Breckerfeld. . Sally Perel hat die Nazi-Zeit als jüdischer Hitlerjunge erlebt. In Breckerfeld erzählt der 93-Jährige seine unglaubliche Geschichte.
Er redet. Viele Worte, eindringliche Worte, manchmal gar witzige Worte. Obwohl das Thema doch eigentlich so ernst ist. Und trotz all dieser Worte, die wie ein kleines Feuerwerk auf die zunächst schweigsamen Schüler der St.-Jacobus-Sekundarschule einprasseln, bleiben noch so viel Fragen.
Die stellen sie, nachdem der Erste das Eis gebrochen hat. „Haben sie eigentlich ihren Bruder wiedergesehen?“ will Jonas Schneider da zum Beispiel wissen. – „Eine gute, eine sehr gute Frage“, sagt Sally Perel, „gut, dass du sie stellst.“
Ein Hitler-Foto aus 30 Metern Entfernung
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Der Mann der oben an einem Tisch hinter Mikrofon und Blumen-Gebinde auf der Bühne des Martin-Luther-Hauses sitzt, mittlerweile 93 Jahre alt, beantwortet jede Frage. Die, ob er Adolf Hitler jemals persönlich getroffen habe („Ich hab’ aus 30 Metern Entfernung ein Foto von ihm gemacht“), die, ob er niemals wegrennen wollte („Dreimal habe ich überlegt, zu den Russen überzulaufen“) und auch die, ob er gläubig sei. „Gläubig – nein. Es gab Auschwitz. Da bezweifle ich die Existenz eines Gottes.“
Sally Perel, der Hitlerjunge Salomon, erzählt den Schülern in Breckerfeld seine Geschichte. Es ist eine der außergewöhnlichsten, der unglaublichsten aus der Zeit der Diktatur der Nationalsozialisten. Als Jugendlicher hat er, der Jude, den Holocaust überlebt, weil er als Hitlerjunge in einem Internat in Braunschweig gelebt hat. Vier Jahre lang – ohne entdeckt zu werden, ohne aufzufliegen.
Menschenliebe ist auf der Strecke geblieben
„Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer“, sagt Sally Perel zu Beginn seines Vortrags. „Nur so könnt ihr lernen, was in Deutschland falsch gelaufen ist, warum so eine große Mehrheit Adolf Hitler zugejubelt hat. Ihr habt das Recht, aus erster Quelle zu erfahren, was damals geschah.“
Die Menschenliebe, einer der großartigsten Werte, habe in der Nazi-Zeit versagt, sagt Sally Perel. „Ich selbst wurde in der Hitlerjugend zu Hass erzogen. Und die Nazis, die heute in Deutschland aufmarschieren, haben diesen Hass übernommen.“
Ein Leben zwischen den Welten
Er redet. Viele Worte, eindringliche Worte. Von seiner inneren Zerrissenheit, von der Spaltung seiner Seele. „Ich lebte in zwei verschiedenen Welten“, sagt Sally Perel, „ich war Jude und Nazi, Täter und Opfer in einem Körper. Ich schrie begeistert ,Es lebe der Sieg’, während in Auschwitz Juden vergast wurden.“
Je länger dieser Zustand andauerte, desto schwieriger wurde es für Perel, unter dem Einfluss antijüdischer Hetze nicht selbst zu hassen: „Ich begann mich selbst dafür zu hassen, dass ich Jude bin. Warum war ich bloß acht Tage nach der Geburt beschnitten worden?“
Nie mit anderen Hitlerjungen geduscht
Ein Umstand, den Sally Perel unbedingt geheim halten musste. „Ich habe in all der Zeit nie mit den anderen Hitlerjungen geduscht“, sagt er, „wenn medizinische Untersuchungen anstanden, musste ich mir jedes Mal eine Ausrede einfallen lassen, damit ich nicht hingehen musste.“
Er sei schnell zu einem richtigen Hitlerjungen geworden. „Mit allem, was dazu gehörte“, so Perel, „es gab nur eine Ausnahme, mit der ich mich nicht identifizieren konnte: Wenn in Rassenkunde von der Notwendigkeit der Vernichtung des jüdischen Volkes die Rede war.“
Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer. Die aber, die die Nazidiktatur miterlebt haben, gibt es bald nicht mehr. „Ihr seid jetzt Zeitzeugen“, sagt Sally Perel zu den Breckerfelder Schülern an diesem Tag, „ihr habt alles aus erster Quelle gehört. Bitte überliefert diese Wahrheit weiter.“