Hagen. . Eine Woche war Kurt Heidingsfeld als Tauschreporter in Hagen. Mit Mike Fiebig und Jens Stubbe zieht er eine augenzwinkernde Bilanz.
Eine intensive Woche, eine Woche voller Eindrücke, eine Woche voller guter Gespräche. Ein letztes hat Tauschreporter Kurt Heidingsfelder mit den WP-Redakteuren Mike Fiebig und Jens Stubbe geführt. Über Hagen, die Stadt, die ihren Innenstadtfluss vergessen hat, über Kurt Heidingsfelders fränkische Heimat, wo ja angeblich die erste Eisenbahn gerollt ist, und über das journalistische Arbeiten.
Kurt: Habt ihr hier eigentlich noch Handwerker?
Jens: Wieso fragst du?
Kurt: Ich möchte seit einem Jahr daheim mein Bad sanieren lassen, vergeblich. Die Handwerker kommen, schauen sich die Baustelle an, versprechen einen Kostenvoranschlag zu schicken – und lassen nie wieder von sich hören.
Mike: Könnte an deinem Bad liegen . . .
Kurt: Am Ende kommt wohl eure gemeine Ader durch.
Mike: Im Ernst: Ich habe vor zwei, drei Jahren umgebaut, und das war auch echt schwierig, der Markt boomt eben, die Handwerker können sich ihre Kunden aussuchen. Auch bei uns.
Bierexperten: Kurt Heidingsfelder bei Brauer Christian Vormann.
Foto:
Michael Kleinrensing
Kurt: Trotzdem habt ihr hier so eine hohe Arbeitslosigkeit. Warum?
Jens: Es gibt hier halt immer weniger produzierendes Gewerbe, aber viele Leute, die in dem Bereich gut aufgehoben wären.
Mike: Manchmal ist das eine nicht einfache Stadtgesellschaft in Hagen. Letztlich erreichen wir als Tageszeitung ja auch immer nur einen gewissen Ausschnitt dieser Gesellschaft.
Kurt: Das mit der Stadtgesellschaft – zumindest das ist in Nürnberg von der Tendenz her leider nicht anders.
Mike: Was hast du denn generell für einen Eindruck von unserer Stadt gewonnen?
Kurt: Hohe Dönerdichte und viele Menschen, die mit einem Sixpack zwischen den Füßen auf einer Parkbank auf den Sonnenuntergang warten.
Jens: Aber das kann doch nach fünf Tagen Hagen nicht alles sein...?
Kurt: Natürlich nicht. Ich wollte euch zum Abschied nur ein bisschen provozieren. Tatsächlich habe ich hier und da schon eine Ahnung davon bekommen, dass es hier, vor allem in den Randbereichen, auch tolle Ecken gibt und die Stadt insgesamt sicher lebens- und liebenswert ist. Ich spüre ja, wie ihr als Lokalredaktion für Hagen brennt. Aber ich sage mal so: Offensiv charmant kommt Hagen nicht daher, das wisst ihr selbst.
Mike: Die Stadt ist bei drei großen Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört worden. Es gibt tolle Fotos von früher, da standen in der City wunderschöne Häuser. Alles weg. Und nie wieder aufgebaut.
Kurt: Na ja, auf die Stadt der Reichsparteitage haben die Alliierten auch ein paar Bomben geworfen, wie ihr euch vorstellen könnt. Nürnberg war sogar eines der bevorzugten Ziele. Da war echt alles platt. Und trotz einiger Bausünden aus der Nachkriegszeit finde ich, dass die Innenstadt wieder recht hübsch geworden ist.
Eindrücke von der Volme: Hagen hat den Fluss vergessen.
Foto:
Kurt Heidingsfelder
Mike: Wie hast du denn die Menschen in Hagen erlebt.
Kurt: Es begann mit einem muffeligen Taxifahrer, aber so einen hätte ich bei uns genauso treffen können. Dann bin ich einmal mit dem Bus unterwegs gewesen. Der Busfahrer hat mich sogar zurückgegrüßt. Das fand ich bemerkenswert. Beim Griechen wollte ich draußen in der Abendsonne sitzen, ging aber nicht, weil es angeblich gleich regnen sollte – was es dann natürlich nicht getan hat. Und sonst? Die Leute, die ich beruflich getroffen habe, waren total freundlich und hilfsbereit – mit Ausnahme von euch hier in der Redaktion.
