Hagen. Fehlt das Geld, sparen Frauen oft bei Verhütungsmitteln. In Hagen fordert eine Initiative die Kostenübernahme. Kann sich die Stadt das leisten?
An eine geeignete Verhütung ist für Hartz-IV-Empfängerinnen oft nicht zu denken. Im Monat haben sie 16,11 Euro für medizinische Produkte zur Verfügung. Davon müssen Tampons, Binden oder Medikamente bezahlt werden. Mit ungeplanten Ausgaben steigt die Verzweiflung.
In Hagen fordert nun das Netzwerk der Hagener Frauengruppen finanzielle Unterstützung bei der Kostenübernahme verschreibungspflichtiger Verhütungsmittelfür Frauen. „Leider verhüten Frauen mit wenig Geld häufig unregelmäßig oder gar nicht“, erzählt Sabine Michel von der Gleichstellungsstelle.
Eine ungewollte Schwangerschaft kann zum Beispiel durch eine Hormonspirale verhindert werden. Das Langzeitverhütungsmittel ist zwischen drei und fünf Jahren wirksam, kostet aber bis zu 380 Euro. Dafür müssen Frauen mit geringem Einkommen mehr als zwei Jahre sparen.
„Verhütung ist auch Männersache“
Den Bedarf an einer sicheren und langfristigen Verhütung sieht Jutta Proske von der Beratungsstelle der AWO täglich in ihren Gesprächen mit jungen Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind. „Die Lebensplanung wird dadurch stark beeinflusst“, sagt die Beraterin. Sie müssten ihre Ausbildung abbrechen oder landen in befristeten Arbeitsverhältnissen. Doch Proske nimmt auch bewusst das andere Geschlecht in die Pflicht: „Verhütung ist auch Männersache“.
AWO und Schwangerschaftsberatungsstelle „donum vitae“ gehen in Schulklassen, um über Verhütung aufzuklären. Auch für Migrantinnen könne eine Förderung eine Chance bieten, meint Helena Scherer von der AWO: „Die Biografien von jungen Migrantinnen können sich verändern“.
Der Vorschlag des Frauen-Netzwerks sieht vor, dass langfristige Verhütungsmittel durch öffentliche Gelder finanziert werden sollen. Die kostengünstigere Antibabypille, die für drei Monate wirkt, soll zunächst nicht gefördert werden.
Prioritäten setzen
Voraussetzungen für die finanzielle Hilfe sind ein Mindestalter von 22 Jahren und dass sie Empfängerinnen von Sozialleistungen sind oder nachweislich über ein geringes Einkommen verfügen. „Wir müssen Prioritäten setzen“, betont Sabine Garmann von der Gleichstellungsstelle. Der städtische Frauenbeirat appelliert an den Hagener Rat, eine Fördersumme von 20.000 Euro bereitzustellen. Doch die Haushaltsberatungen für 2020/21 laufen noch. Mitte Dezember soll der Etat im Stadtrat verabschiedet werden. Einen Monat davor will sich der Frauenbeirat noch zu einer Sondersitzung treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. „Das ist sehr optimistisch von uns gedacht, aber wir müssen jetzt damit anfangen“, sagt Garmann. Seit 2016 ist ein spendenfinanzierter Verhütungsfonds als Zwischenlösung bei der Schwangerenberatungsstelle der AWO eingerichtet. Das Frauennetzwerk sucht auch weiterhin nach Spenden.
Jede zweite Frau spart bei der Verhütung
Doch ist die Stadt Hagen überhaupt für eine Finanzierung zuständig? Eine bundesweite Lösung gibt es bislang nicht. Im September endete das vom Frauenministerium geförderte Modellprojekt „biko“. Der „pro familia“ Bundesverband erprobte in einem Zeitraum von drei Jahren einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln für Frauen in sieben Städten. Das Ergebnis ist deutlich: Jede zweite Frau gab an, sie würde ohne die finanzielle Unterstützung durch das Projekt entweder gar nicht oder mit einer deutlich unsicheren Methode verhüten.
In Hagen wäre die geforderte Finanzierung eine zusätzliche freiwillige Leistung im Haushalt, die im Nothaushaltsrecht nur bei sofortiger Gegenfinanzierung möglich ist. Dass ein kommunaler Ansatz funktioniert, zeigt der Ennepe-Ruhr-Kreis: Dort wird ein kostenfreier Zugang für 299 Frauen mit rund 30.000 Euro unterstützt. Mit seiner Initiative will das Frauen-Netzwerk in Hagen jedoch keine zwei Jahre warten.