Hagen. . Eine packende Premiere feiert im Hagener Theater „Take a Walk on the Wild Side“. Die energiegeladene Show entführt musikalisch in die 60er-Jahre.

Samstagabend. 19.30 Uhr. Auf dem Theatervorplatz steht eine Menschenmenge. Wie eigentlich immer, wenn eine Premiere auf der Hagener Bühne ansteht. Theater, das ist vielseitig: Mal laut, mal leise, mal leicht, mal schwer, mal traurig, oder auch lustig. Doch heute trifft all das nicht zu. Rockkonzert, Underground-Party oder musikalisches Road-Movie: So muss das neue Stück „Take a Walk on the Wild Side“, welches am Wochenende Premiere feierte, beschrieben werden.

Ein etwas anderer Start in die neue Spielzeit mit Rhythmen von Stones, Beatles, Joan Baez, Patti Smith und The Who. Die Solisten Vanessa Henning, Jürgen Sarkiss und Patrick Sühl nehmen den Zuschauer durch ihre energiegeladenen Stimmen mit auf eine musikalische Zeitreise in die 60er-Jahre.

Freie Liebe und Homosexualität

Der regelmäßige Theaterbesucher bemerkt es schon an der Garderobe. Heute ist alles anders. Auf der Theke liegen Ohropax zum Schutz empfindsamer Gehörgänge gegen die laute Musik. Im großen Saal ist der rote Vorhang einer großen Videoleinwand gewichen. Man hört in Dauerschleife die Melodie des Filmklassikers „Die Mädels vom Immenhof“ von 1955. Heimatfilm-Idylle.

Vanessa Henning voll in ihrem Element.
Vanessa Henning voll in ihrem Element. © Klaus Lefebvre

Der Orchestergraben ist einem Steg ins Publikum gewichen. Wie eben bei einem Rockkonzert üblich. Als die Vorstellung beginnt, sind ein paar Plätze im Saal noch frei. Einige Abonnenten haben sich von der Ankündigung „Achtung laut! (Aber super!)“ abschrecken lassen. Auf die Stimmung im Publikum hat das aber keinen negativen Einfluss. Die Zuschauer applaudieren beim Song „Pride (In the Name of Love)“ von U2 – wer kann da schon still sitzen bleiben?

Der Besucher wird als Konzertgast durch alle Themen der 68er-Revolution gezogen, indem wechselnde Darsteller szenische Elemente einstreuen, die den Geist der Zeit widerspiegeln. Freie Liebe, Homosexualität und der obligatorische Cannabis-Joint – die schauspielerischen Elemente lassen keine gesellschaftliche Nische aus. Der Lifestyle dieser Zeit verschmilzt durch Musik und Handlungsfragmente zu einer packenden Zeitreise in die 60er-Jahre.

Vom Rockkonzert zur Mitmachparty

Manch einem Besucher ist die schamlose Direktheit zu viel: Beim Anblick eines nackten Männerhinterns verlässt ein älteres Ehepaar brüskiert den Saal. Die Themen von 1968 spalten offensichtlich – damals wie heute – die Gesellschaft.

Kritisch auseinandergesetzt wird sich auf der Bühne nicht nur mit Themen der Vergangenheit. Kurz vor der Pause erobern viele kleine Donald Trumps Bühne und Zuschauerraum. Besucherin Petra Genatowski gefällt diese Form der Gesellschaftskritik: „Die kritische Auseinandersetzung mit den politischen Themen war super. Die Stimmung war gut, wir wurden super unterhalten.“

Interaktion mit dem Publikum

Nach der Pause entwickelt sich „Take a Walk on the Wild Side“ immer mehr vom Rockkonzert zur Mitmach-Party. Die Darsteller interagieren mit dem Publikum. Man ist nicht mehr nur Zuschauer, sondern Teil eines großen Ganzen. Zum Finale steht das Theater. Alle singen, klatschen, haben gute Laune. Die Musik wird etwas aktueller. Vor der Bühne bewegen sich einige Party-Teilnehmer tanzend.

Fünf weitere Vorstellungen geplant

Weitere Vorstellungen von „Take a Walk on the Wild Side“ stehen auf dem Spielplan am 21. September (19.30 Uhr), 10. Oktober (19.30 Uhr), 28. Oktober (18 Uhr), 8. Dezember (19.30 Uhr) und 11. April (19.30 Uhr).

Kartenreservierungen: www.theaterhagen.de

Sowas gab es wahrscheinlich noch nie im Hagener Theater. Mit einer großen Überraschung – welche, das wird an dieser Stelle nicht verraten – geht „Take a Walk on the Wild Side“ zu Ende. Gut gelaunt und einen Ohrwurm vom Queen-Hit „Don’t stop me now“ im Kopf, verlassen die Zuschauer schließlich den Saal.

Sie haben ein Rockkonzert gesehen. Oder doch eine Underground-Party? Auf jeden Fall großes Theater. Denn: „Take a Walk on the Wild Side“ hat es geschafft, dass man sich in der Zeit zurückversetzt fühlt. In die (nicht bloß musikalische) Welt von 1968.