Haspe. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle kam Nouri Albraheem 2015 aus Syrien nach Deutschland. Was als Trauma begann, wurde zur Erfolgsgeschichte.
Deir Ezzor ist eine Großstadt im Osten Syriens mit rund 300.000 Einwohnern, die zuletzt abwechselnd vom Islamischen Staat, den Truppen des Präsidenten Assad sowie zwei weiteren Bürgerkriegsparteien erobert und beherrscht wurde. Vor allem der IS habe ihn zu einem Leben gezwungen, das er nicht führen wollte, berichtet Nouri Albraheem (31). 2015 trat er die Flucht in den Westen an, heute ist er Mathe- und Physiklehrer an der Realschule Haspe. Eine Erfolgsgeschichte in Sachen Integration.
Fit für das deutsche Schulsystem
Mit dem Pilotprojekt „Integration von Lehrkräften mit Fluchthintergrund“ (ILF) werden Lehrer, die in ihren Heimatländern eine hervorragende fachliche Ausbildung genossen haben, für das deutsche Schulsystem weiterqualifiziert.
Insbesondere das Rollenverständnis als Lehrer sowie die Unterrichtsmethoden, zum Beispiel das kooperative oder das individualisierte Lernen, sind nach Aussage von Monika Nienaber-Willaredt, Leiterin der Schulabteilung bei der Bezirksregierung Arnsberg, für Lehrkräfte mit Fluchthintergrund häufig ungewohnt.
Die Bezirksregierung in Arnsberg möchte mit dem Projekt nicht nur Flüchtlinge eine berufliche Perspektive verschaffen, sondern auch dem Lehrermangel entgegentreten. Die Teilnehmer werden daher auf zwei Jahre befristet in den Mangelfächern Mathematik, Chemie, Physik, Englisch, Französisch, Sport und Kunst eingestellt.
Denn dass sich ein Flüchtling, der aus einem völlig andersartigen Sprach- und Kulturkreis als dem europäischen stammt, nach gerade einmal vier Jahren als Lehrer arbeitet, ist schon außergewöhnlich. Albraheem profitiert dabei vom Pilotprojekt „Integration von Lehrkräften mit Fluchthintergrund“ (ILF) der Bezirksregierung Arnsberg, das darauf abzielt, Lehrer mit Fluchthintergrund für das Schulsystem zu gewinnen. „Das ILF-Projekt ist eine echte Chance – sowohl für Schulen als auch für Lehrkräfte mit Fluchtgeschichte“, sagt Monika Nienaber-Willaredt, Leiterin der Schulabteilung bei der Bezirksregierung.
Über Balkanroute nach Europa
In erster Linie ist es natürlich auf den Ehrgeiz, den Optimismus und die Fähigkeiten von Nouri Albraheem zurückzuführen, dass er nach seiner Flucht, die ihn zu Fuß, im Boot und im Auto über die Balkanroute nach Westeuropa geführt hat, dermaßen durchgestartet ist. Dabei verschlug es ihn zunächst nach Norwegen, wo ein Bekannter wohnte, doch musste er nach Deutschland zurückkehren, weil er hier als Flüchtling registriert worden war. „Ich hatte Glück“, sagte er: „In Norwegen war es sehr kalt. Das konnte ich nicht ertragen.“
Albraheem betont immer wieder, dass er Glück hatte. Dabei musste er hart arbeiten. Er nahm an mehreren Sprach- und Integrationskursen teil, landete im Lehrer-plus-Projekt der Uni Bochum und schließlich in jenem Programm der Bezirksregierung, das ihn an die Realschule in Haspe führte. „Ich habe Glück, dass ich hier so nette Menschen wie die Schulleiterin Frau Willenberg gefunden habe“, sagt er.
Sandra Willenberg gibt das Kompliment gern zurück: „Wir sind froh, dass wir Herrn Albraheem haben. Er passt perfekt zu uns.“ Schließlich verstehe sich die Schule als interkulturelle Lehranstalt mit einem internationalen Kollegium, in dem auch Lehrer aus Marokko, Sri Lanka, dem Iran und der Türkei vertreten sind: „Wir wollen nicht alle gleich machen, sondern beschäftigen uns mit den anderen Kulturen.“
Voller Respekt bei den Schülern
Denn auch unter den Schülern befinden sich syrische Flüchtlinge, für die Nouri Albraheem ein wichtiger Ansprechpartner ist, der ihre Erlebnisse nachvollziehen kann – und umgekehrt. Er wird respektiert von den Kindern und Jugendlichen – wären sie rücksichtslos, wäre das ganze Projekt zum Scheitern verurteilt, so Schulleiterin Willenberg. Als Mentor steht dem Syrer mit Stefan Bouillon ein Kollege zur Seite, dessen Rat er immer weniger braucht, je länger er eigene Erfahrungen im Schulbetrieb sammelt. „Die Entwicklung von Nouri geht steil bergauf. Man merkt aber auch, dass er ein ausgebildeter Lehrer ist, auch wenn das Schulsystem in Syrien ein anderes sein mag als bei uns.“
Auf zwei Jahre ist der Angestelltenvertrag von Albraheem in Haspe zunächst befristet, nebenher nimmt er an Fortbildungen zur Methodik und Didaktik und am eigens entwickelten Kurs „Deutsch als berufliche Sprache“ am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Dortmund teil. In seiner ersten Stunde vor den Schülern in Haspe stellte sich Albraheem mit den Worten vor: „Ich bin ein geflüchtet Lehrer aus Syrien und möchte mir hier eine neue Existenz aufbauen.“ Am Ende des Projektes will er sich auf eine unbefristete Stelle als Lehrer bewerben.