Hagen. . Neue Sachlichkeit prägt die Bauhaus-Ästhetik. Wie hat sich das auf die Fotografie in Westfalen ausgewirkt? Das untersucht eine Wander-Austtellung

Das Bauhaus hat das Sehen revolutioniert. In die Fotografie ziehen jetzt extreme Schnitte, Draufsichten sowie Versuche mit Makrostrukturen, Linien und Schatten ein. Die Spuren und Nachwirkungen dieser Experimente untersucht die Ausstellung „Neues Sehen. Neue Sachlichkeit. Fotografische Positionen in Westfalen vom Bauhaus bis heute“. Vom LWL-Museumsamt in Münster kuratiert, ist sie zuerst im Osthaus-Museum Hagen zu sehen und geht dann auf Wanderschaft mit Stationen unter anderem in Lennestadt und Brilon. Die Schau zeigt herausragende Arbeiten, allerdings bleiben auch Fragen offen.

So vermisst man zum Beispiel Arbeiten des Siegener Fotografen-Ehepaares Bernd und Hilla Becher, die mit ihren Serien-Fotografien von Industriebauten und Fachwerkhäusern einerseits in der Bauhaus-Tradition stehen, andererseits eine eigene wegweisende Schule begründet haben und zweifelsohne die bedeutendsten westfälischen Fotografen sind. Statt Fotos sind lediglich Fotobücher zu sehen. Auch der Hagener Experimental-Fotograf und Bauhaus-Künstler Heinrich Brocksieper hätte in eine Ausstellung gehört, die sich mit Bauhausimpulsen in der westfälischen Fotokunst beschäftigt. Zumindest hätte man die LWL-Ausstellung zeitlich an die viel beachtete Brocksieper-Retrospektive im Hagener Emil-Schumacher-Museum andocken müssen. Deren Finissage war am 23. Juni.

Industriefotografie

Auch inhaltlich müssen sich die Kuratorin Dr. Ute Christina Koch vom LWL-Museumsamt und der Bremer Fotograf Dieter Blase als Co-Kurator mit Kritik auseinandersetzen. Denn die Ausstellung ist in drei zeitliche Kapitel gegliedert, die recht unvermittelt nebeneinander stehen. Vor allem der Übergang von der Industriefotografie zur zeitgenössischen urbanen Heimatfotografie sollte dringend durch Wandtexte vermittelt werden.

Die Industriefotografie, die Schlote, Fördertürme und Fabrikbauten, sind der Stolz des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hier wird nicht nur Wohlstand generiert, sondern eine neue Architektur geschaffen und mit dem neuen Medium Fotografie dokumentiert. Die postmoderne urbane Fotografie handelt eher von dem, was von diesen Träumen übrig blieb. Sie zeigt die Tristesse der Vorstädte und die ungeschminkte Provinz, so wie die Medebach-Serien von Petra Wittmar.

Von Erich Consemüller und Lucia Moholy stammen bekannte Fotografien des Bauhaus-Gebäudes. Alfred Ehrhardt ist mit seinen Wattlandschaften ein Pionier der Makrostrukturen. Albert Renger-Patzsch bleibt bei der Naturfotografie und ist gleichzeitig einer der ersten, der die Industrielandschaften des Ruhrgebiets fotowürdig macht. Seit den 1920er Jahren spielt auch die Werbefotografie eine wichtige Rolle. Hier experimentieren die Künstler ebenfalls mit neuen Sichtweisen auf profane Sujets, so Ruth Hallenslebens Kompositionen von Lenkachsschenkeln aus einer Bergischen Achsenfabrik 1951 oder Peter Keetmans Stoßstangen aus dem VW-Werk in Wolfsburg 1953.

Der Bauhaus-Blick

Die Forschung unterscheidet den verfremdenden experimentellen Bauhaus-Blick und die Dokumentarfotografie etwa eines Renger-Patzschs. In der Praxis sind diese Trennlinien jedoch nicht haltbar. „Wir arbeiten mit diesen Begrifflichkeiten, aber Fotografen sind immer an Strukturen, Formen, Farben interessiert, so dass sich immer verbindende Elemente zwischen den Richtungen ergeben. Manche Aspekte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Kapitel, zum Beispiel der Makroblick oder die Kunst, Architekturfotografie in einen bleigrauen Himmel ohne Struktur zu setzen“, so Ute Koch.

Märkische Eisenbahnbrücken

Unter den zeitgenössischen Fotografen fällt der Becher-Schüler Volker Döhne auf, der Eisenbahnbrücken und Unterführungen im Bergischen und Märkischen fotografiert - darunter auch das Viadukt in Hagen-Dahl am Volmewehr. Die Essener Fotografin Petra Wittmar ist in Medebach aufgewachsen und hat ihre Heimatstadt zweimal ins Zentrum von umfangreichen Spurensuchen gerückt, 1979 bis 1984 und 2009 bis 2011. Ausgangspunkt waren die Umwälzungen in den 1980er Jahren. Der gewachsene Ort erhält plötzlich austauschbare und standardisierte Strukturen. Diesem Identitätsverlust begegnet die Bevölkerung mit einer neuen Sehnsucht nach Heimat.

Karl Ernst Osthaus hat schon vor dem Bauhaus das Medium der Fotografie entdeckt. Kustodin Dr. Birgit Schulte: „Osthaus hat seinem Design-Wandermuseum eine Fotozentrale angegliedert. In der Sammlung befanden sich bei seinem Tod 15.000 Negative.“ Albert Renger-Patzsch hat bereits 1919 in Hagen für diese Sammlung gearbeitet, von ihm stammt vermutlich auch das ikonische Fotoporträt, das Osthaus an seinem Schreibtisch zeigt. Birgit Schulte: „Industriefotografie war damals ein neues Thema. Diese Fotosammlung hat dann Walter Gropius in Osthaus’ Auftrag als Ausstellung auf Tournee geschickt.“

In Hagen ist das zweite Bauhaus-Halbjahr daher dem Thema Fotografie gewidmet, unter anderem wird die Ausstellung „Vorbildliche Industriebauten“ rekonstruiert.

Die Ausstellung ist bis zum 18, August im Hagener Osthaus-Museum zu gehen und geht dann u.a. nach Lennestadt und Brilon.