Hagen.. Laura Kiwitz (18), Janne Rosenbaum (16) und Lucas Wermeier (19) sprechen auf einem Spaziergang über Klimawandel und ihre eigenen Ziele.
Als ich Abitur gemacht habe, da hatten wir irgendwie gar keine Haltung. Das ist 15 Jahre her. Ich glaube, wir waren eine Schülergeneration, die für nichts einstand. Der zweite Irak-Krieg war gerade erst ausgebrochen, aber das lockte keine Schüler auf die Straße. Das heute gängige Smartphone gab es nicht. Vegetarier nur vereinzelt und Veganer schon gar nicht. Die Welt war kleiner, etwas unaufgeregter.
Dass Werder Bremen deutscher Meister wurde, erregte wohl noch am ehesten die Gemüter. Wir waren Mainstream. Nichts regte uns auf, das meiste ließ uns kalt. Und jetzt sitze ich am Bismarckturm mit drei jungen Menschen, die heute das sind, was wir vielleicht hätten sein sollen – oder müssen.
Drei Gesichter der Bewegung
Laura Kiwitz (18), Janne Rosenbaum (16) und Lucas Wermeier (19) spüren keinen Druck. Das ganze Land zeigt mit dem Finger auf sie. Sie sollen liefern, sagen Parlamente. Sie werden nicht durchhalten, sagen Gegner. Sie kümmern sich um Dinge, die nur was für Große sind, sagt Christian Lindner.
Die drei sind Gesichter der Bewegung „Fridays for future“ in Hagen. Sie haben kürzlich 2000 Schüler in Hagen auf die Straße gebracht im Kampf gegen die Klimakrise. „Wir spüren keinen Druck. Die Antworten liegen vor. Sie liegen seit 40 Jahren in der Wissenschaft. Unsere Rolle ist es, auf genau diese Erkenntnisse aufmerksam zu machen“, sagt Janne Rosenbaum. „Wir alle haben begriffen, dass wir die erste Generation sind, die die Folgen der Klimakrise spüren wird. Und die letzte, die etwas dagegen tun kann.“
Weltumspannend und digital
Nach etwa einem Dutzend gewechselter Sätze im Frühlingswind am Bismarckturm wird klar, dass die ganze Schul-Schwänzer-Debatte, dieses Viel-Wind-um-nichts-Ding diesen jungen Menschen nicht ansatzweise gerecht wird. Wenn ich mich wiederum mit meinem Ich vor 15 Jahren mit ihnen vergleiche: Sie sind aufgeräumter, zielstrebiger und vor allem intelligenter als ich und viele meiner damaligen Schülergeneration es waren. Das liegt – auch aus ihrer Sicht – an dem Hauptgrund dafür, warum die Bewegung eigentlich so groß, so weltumspannend werden konnte. Sie ist digital.
Hätten wir wissenschaftliche Ergebnisse vor 15 oder 20 Jahren publik machen wollen, hätte ich die Lokalzeitung in irgendeine Bibliothek einladen müssen. Vermutlich wäre ich als Bücherwurm verschrien worden, der sich um Dinge kümmert, die außerhalb jeglicher Wahrnehmung stattfinden. Wegen mir wären nicht Hunderttausende auf die Straße gegangen.
Wissen in Sekundenschnelle auf dem Smartphone
„Und das ist es“, sagt Laura Kiwitz. „Dieses Wissen, wofür Sie in die Bücherei gegangen wären, haben wir heute in Sekundenschnelle auf dem Smartphone. Wir wissen mehr, wir recherchieren schneller und verbreiten schneller, weil eine Bewegung binnen Minuten bis auf die andere Seite der Welt vernetzen kann.“
Und weil sie eine Bewegung seien, die Menschen aller Schichten, aller Länder und aller Parteien umfasse, würde sich die Gründung einer Partei auch nicht anbieten. „Wir würden unsere Kraft verlieren.“
Steuer für Treibhausgasemissionen gefordert
Vertreter der Fridays-for-future-Bewegung haben Anfang April in Berlin konkrete Forderungen an die Politik übergeben. Kohleausstieg bis 2030, kompletter Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2035, Einhaltung des 1,5-Gradziels gemäß Pariser Abkommen, Stopp der Subvention fossiler Brennstoffe bis Ende dieses Jahres. Und: Bis 2035 soll Deutschland netto Null Prozent CO2 ausstoßen. Auch eine Steuer für Treibhausgasemissionen von 180 Euro pro Tonne wird gefordert.
