Hagen. . Die Hagener Telefonseelsorge entwickelt eine App für Hilfen bei Suizidgefahr. Sie soll im September bereit stehen.

Im ersten Moment klingt es befremdlich: Die Hagener Telefonseelsorge entwickelt eine App für Hilfen bei Suizidgefahr. Doch wer die Hintergründe kennt, versteht die Beweggründe der Einrichtung. „Der Hauptanlass, uns per Chat oder E-Mail zu kontaktieren, ist der Gedanke an Suizid“, sagt Birgit Knatz. Mit „uns“ meint die Leiterin der Hagener Telefonseelsorge das insgesamt 90-köpfige Team.

„Ich kann nicht mehr“

Jeder zweite Chat würde mit dem Satz „Ich kann nicht mehr“ oder „Ich will nicht mehr leben“ beginnen. In jeder fünften E-Mail gehe es um das Thema Suizid, „und pro Tag erreichen uns zwei bis drei Telefonanrufe von Verzweifelten, die keinen Ausweg in ihrem Leben mehr sehen“, so Knatz.

Birgit Knatz, Leiterin der Telefonseelsorge in Hagen.
Birgit Knatz, Leiterin der Telefonseelsorge in Hagen.

Die für Nutzer kostenfreie App, die derzeit in Arbeit ist, solle unmittelbare Unterstützung und anonyme Hilfe anbieten. „Wir sehen die App als Erste-Hilfe-Koffer für die Hosentasche“, umschreibt die Expertin in Sachen ­Lebenshilfe die App bildhaft.

Innovative Einrichtung

Zum Hintergrund: Die Hagener Telefonseelsorge ist in puncto Innovation weit vorn: „In Hagen wurde vor 23 Jahren die erste Online-Telefonseelsorge-Beratung in ganz Deutschland ins Leben gerufen“, betont Birgit Knatz.

Ein damals in Hagen tätiger Mitarbeiter sei besonders online-affin gewesen und habe unter dem Motto ,Wer nicht anrufen will, kann uns doch einfach eine E-Mail schreiben’ den Online-Bereich vorangetrieben.

„Heute ist das Standard, damals waren wir in Hagen Pioniere“, so Knatz stolz.

Programmierung der App kosten 120.000 Euro

Die Herstellungskosten für die Programmierung der App liegen bei 120.000 Euro, 30.000 Euro haben die Telefonseelsorgen in Westfalen bereits bereit gestellt. Spendenzusagen liegen von einigen Einrichtungen aus ganz Deutschland (insg.105) vor. Alle Telefonseelsorgen werden über Kirchen und Spenden finanziert.

Die Hagener Telefonseelsorge ist auch für den Märkischen Kreis und den EN-Kreis zuständig. Hilfesuchende können die kostenlose Hotline 0800 111 0 111, die Anonymität gewährleistet, wählen. Pro Tag gehen etwa 35 Anrufe an, die Mitarbeiter chatten mit Betroffenen bis zu sechs Stunden pro Tag.

Firma in Münster entwickelt die App

Und nun liegt die Planung der „Krisen-Kompass-App“ ebenfalls wieder federführend in Hagener Händen? „Genau. Ein Hagener Mitarbeiter hat sich – gemeinsam mit zwei Kollegen aus Siegen und Münster – dem Thema angenommen. Eine Firma in Münster entwickelt nun die App, die im September von Hilfesuchenden kostenlos herunter geladen werden kann.“

Die Idee für besagte App stammt übrigens aus England und Holland, „beide Länder machen seit Jahren mit dem ,Krisen-Kompass’ gute Erfahrungen“, erklärt Knatz.

Liste mit Notfallnummern

Die App richtet sich an drei Zielgruppen: An Suizidgefährdete selbst, an Angehörige, die einen Menschen durch Selbstmord verloren haben sowie an jene, die Menschen kennen, die ihnen als gefährdet erscheinen. Zu den Angeboten der App gehören Listen mit Beratungsstellen und privaten Vertrauenspersonen sowie Notfallnummern. Außerdem soll es Vorschläge zur Entspannung und zur Soforthilfe geben. „Wir wollen auch Betroffene erreichen, die nicht den Mut haben, direkt bei uns anzurufen oder mit uns zu chatten“, unterstreicht Leiterin Birgit Knatz.