Hagen-Mitte. . In der Lutherkirche in Hagen herrscht Baulärm, Gerüste stehen an den Wänden. Denn das entwidmete Gotteshaus wird zu einem Kindergarten umgebaut.
Dort wo sich einst die Sakristei befand, werden bald kleine Kinder ihren Mittagsschlaf halten, im ehemaligen Altarraum können sie umhertollen, und am Platz der Orgel werden sie zur Toilette gehen und sich waschen.
Dass sie sich in einem Haus befinden, in dem einmal gebetet und gepredigt wurde, dürfte den meisten Kindern kaum bewusst sein. Und doch ist es so. Die ehemalige Lutherkirche der evangelischen Stadtkirchengemeinde wird umgebaut und im nächsten Sommer als Kindergarten wieder ihre Pforten öffnen.
Paradebeispiel für eine Stadtentwicklung
Die Sanierung des Gotteshauses ist ein Paradebeispiel für vorbildliche Stadtentwicklung und gelungenen Strukturwandel. Der Stadtverwaltung ist es gelungen, die unter Denkmalschutz stehende Kirche, die das Bahnhofsviertel maßgeblich prägt, zu erhalten und gleichzeitig die Zahl der so dringend benötigten Kitaplätze zu erhöhen.
„Die Einrichtung des Kindergartens war vielleicht die letzte Chance für das Kirchengebäude“, sagt Renate Haack, Jugendhilfeplanerin in der Stadtverwaltung: „Ansonsten hätte es trotz Denkmalschutzes wohl abgerissen werden müssen.“
Schimmelsporen im Inneren
Der letzte Gottesdienst in der 1962 eingeweihten Kirche fand vor acht Jahren statt. Zum einen brauchte die Stadtkirchengemeinde, die über zwei weitere Kirchen verfügt (Johannis- und Markuskirche), die Lutherkirche nicht mehr, zum anderen war das Innere des Gebäudes mit Schimmelsporen kontaminiert und musste von Grund auf saniert werden. 2015 ließ die Gemeinde das Gotteshaus schweren Herzens entwidmen – ein Akt, dessen Emotionalität sich Pfarrerin im Schlaa bewusst war: „Das tut vielen Menschen richtig weh.“
Auch wenn sie noch wie eine Kirche aussieht, ist die Lutherkirche seitdem ein stinknormales Gebäude ohne Sonderstatus oder Zweckbestimmung. Zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten wurden in der Folgezeit diskutiert, darunter ein Hotel, ein Altenheim, ein Bürohaus, ein Kongresszentrum oder ein Wohnhaus. Auch die benachbarte islamische Gemeinde soll Interesse an einer Übernahme signalisiert haben, doch die Einrichtung einer Moschee ließen die Statuten der evangelischen Kirche nicht zu.
Vier Millionen Euro Investition in Kirchen-Umwidmung
Schließlich hatte der Hagener Tobias Wabbel die rettende Idee. Sein Plan, aus der Kirche einen Kindergarten zu machen, wurde später von der Stadt übernommen, die den Kindergarten nun nicht nur baut, sondern auch betreiben will. „Das ist ein mutiges, ehrgeiziges Projekt“, sagt Reinhard Goldbach, Leiter des Fachbereichs Jugend und Soziales: „Hier werden immerhin vier Millionen Euro investiert.“ Der Löwenanteil – 3,2 Millionen Euro – stammt aus Fördermitteln des Ministeriums für Städtebau. Denn auch die Landesregierung war begeistert von der Idee, eine Kirche in einen Kindergarten zu verwandeln.
Derzeit ist die Lutherkirche eine Baustelle. Arbeiten ziehen Zwischenwände ein, verlegen Leitungen, sanieren die Fassade und bauen eine Brandmelde- und Sprinkleranlage. Der Kindergarten entsteht als Haus im Haus, was bedeutet, dass er als Neubau innerhalb der kirchlichen Gebäudehülle errichtet wird. Zwei Geschosse wird die Einrichtung haben und 25 Räume. „Die Stadt ist religionsneutral“, wehrt Goldbach mit strengem Blick die Frage ab, ob die Kinder denn hier auch ein Morgengebet sprechen oder regelmäßig in der Bibel lesen werden.
Kirchenbänke werden tiefer gelegt
Und doch werden Überreste der einstigen Kirchenherrlichkeit auch im Kindergarten erfahrbar sein – allerdings weniger aus religiösen Motiven denn aus solchen des Denkmalschutzes. Das Taufbecken wird als gestalterisches Element in einem Gruppenraum integriert. Die 18 wunderschönen Tropfenfenster der Kirche werden aufwändig restauriert und bleiben erhalten, ebenso wie eine mit Bibelversen beschriftete Innenwand und die Hängelampen im Altarraum. Sogar die Kirchenbänke finden im Kindergarten Verwendung. Damit die Kinder auf ihnen Platz nehmen können, wird ein Schreiner sie tiefer legen und einige Elemente absägen und zur Ablage für Rucksäcke, Kleidung und dergleichen umfunktionieren.
Die Kirchenorgel wurde nach Nizza verkauft
Die einstige, ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Ott-Orgel aus der Lutherkirche wurde bereits vor zwei Jahren demontiert und ins 1170 Kilometer entfernte Nizza transportiert, wo sie nun in der katholischen Kirche St. Paul erklingt.
Kitas, Großtagespflege und Tagesmütter
In Hagen gibt es derzeit 105 Kindertagesstätten.
Damit kann der Bedarf an Betreuungsplätzen nicht gedeckt werden. Die Stadt fördert daher die Einrichtung von Großtagespflegestellen, in denen zwei Tagesmütter neun Kinder unter drei Jahren betreuen. Neun dieser Einrichtungen gibt es bereits.
Darüber hinaus sind ca. 100 weitere Tagesmütter in Hagen tätig und betreuen ca. 300 Kinder.
Die Stadtkirchengemeinde sei glücklich und dankbar über die Umwidmung der Lutherkirche, beurteilt Juliane im Schlaa, Pfarrerin der Stadtkirche, das Projekt: „Dass die Stadt Hagen an dieser Stelle ihre Verantwortung für das Bahnhofsviertel gesehen hat und mit dem Umbau der Kirche zu einer Kindertagesstätte gerade Familien im Blick hat, freut uns sehr.“ Auch wenn die Glocken, die sich im Turm befinden, nicht mehr zum Gottesdienst rufen würden, bleibe der Turm ein unverkennbares Stück Geschichte und stadtbildprägend.
Kreuze wird es allerdings keine geben im Kindergarten, wenn man von dem goldenen Kreuz, das das Dach der Kirche schmückt, einmal absieht. „Ich denke, das sollte bleiben, wo es ist“, so Goldbach beim Blick nach oben: „Schließlich sagt es viel über die Vergangenheit dieses Gebäudes aus.“
>> Zur Geschichte der Lutherkirche
Der Vorgängerbau der Lutherkirche wurde am 21. März 1889 eingeweiht.
1945 wurde die Kirche bei einem Bombenangriff der Alliierten vollkommen zerstört. Nach dem Krieg entstand eine Notkirche.
In den Jahren 1960 bis 1962 wurde der jetzige Kirchenbau errichtet. Er war ein Symbol für den Wiederaufbau der zerstörten Innenstadt.
Grund für die Schließung der Lutherkirche im Jahr 2010 war neben der brüchigen Bausubstanz die rapide Entchristlichung der Innenstadt, insbesondere des Bahnhofsviertels. Dort hat die Stadtkirchengemeinde nur noch gut 800 Mitglieder.