Gabriele Münter ist eine der bedeutendsten Protagonistinnen des deutschen Expressionismus. Eines ihrer Bilder gehört dem Osthaus-Museum.
1. „Ich war in vieler Augen doch nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky. Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben und ein schöpferischer Mensch sein kann, wird gern vergessen.”
Diese traurigen Sätze schreibt Gabriele Münter 1926 in ihr Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Liebesbeziehung zu Kandinsky schon fast zehn Jahre Geschichte. Bis heute wird die Malerin in der männlich dominierten Kunstwissenschaft, teils unbewusst, mit abwertenden Begriffen bezeichnet, zum Beispiel als „Naturtalent“, dem Reflexion und Referenzialität im Schaffen abgehe.
2. Gabriele Münter (1877-1962) gehört einer Generation an, in der Frauen noch nicht zu den Kunstakademien zugelassen sind. Bitterarme Avantgardisten halten sich über Wasser, indem sie höheren Töchtern die Grundbegriffe des Zeichnens beibringen. So lernen sich auch Münter und der elf Jahre ältere Kandinsky kennen.
Doch schnell wird klar, dass es der finanziell unabhängigen Schülerin nicht um einen Zeitvertreib geht, sondern um die tiefe Suche nach Wahrhaftigkeit. Gabriele Münter nimmt die aufregenden Entwicklungen ihrer Zeit auf, sie ist federführend beim Blauen Reiter, auch wenn sie im Impressum des gleichnamigen revolutionären Almanachs nicht einmal genannt ist. Zwischen ihrer Biographie und ihrer Kunst knüpft die Malerin selbst eine enge Beziehung: „Alle meine Bilder stellen Momente meines Lebens dar“, sagt sie. „Landschafts- und Städtebilder, auch die Interieurs und Porträts und sogar die späten Blumenstillleben rufen die wechselvolle Biographie Münters mit ihren Orten und Menschen auf.
Zurück in Hagen
Die Expressionisten aus der Sammlung des Osthaus-Museums sind nach langer Europatournee zurück in Hagen.
Diese Meisterwerke in ihrer Heimat willkommen zu heißen, sollte das Ausstellungsereignis des Jahres werden.
Doch wegen der Corona-Krise ist das Museum geschlossen und die Besucher können nicht zu den Bildern kommen.
Daher bringen wir die Gemälde zu Ihnen und verraten in unserer Serie jeweils vier Geheimnisse von Hagens bedeutendsten Kunstschätzen.
3. Das Bild „Landschaft mit weißer Mauer“ von 1911 ist das einzige Werk von Gabriele Münter in der Sammlung des Osthaus-Museums. Die Arbeit ist an ihrem Lieblingsort Murnau am Staffelsee entstanden. Sie markiert einen bedeutenden Schritt auf dem Weg von der Abkehr der realistischen Naturbetrachtung hin zur expressionistischen Umformung. Der Farbauftrag wird von der Gegenständlichkeit befreit und behauptet sich als autonomes Bildmittel. Der Farbwert ist nicht mehr der nachahmenden Wiedergabe der Natur verpflichtet; er wird zum stimmungsvollen Ausdrucksmittel.
4. Gabriele Münter gilt als eine der bedeutendsten Protagonistinnen des deutschen Expressionismus. Neben Marianne von Werefkin und Paula Modersohn-Becker ist sie zudem eine der wenigen Künstlerpersönlichkeiten dieser Zeit, die sich im Kanon der männlichen Kunstgeschichtsschreibung behaupten können. Demnächst werden ihre Tagebücher vollständig publiziert. Darin zieht sie ein bitteres Resümee ihres Verhältnisses zu Kandinsky, von dem sie gut 90 Werke versteckt in Murnau durch die Hitlerzeit gerettet hatte: „Ich habe Fehler begangen gegen mich selbst und meine Natur, weil ich den anderen und seine Wünsche höher stellte als mich selbst und meine inneren und äußeren Notwendigkeiten.“