Hagen. . Vor rund 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Die Entwicklung in Hagen wurde bereits durch den Kriegsausbruch gebremst.
Das Ende des Ersten Weltkriegs jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal. Für die Entwicklung der Stadt Hagen waren der Krieg und die Folgen ein tiefer Einschnitt. Über das Hagen vor rund 100 Jahren sprach unsere Zeitung mit dem Stadthistoriker Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive.
Welche Bedeutung hatte der Kriegsausbruch für Hagen?
Dr. Ralf Blank: Hagen befand sich im Jahr 1914 auf dem Weg zur Großstadt. 1915 hätte man wohl die notwendige Grenze von 100 000 Einwohnern überschritten. Die Stadt prosperierte. Im Nachhinein kann man von einer Electric-City sprechen. Hier rollten die ersten Elektroautos über die Straße, die ersten elektrischen Laternen wurden aufgestellt, es gab schon sehr früh eine elektrische Straßenbahn. Mit dem Ausbruch des Krieges fand der Aufstieg der Stadt ein jähes Ende. Das kann man auch daran sehen, dass der 1913 begonnene Bau der Stadthalle auf der Springe im und nach dem Krieg nicht fortgesetzt wurde. Das Gebäude wurde erst zehn Jahre später fertiggestellt.
Experte referiert über den Krieg und seine Folgen
Der Historiker Prof. Dr. Gerd Krumeich, angesehener Experte für den Ersten Weltkrieg, spricht am Donnerstag, 13. September, 18.30 Uhr, im Auditorium des Kunstquartiers.
Krumeich lehrt an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.
Dabei geht er ein auf die Waffenstillstandsbedingungen, die in der Bevölkerung für Entsetzen gesorgt hatten.
Der Vertrag von Versailles, der Deutschland verpflichtete, für alle Unkosten aufzukommen, war für viele noch unerträglicher.
Die „Dolchstoß“-Legende war und blieb dann das Haupthindernis eines friedlichen Zusammenlebens in der neuen Republik. Eine Republik, so Historiker Ralf Blank, die nicht einmal fähig gewesen sei, den heimkehrenden Soldaten die versprochene Ehrung zu erweisen und auch kein gemeinsames Gedenken der 2 Millionen Kriegstoten zu Wege gebracht habe.
Der Eintritt zum Vortrag kostet an der Abendkasse 3 Euro. Die Veranstaltung wird unterstützt vom Museums- und Archivverein Geschichtsfreunde Hagen e. V. und dem Karl-Ernst-Osthaus-Bund e. V.
Wie ist dieser Einbruch zu erklären?
Da gibt es mehrere Faktoren, die eine Rolle spielten. Die Zahl der jungen Männer, die die Stadt verließen und in den Krieg zogen, lag im unteren fünfstelligen Bereich. In der Folge fehlte es an Arbeitskräften. Die Hagener Industrie konzentrierte sich auf die Rüstungsproduktion. Dazu kam, dass die Reichsmark an Wert verlor. Geld, das die Hagener verdienten, war plötzlich nichts mehr wert.
Was bekamen die Hagener denn von der Kriegsentwicklung mit?
Relativ wenig. Man war auf Mund-zu-Mund-Propaganda angewiesen und auf das, was die Zeitungen seinerzeit veröffentlichten. Anders als im Zweiten Weltkrieg war Hagen ja nicht direkt von Kämpfen betroffen. Es gab auf Seiten der britischen Royal Air Force zwar seit 1917 konkrete Pläne für eine systematische Bombardierung Deutschlands mit Doppeldecker-Bombern, in denen Hagen und die Akkumulatoren-Fabrik in Wehringhausen eine große Rolle spielten. Aber diese Pläne wurden bis Kriegsende nicht mehr umgesetzt.
Wie haben die Hagener das Kriegsende empfunden?
Das Deutsche Reich hatte den Krieg verloren. Das haben viele als Schande empfunden. Gleichzeitig waren die Armut und die Entbehrungen im Laufe der Kriegsjahre immer größer und immer belastender auch für die Hagener geworden. Insofern fühlte man sich auf eine gewisse Weise auch befreit.
Die Situation sollte sich aber kaum bessern...
Nein. Und das hat in Hagen auch mit einem Namen zu tun. Karl-Ernst Osthaus kam – obwohl er nicht an vorderster Front kämpfen musste – geschwächt und krank aus dem Krieg zurück und hat sich von den Folgen dessen, was er erlebt hat, nie wieder erholt. Der Industrielle war an der Aufwärtsentwicklung in Hagen vor dem Krieg ganz maßgeblich beteiligt.
Inwiefern trafen Krieg und Folgen die Hagener Familien?
Rund 8000 Hagener waren im Krieg gefallen oder wurden vermisst. Viele Soldaten, die teils erst Anfang der 1920er-Jahre aus Krieg und Gefangenschaft zurückkamen, waren traumatisiert. Niemand kümmerte sich um sie. Es gab kaum Familien, die nicht zumindest im weiteren Kreis betroffen waren. Hinzu kam die Gesamtsituation in der Stadt, die Folgen für die Menschen hatte. Die Industrie lag am Boden. Die Hyper-Inflation vergrößerte die Armut ganz erheblich.
Was passierte auf politischer Ebene?
Das Kriegsende war eine sehr turbulente Zeit. Auf der einen Seite bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Auf der anderen Seite erstarkten rechtsextremistische Bewegungen. So gründete sich beispielsweise in Haspe ein Schutz- und Trutzbund. Bestärkt wurden solche Tendenzen durch den Versailler Vertrag, der den Kriegsverlierern erheblich Reparationen abverlangte. In der Stadt gab es immer wieder Proteste. Tausende gingen schon ab 1917 wegen der schlechten Versorgung auf die Straße. Das ging so weit, dass Oberbürgermeister Willi Cuno sogar das Militär in die Stadt holte. Dazu waren die Bahnhöfe im Norden, über die die Kohle aus dem Ruhrgebiet transportiert wurde, von 1923 bis 1925 von belgischen und französischen Soldaten während der Ruhrbesetzung besetzt. Auf einer Veranstaltung 1924 in der neuen Stadthalle forderte Konrad Adenauer, das Ruhrgebiet Frankreich anzugliedern.
Wie lange dauerte die Depression in der Stadt?
Erst Mitte der 20er Jahre erholte sich Hagen langsam. Die Stadt wurde neu gegliedert. Es gab Pläne, in den neu hinzugewonnenen Gebieten in Boele und Kabel ein neues Stadtzentrum zu etablieren und einen neuen Bahnhof zu bauen. Auf Emst sollte ein Verkehrsflughafen entstehen. Dabei griff man auf Osthaus-Pläne aus dem Jahr 1912 zurück. Letztlich aber fehlte für viele dieser Projekte das Geld. Die 1926 errichtete Cuno-Siedlung am Kuhlerkamp zeigt, dass auch der Bauhausstil in der Stadt des Jugendstils Fuß fassen konnte.