Jens: War klar . .
Kurt: Okay, ich geb’s zu, ihr habt mich super aufgenommen. Ich hätte es in Bremen, beim Weserkurier, wo ich eigentlich hin wollte, keinesfalls besser treffen können. Und eure Themen sind wirklich spannend.
Mike: Hattest du das anders erwartet?
Kurt: Mir war schon klar, dass es in Hagen nicht nur um die Vergoldung von Parkbänken gehen würde, doch dass ihr in dieser Fülle aus meiner Sicht ziemlich krasse Themen habt, hat mich dann doch überrascht.
Mike: Welche meinst du?
Kurt: Der Prozess um die Betreiber von Spielhallen, in dem es um 48 Millionen Euro unterschlagener Steuergelder geht und die beschlagnahmten Luxusautos – das war schon ein Knaller. Und dass 160 Fremde das Buffet in einem Restaurant stürmen, kommt bei uns auch nicht alle Tage vor. Ziemlich schräg finde ich auch die Geschichte mit der Toilette in der Cuno-Schule. Schüler sammeln Geld, damit eine private Firma ihre Toilette in Schuss hält. So was hätte in ganz Bayern einen Aufschrei der Entrüstung zur Folge.
Jens: Sauberkeit ist bei uns an vielen Schulen ein Problem.
Kurt: Schultoiletten, die nicht gerade zum Verweilen einladen, haben wir selbstverständlich auch. Trotzdem scheint mir auch in dem Fall das Ausmaß das Problems in Hagen noch ein ganzes Stück gravierender zu sein.
Jens: Wenn wir schon bei Toiletten sind, lass uns über Bier reden. Wenn du mit dem Auto hier wärst, würdest du eine Kiste im Kofferraum mitnehmen?
Kurt: Ja, ich fand das Pils von Vormann lecker. Das kann mit fränkischen Bieren mithalten. Mehr einheimische Auswahl habt ihr ja leider nicht.
Mike: Wo leben denn die schöneren Frauen?
Kurt: Da kann ich leider keine diplomatische Antwort geben: eindeutig in Nürnberg. Wir haben im Gegensatz zu Hagen eine richtige Uni, an der tatsächlich junge Menschen vor Ort studieren. Das macht schon was aus im Stadtbild.
Mike: Schade, dass die Basketball-Saison schon zu Ende ist. Bei einem Heimspiel hättest du mal das richtige Hagen-Gefühl erleben können.
Kurt: Was ist denn das richtige Hagen-Gefühl? Worauf sind die Hagener stolz?
Jens: Basketball spielt eine große Rolle, das Grüne, die Natur natürlich auch. Die Neue Deutsche Welle, Extrabreit, dazu das ganze Brauchtum in den Stadtteilen, da kommt schon was zusammen. Viele Menschen, die hier trotz der ganzen Probleme geblieben sind, haben schon eine ausgeprägte Liebe zur ihrer Heimat.
Mike: Hättest du denn Bock noch, mal wiederzukommen?
Kurt: Absolut. Wenn ich nächstes Jahre wieder am Reportertausch teilnehmen könnte – was leider unwahrscheinlich ist – dann würde ich diesmal nicht Bremen ankreuzen oder Köln oder Bonn. Sondern Hagen.
Jens: Woher kommt der Sinneswandel?
Kurt: Mir gefällt, wie ihr hier Lokaljournalismus macht. Ihr kennt und mögt eure Stadt, legt aber nötigenfalls den Finger in die Wunde. So muss das sein. Logischerweise habe ich in einer Woche bei allem, was ich behandelt habe, nur an der Oberfläche kratzen können. Das ist für einen Journalisten grundsätzlich unbefriedigend. Hagen und ich, wir sind eigentlich noch nicht fertig miteinander.
Mike: Wenn wir dich demnächst alle besuchen würden – wie sähe denn der perfekte Nürnberg-Tag für uns aus?
Kurt: Ich würde euch erst mal zehn Kilometer entlang der Pegnitz laufen lassen, damit ihr erlebt, wie ein Stadtfluss auch aussehen kann. Danach suchen wir uns ein wunderbares fränkisches Gasthaus und essen Schäufele.
Jens: Wir essen was?
Kurt: Schäufele, gebratene Schweineschulter mit Kartoffelklößen, die Leibspeise des Franken. Dabei kommt es nicht zuletzt auf die Kruste an, zumindest da macht uns keiner was vor.