„Ich kann Christian Lindner verstehen“, sagt Janne Rosenbaum, „wenn er sagt, dass wir keine Antworten haben, stimmt das in Teilen. Aber wir haben die Wissenschaft. Und die halten wir ihm vor. Es ist seine Aufgabe und die der restlichen Politik, darauf antworten zu geben. Wir befinden uns in einer Klimakrise und haben nur noch wenige Jahre Zeit. Und weil es ein Konflikt zwischen den Generationen und nicht zwischen Parteien ist, sollten wir ihn auch über die Generationen hinweg lösen.“
Vielleicht ist es ja auch das, was wiederum Christian Lindner nicht verstanden hat.
Radwegekonzept und Masterpläne
Was haben wir von diesen jungen Leuten in Hagen? Was bringt der weltweite Aufschrei ganz konkret, ganz lokal in unserer Stadt?
„Es ist doch eigentlich genau die gleiche Lage“, sagt Lucas Wermeier. „Wir haben ein Radwegekonzept, vier oder fünf Masterpläne für Verkehr bis Luft. Es sind schon so viele Ziele und Leitlinien beschlossen worden. Aber gibt es eine Sache, die wirklich umgesetzt wurde? Und viel mehr noch: Sind die Politiker in dieser Stadt wirklich mutig genug? Wir wollen eine Verkehrswende und wir wollen saubere Luft in der Innenstadt. Aber wer sagt endlich, dass Autos aus der City ausgesperrt werden müssen? Dass dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren werden muss? Wer trifft endlich die unpopulären Entscheidungen, für die man vielleicht auch mal nicht wiedergewählt wird?“
Nie Fördermittel angefordert
Die Stadt, das finden alle drei, habe sich selbst sehr eingeschränkt beim Thema Klimapolitik. Es seien in dieser Hinsicht nie Fördermittel angefordert worden. Weil kein Personal dafür da sei.
„Aber das sind Rahmenbedingungen. Man kann etwas ändern“, sagt Laura Kiwitz, „aber dafür muss man seine Haltung verändern.“ Und weil sicherlich im tiefsten Inneren jedes Politikers die Erkenntnis herrsche, dass die Klimaziele unverhandelbar seien, müsse man sich in diesem Punkt vom politischen Gezänk entfernen. Einfacher gesagt: Wenn sich eine einzelne Partei nicht traue, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, weil man sie dann nicht wiederwählt, dann müssten alle Parteien eine unpopuläre Entscheidung treffen.
„Die Rettung des Klimas in Hagen und in der Welt ist auf 1000 Wegen zu schaffen. Aber ganz sicher nicht ohne Verzicht und Schmerzen.“
365-Euro-Jahresticket
Sie bringen einen Antrag in den Umweltausschuss der Stadt ein. Die Fraktion Bürger für Hohenlimburg/Piraten macht ihnen das möglich. „Wir fordern ein 365 Euro Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel in Hagen. Busfahren soll für einen Euro am Tag möglich sein“, sagt Janne Rosenbaum. Ja, das sei finanziell ein krasser Vorschlag, sagt sie. Und ja, man müsse prüfen, wie so etwas finanziert werden kann. „Aber noch mal. Wenn man den Wandel angesichts der Klimabedrohung wirklich will, dann bleibt keine Zeit für schrittweise Annäherung an ein Thema. Wenn man das wirklich will, muss es schnell spürbare Veränderung geben.“
Zukunftsprägend
Diese Bewegung, dieser Klima-Spirit, geht den jungen Leuten wahrhaftig und spürbar durch Mark und durch Bein. Und es prägt schon jetzt ihre eigene Zukunft.
Rosenbaum hat ein Stipendium des World Wildlife Fund (WWF) erhalten, in dessen Rahmen sie forschen darf. Sie will möglicherweise Umweltwissenschaften studieren. Laura Kitwitz sagt, Umweltrecht und Klimagerechtigkeit seien Menschenrecht. „Und genau deshalb will ich Jura mit diesem Schwerpunkt studieren.“ Lucas Wermeier fühlt sich der Philosophie hingezogen. „Natur und Umwelt sind darin ein großes Thema. Generell wird mich dieses Thema vermutlich mein ganzes Leben nie wieder los lassen.“