Hagen/Berlin. . Die Serie „Babylon Berlin“ fesselt das TV-Publikum. Historiker Ralf Blank sagt, dass auch in Hagen rechte Kräfte die Polizei unterwanderten.
Es ist eine Serie, die Millionen bewegt. Eine, die anders ist, weil sie die Zuschauer mitnimmt auf eine faszinierende Zeitreise, in das Berlin am Ende der Weimarer Republik. „Babylon Berlin“ heißt die Produktion, die auf dem Pay-TV-Sender Sky Premiere feierte und jetzt in der ARD zu sehen ist.
Wie aber hat es zu dieser Zeit in Hagen ausgesehen, was hat die Stadt ausgemacht, was hat sie bewegt? Einen kleinen Eindruck davon geben die Aufnahmen des Fotografen Max Biegel aus dem Stadtarchiv Hagen. Hintergründe erklärt der Historiker Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archiv bei der Stadt.
Wie nah kommt „Babylon Berlin“ an die historischen Wahrheit?
Ralf Blank: „Babylon Berlin“ ist zumindest eine sehr aufwändige Produktion. Sie will ein Kaleidoskop der damaligen Reichshauptstadt gegen Ende der Zwanziger Jahre geben. Auf den ersten Blick beeindrucken die Kulisse, die Qualität der szenischen Darstellung und auch die Schauspieler. Als Historiker findet man natürlich immer die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.
Wie interessant sind solche TV-Serien aus wissenschaftlicher Sicht?
Mit ein wenig Abstand, im Sommersemester, möchte ich „Babylon Berlin“ aus der Sicht von Studierenden analysieren lassen. Wie viel von dem großen Lob letztlich übrig bleibt, müssen wir schauen.
Werfen wir einen Blick auf Hagen – wie war es um die Stadt in den 20er- Jahren bestellt?
Wie in vielen anderen Städten fehlen auch bei uns noch eingehende Untersuchungen zur Gesellschaftsgeschichte. Stadtmuseum und Stadtarchiv haben 2014 im Rahmen der Ausstellung „Weltenbrand – Hagen 1914“ damit begonnen, die Kaiserzeit 1871 bis 1918 unter gesellschaftshistorischen Aspekten zu betrachten. Hier hatte sich die lokale Geschichtsschreibung vor allem auf Karl Ernst Osthaus und den „Hagener Impuls“ beschränkt.
Auch die Zeit der Weimarer Republik, die alles andere als „Goldenen Zwanziger Jahre“ waren, rückt nun in das Interesse. Das „Bauhausjahr“ mit dem 100-jährigen Jubiläum der für Design, Architektur und Kunst bedeutenden Strömung gibt auch in Hagen wichtige Impulse, einen Blick auf die Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik zu werfen.
In „Babylon Berlin“ ist die Polizei bereits von rechten Kräften unterwandert – galt das zu dieser Zeit auch für Hagen?
Ja. Eine solche Unterwanderung ist hier ebenfalls feststellen. Bei der Politischen Polizei in Hagen war der Kriminal-Assistent Heinrich Küthe tätig. Küthe zählte vor 1933 zu den Informanten und Denunzianten der NSDAP. Sein Vorgesetzter bei der Politischen Polizei, der Kriminalobersekretär Gustav Haberstein, wurde auf Küthes Betreiben und wegen seiner früheren SPD-Mitgliedschaft bereits im April 1933 suspendiert. Küthe erhielt seinen Posten. Im Frühjahr 1934 wurde er Leiter der Hagener Gestapo-Dienststelle. In diesem Jahr wurde die Polizei in Hagen wieder entstaatlicht, so dass der Hagener Oberbürgermeister auch Leiter der Ortspolizeibehörde mit Schutz- und Kriminalpolizei war.
Welche Bedeutung hatte Hagen gegen Ende der Weimarer Republik?
Am 13. Februar 1928 erreichte Hagen mit der Geburt von Theresia Floren die Einwohnerzahl von 100.000 Menschen. Damit erlangte sie den prestigeträchtigen Status einer Großstadt. Im August 1929 erfolgte dann die Eingemeindung der Stadt Haspe sowie der Gemeinden Boele, Fley, Halden, Herbeck, Holthausen und Vorhalle in die Großstadt Hagen.
Die im Vorfeld der Gebietsneugliederung ebenfalls geplante Eingemeindung der Städte Breckerfeld, Herdecke, Wetter und Hohenlimburg wurde nach Protesten jedoch nicht weiter verfolgt. Durch die Eingemeindungen 1929 erreichte Hagen schließlich eine Bevölkerungszahl von 147.770 Einwohnern.
Also Begriff sich Hagen als eine Stadt des Aufbruchs...
