: Zeitungsbote Hans-Jürgen Schmidt rammte das Fluchtfahrzeug der Boeler Bankräuber.

Was für eine waghalsige Tat, was für ein tollkühnes Handeln. Ganz Deutschland staunte am Wochenende über die abenteuerlichen Fernsehbilder aus Hagen: Nach einer Geldautomaten-Sprengung in Boele versucht einer der Täter im schwarzen Audi zu entkommen. Doch Augenzeuge Hans-Jürgen Schmidt (62) gibt unerschrocken Vollgas und rammt mit seinem Ford Mondeo das Fluchtauto. Wir fanden den Helden des Alltags – und sprachen mit ihm.

„Ich habe zweimal den Notruf gewählt, aber keiner ging dran“, berichtet der 62-jährige Hagener, noch immer deutlich aufgewühlt. „Weit und breit keine Polizei, da musste ich selbst handeln.“ Es ist der frühe Freitagmorgen, gegen 4 Uhr. Der Zeitungsbote steht an der Schwerter Straße, hört einen schrillen Alarm und schaut irritiert über den Boeler Marktplatz: „Da stieg eine große Rauchsäule auf.“ Dann schepperte es. Eine Explosion. „Ich wusste sofort, das ist die Deutsche Bank. Das sind die Geldautomaten. Da sind die wieder dran.“

Zwei Mittäter sind noch flüchtig

Polizeisprecher Sebastian Hirschberg: „Das war schon ein außergewöhnliches Handeln des Zeugen.“ Doch aus Sicht der Polizei rät er von solch tollkühnen Aktionen eher ab: „Wählen Sie die 110 und warten Sie auf weitere Anweisungen.“

Der festgenommene Fluchtfahrzeug-Fahrer (34) befindet sich in Untersuchungshaft. Noch gibt es keine Spur von den beiden Mittätern, die zu Fuß flüchteten. Das in den Niederlanden gestohlene Fluchtfahrzeug wird derzeit auf Spuren untersucht.

Wie berichtet, hatten drei Männer, angereist aus den Niederlanden, Gas in den Automaten eingeleitet, diesen dann in die Luft gesprengt. Ihre vorläufige Beute: Geldkassetten, befüllt mit über 100.000 Euro, die sie eiligst zum Fluchtauto schafften.

Aufgeschreckte Nachbarn standen in den Fenstern. Ein 23-Jähriger von gegenüber filmte die spektakulären Szenen in der Dunkelheit. Er hatte gleichzeitig die Polizei am Handy. Und schilderte das Geschehen, während die Sirene der Alarmanlage heulte. Lange sechs Minuten zog sich der Krimi vor dem Geldinstitut hin.

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Boeler Marktplatz.
Von Michael Kleinrensing, Alex Talash und Jens Stubbe

Beherzter Tritt aufs Gaspedal

Inzwischen war Hans-Jürgen Schmidt ebenfalls am Tatort. „Ich sah, wie ein schwarzes Fahrzeug rückwärts vor die Bank fuhr. In dem Auto saß eine vermummte Person. Mir war sofort klar, das ist einer von den Räubern. Und noch immer keine Polizei da? Dann musst Du jetzt selbst handeln!“ Der beherzte Tageszeitungsbote reagiert entschlossen. Er will die Täter stoppen. Ohne weiter darüber nachzudenken, in welche Gefahr er sich begeben könnte, tritt er ins Gaspedal. Und knallt mit seinem Wagen seitlich in das Fluchtauto der Gangster. Rumms.

Am Autobahnkreuz Wuppertal kann der schwarze Audi, mit dem einer der Räuber flüchtete, von der Polizei schließlich gestoppt werden. Die Schäden an der Seite des Fahrzeugs zeigen eindrucksvoll, mit welcher Wucht Hans-Jürgen Schmidt den Fluchtwagen gerammt hat.
Am Autobahnkreuz Wuppertal kann der schwarze Audi, mit dem einer der Räuber flüchtete, von der Polizei schließlich gestoppt werden. Die Schäden an der Seite des Fahrzeugs zeigen eindrucksvoll, mit welcher Wucht Hans-Jürgen Schmidt den Fluchtwagen gerammt hat. © Alex Talash

Von dem absichtlichen Aufprall überrascht, rauscht der maskierte Räuber, ohne seine Mittäter davon. Hans-Jürgen Schmidt mit quietschenden Reifen hinterher. Die Verfolgungsjagd endet jäh am Kreisel Dortmunder Straße: Ein Betonlaster biegt in den Kreisverkehr ein und bremst unfreiwillig das Fluchtfahrzeug aus. Blitzschnell ergreift der Zeitungsbote die zweite Chance. Er brettert von hinten gegen das Gangsterauto, das nun eingekeilt ist: „Da wäre die Flucht eigentlich zu Ende gewesen“, stöhnt Schmidt, „doch der Lastwagen ist leider weitergefahren.“

Inzwischen hatten Streifenwagen mit Blaulicht selbst die Verfolgung aufgenommen – über die Autobahn 1 in Richtung Köln. Vor dem Kreuz Wuppertal konnte das ramponierte Täterfahrzeug gestoppt, der Fahrer festgenommen werden. Auf dem Rücksitz lag die beträchtliche Geldbeute.

Neues Auto angeschafft

Hans-Jürgen Schmidt ist ein stiller Held des Alltags. Er hat einen festen Grundsatz: „Einmischen ist Bürgerpflicht, deshalb sollte man im Ernstfall auch nicht untätig zusehen.“ Die Deutsche Bank hat er durch sein entschlossenes Einschreiten vor dem Verlust von über 100.000 Euro bewahrt. Ungewiss war, ob der Boeler auf seinem eigenen Schaden sitzen bleiben wird. Am Wochenende hat er sich für 2900 Euro einen neuen Wagen kaufen müssen.

Doch Montagnachmittag meldete sich überraschend Ralf Gottwald, Filialdirektor Hagen der Deutschen Bank, mit einer erfreulichen Nachricht. „Ich bekomme meinen Schaden komplett ersetzt“, freut sich der zuverlässige Zeitungsbote, „und obendrein noch eine großzügige Belohnung.“