Hagen. . Der Weltklasse-Cellist Steven Isserlis spielt Schumann in Hagen, und GMD Joseph Trafton macht Berlioz’ Symphonie fantastique zum Horrormärchen

Steven Isserlis ist nicht nur ein Weltklasse-Cellist, er ist auch einer der seltenen Musiker, deren Spiel zuverlässig Gänsehaut erzeugt. Zwischen Auftritten in Ungarn und der Schweiz hat der Brite jetzt mit den Hagener Philharmonikern unter GMD Joseph Trafton Robert Schumanns berühmtes Cellokonzert a-Moll interpretiert – eine musikalische Sternstunde, ein Glückserlebnis. Beethovens Egmont-Ouvertüre und die Symphonie fantastique von Hector Berlioz bilden mit Schumann zusammen eine Sinfoniekonzert-Trias, die zu den bewährten und meist gespielten Kombinationen des Musikbetriebs gehört – nicht ohne Grund. Das Publikum bedankt sich mit vielen Bravorufen und langem Applaus teils im Stehen.

Eine verunglückte Geige

Endlich ist er angekommen. 1850 wird Robert Schumann (1810 – 1856) Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf, erhält Anerkennung, kann seine wachsende Familie ernähren und schreibt sein Cello-Konzert. Das Violoncello gilt damals noch als verunglückte Geige, nicht als Soloinstrument, Schumann betritt also Neuland. Und er komponiert ein Werk, das sich überhaupt nicht um die Konventionen kümmert. Die Zeitgenossen sind verwirrt. Der Uraufführungs-Cellist springt ab. Später wird man den Beginn von Schumanns Geisteskrankheit in diesen Noten lesen.

Seelenlandschaften

Das ist natürlich Quatsch, findet Steven Isserlis, der mit diesem Opus magnum als Interpret verwachsen ist wie kaum ein anderer Cellist. Denn das Cellokonzert ist ein Beitrag zur jungen Romantik. Es offenbart uns eine Seelenlandschaft. Und die legt Steven Isserlis mit so ungewohnter Rückhaltlosigkeit und Leidenschaft offen wie ein Entdeckungsreisender. Wir verstehen heute unter Romantik das Schwelgerische, Gemüthafte. So ist die echte Romantik aber nicht. Sie ist bizarr, exzentrisch, sie führt an Abgründe und über Grenzen hinaus.

Steven Isserlis spielt das Konzert mit seinem ganzen Körper, dirigiert mit, hält Blickkontakt mit dem Konzertmeister. Das ist eine ganz innige Kommunikation mit dem Orchester. Und er schafft es, die unterschiedlichsten musikalischen Charaktere dicht nebeneinander entstehen zu lassen, das allerzarteste Lied in der allerzartesten Bewegung und dann wieder der dicke, burleske Strich. Das ist wirklich Weltmusik, weil sich dem Zuhörer ein neues Universum öffnet. Als Zugabe verzaubert Isserlis sein gebanntes Publikum mit der Bearbeitung eines Marschs aus Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen.“

Schwarze Löcher des Entsetzens

Für die Zeitgenossen ist Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) der erste Romantiker, weil er der erste ist, der seelische Verwundungen anklingen lässt. Das Etikett „Klassik“ ist damals noch nicht erfunden, und Romantik meint ein Schimpfwort. Generalmusikdirektor Joseph Trafton lässt die einleitenden Egmont-Akkorde wie Kanonenschläge knallen, so sind sie ja auch gemeint. Die Spannung der einleitenden Takte findet ihre Erlösung in den Jauchzern, die typisch sind für die Bekenntnismusik Beethovens. Die goldenen Farbtupfer des Horns und die Fanfaren des Blechs fordern Freiheit ein, richten einen Appell gleichsam an die ganze Menschheit.

Begegnungen mit Alpträumen

Solche Tutti-Wirkungen werden bei Hector Berlioz (1903 – 1869) ins Gegenteil verkehrt. Der ganze große Orchesterapparat jauchzt in der Symphonie fantastique nicht mehr, sondern beschwört schwarze Löcher des Entsetzens, die nicht von ungefähr in den Blick geraten. Mary Shelley hat ihren Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ im Jahr 1818 veröffentlicht. Egmont ist so ein moderner Prometheus. Und der verliebte Held von Berlioz’ Symphonie fantastique auch, nur dass er die Begegnung mit Alpträumen schildert.

Schwarze Messe wie im Horrorfilm

Joseph Trafton findet einen schlanken, pulsierenden, Zugriff auf das ungeheure Werk, der dramaturgisch geschickt ausbalanciert ist. Das Waldweben im zweiten Satz verwandelt sich leichterhand in einen verrückten Walzer. Und dahinter lauert das Grauen.

Die Philharmoniker musizieren so wunderbar! Das Raumklang-Duett zwischen Oboe und Englischhorn kommt fein und geheimnisvoll, die gruseligen Effekte überraschen, wenn vier Fagotte und fünf Kontrabässe gleichzeitig am Zug sind. Mit Gewittergetöse brechen die Pauken in das große Englischhorn-Solo am Schluss des dritten Satzes ein. Unheimlich keckern die bocksfüßigen Holzbläser im folgenden Trauermarsch. Und dann der fette Tuba-Sound des Dies irae, das Joseph Trafton als schwarze Messe direkt wie aus dem Horrorfilm zelebriert, als Erlebnis eines Drogenrauschs.