Immerhin kam es nach 1924 in Hagen zu umfangreichen städtebaulichen Planungen. Die Konzepte sahen unter anderem den Bau eines neuen und großen Hauptbahnhofs im Lennetal bei Kabel vor. Als Durchgangsbahnhof sollte er dem steigenden Verkehr besser gerecht werden als der bisherige innerstädtische Hauptbahnhof.
Außerdem wurde die dichte Bebauung der Gebiete Kabel, Boele und Helfe mit Wohnsiedlungen, Geschäftsvierteln und Firmen geplant. Ein in Emst vorgesehener Flughafen sollte Hagen neben dem Straßen- und Schienenverkehr auch für den damals wachsenden Luftverkehr attraktiv machen. Die zunehmend ungünstigere Wirtschaftslage gegen Ende der 1920er Jahre verhinderte jedoch die Umsetzung der Planungen.
Welche Projekte wurden denn überhaupt realisiert?
Auf dem Kuhlerkamp in Wehringhausen entstand 1926 bis 1928 die „Cunosiedlung“. Diese nach modernen Gesichtspunkten gestaltete Großsiedlung für 125 Wohnungen blieb in Hagen jedoch der einzige architektonische Höhepunkt des sozialen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik.
Einen weiteren Akzent setzte die Fertigstellung des Hengsteysees und der zugehörigen Wasserwirtschaftsanlagen im Mai 1928. Ein Jahr später erfolgte die Einweihung des Strandbads Hengstey. Eine große Straßenbrücke verband das Hagener mit dem Dortmunder Stadtgebiet. Das Laufwasserkraftwerk Hengstey und das am 30. Juni 1930 in Betrieb genommene Koepchen-Pumpspeicherkraftwerk lieferten bis in die 1980er-Jahre Elektrizität für die Region. 1931 wurde auch der Harkortsee fertiggestellt. Im Norden von Hagen war damit eine reizvoll gelegene Seenplatte entstanden.
Wie schätzen Sie die politische Situation ein?
Die späten Zwanziger und frühen Dreißiger Jahren am Ende der ersten Demokratie auf deutschen Boden waren sicherlich ähnlich turbulent, wie sie im Film „Babylon Berlin“ mit Fokus auf die damalige Reichshauptstadt vermittelt werden. Rechts- und Linksextreme lieferten sich Auseinandersetzungen, politisch herrschte ein Gefälle, das die demokratischen Parteien und Kräfte nicht mehr auffangen konnten.
Im Winter 1929/30 erreichten die Auswirkungen der im Oktober 1929 in den USA ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise schließlich das Deutsche Reich. Auch in Hagen und Hohenlimburg zeigten sich die schwerwiegenden Folgen.
Was bedeutete das konkret?
Zunehmend charakterisierten Massenarbeitslosigkeit, Preissteigerung, Einkommensverluste, Firmenschließungen und Kriminalität den Alltag der Menschen. Hinzu kamen eine politische Krise sowie gewalttätige Auseinandersetzungen, die von links- und rechtsextremen Parteien und Gruppierungen forciert und rücksichtslos betrieben wurden. In Hagen kam es immer wieder zwischen Anhängern der NSDAP und der KPD zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die teilweise in Saal- und Straßenschlachten eskalierten.
Darunter fällt auch eine Großkundgebung des NSDAP-Politikers und Berliner Gauleiters Dr. Joseph Goebbels am 12. Juli 1932 auf der „Kuhweide“ bei Hagen-Delstern. Etwa 10.000 Menschen nahmen an der Versammlung teil, die von heftigen Protesten und Gegendemonstration vor allem der KPD begleitet war. Der 1932 bei einer Auseinandersetzung mit Kommunisten getötete SA-Mann Theodor Sander aus Hagen avancierte zu einem lokalen „Märtyrer“ der nationalsozialistischen „Bewegung“, ähnlich wie Horst Wessel in Berlin.
Was prägte den kulturellen Bereich?
Die Einweihung des nach Christian Rohlfs benannten Kunstmuseums der Stadt Hagen am 9. August 1930 in der Villa Elbers stand für den Neubeginn des städtischen Museumswesens. Der Verkauf der Sammlung des renommierten Museums Folkwang durch die Erben des in Meran verstorbenen Karl Ernst Osthaus im Jahre 1922 an die Stadt Essen, die Dank kapitalkräftiger Unterstützung die Hagen überbieten konnte, wurde als kulturelles Trauma empfunden, das bis in die Gegenwart nachwirkt.
Die Neugründung eines neuen Kunstmuseums in Hagen erweckte inmitten der wirtschaftlichen und politischen Krise neue Hoffnungen und Perspektiven. Diese sollten jedoch bald darauf von den Nationalsozialisten instrumentalisiert werden.