Hagen. . Die aktuellen Temperaturen sind auch für einen Weihnachtsbaum keine Kleinigkeit. Im Sommer kümmert sich der Zuchtprofi um den Formschnitt.

Mehr als 30 Grad in der Sonne, wolkenloser Himmel – gemessenen Schrittes streift Dirk Heimhard durch die Reihen der Weihnachtsbaumkultur. Sein Kennerblick schweift über jene Tannenspitzen, über die am Heiligabend dann die goldenen Lichtlein blitzen. In der Adventszeit Tausende Christbäume zu verkaufen, bedeutet eben doch nicht, in den Sommermonaten den Liegestuhl zwischen den Nadelgehölzen auszuklappen und mit kühlenden Getränken in der Hand und einem guten Buch im Schoß den Kulturen genüsslich beim Wachsen zuzuschauen.

Das Schönheitsideal

„Für uns gibt es auch in den Sommermonaten reichlich zu tun“, reckt der 48-jährige Weihnachtsbaumerzeuger vom Gut Kuhweide in Delstern quasi als Gegenbeweis eine ganz gewöhnliche Gartenschere in die Höhe. „Damit nehmen wir in diesen Tagen Korrekturen vor und kümmern uns um den Formschnitt“, versucht er bei bestem Sommerwetter skeptisch-kritische Blicke der Kunden im Winter zu vermeiden. Denn es gilt weiterhin das Schönheitsideal: Der perfekte Weihnachtsbaum sollte sowohl dicht als auch rund gewachsen sein und über keine allzu lange Spitze verfügen.

Ein Ideal, dem beispielsweise schon ein harmloser Vogel schnell einen Strich durch die Rechnung machen kann. Zum Beispiel, wenn dieser zu dynamisch auf der jungen, zarten Spitze eines Bäumchens landet und diese abknickt. Sofort werden die angeknackste Spitze kupiert und im gleich Arbeitsgang auch die Seitentriebe gestutzt. Damit ist der Baum zwar für den diesjährigen Verkauf nicht mehr zu gebrauchen. Doch im nächsten Jahr treibt die Spitze wieder aus, nach drei Jahren können bloß Experten die zwischenzeitliche Amputation noch ausmachen. Dennoch: Etwa die Hälfte der Bäume schafft es mangels optischer Qualität nicht in den Verkauf, sondern endet im Schredder.

Mit einem echten Spezialwerkzeug kümmert sich Heimhard zudem um jene Bäume, die allzu dynamisch in die Höhe schießen und sich somit im oberen Drittel des weihnachtlichen Deko-Gehölzes zu luftig entwickeln. Mit der sogenannten Top-Stopp-Zange, ein patentierter Kneifer für stolze 400 Euro, werden an dem noch schmalen Stamm sanfte Schnitte gesetzt, der Saftstrom unterbrochen und somit der Höhentrieb ausgebremst. Ein baumchirurgischer Eingriff, der vor allem viel Erfahrung erfordert, um die Pflanze nicht zu schädigen.

Die Trockenheit

Etwa 300 000 Bäume auf insgesamt 45 Hektar Fläche betreut der Erzeuger aus Delstern mit seinem dreiköpfigen Team während der Sommermonate. Das anhaltend schöne, aber auch trockene Wetter in diesem Jahr hat den Kulturen bislang keinen Schaden zugefügt.

Hagen wird 2018 Hauptstadt des Weihnachtsbaumes

Am 8. November diesen Jahres wird Hagen zur deutschen Weihnachtsbaum-Hauptstadt. Denn an diesem Donnerstag steht auf Gut Kuhweide die offizielle Eröffnung der Weihnachtsbaumsaison an.

Diese wird alljährlich vom Bundesverband der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger in einem anderen Bundesland ausgerichtet, diesmal in NRW. Als Vorstandsmitglied der Fachgruppe im Landesverband Gartenbau Westfalen-Lippe wurde Heimhard auserkoren, diesen Tag zu organisieren.

Die eigentliche Weihnachtsbaumsaison beginnt für den Erzeuger allerdings bereits Anfang Oktober, wenn die ersten Topfbäume aus der Erde kommen. Ab der zweiten Novemberhälfte werden dann die ersten Bäume – vorzugsweise für Großkunden – geschlagen.

Bei Familie Heimhard selbst wird der Weihnachtsbaum tatsächlich erst am 24. Dezember aufgestellt. Zuletzt handelte es sich um eine Korktanne, die optisch einer Blaufichte zwar ähnelt, jedoch deutlich weichere Nadeln hat und zudem angenehm duftet.

Wirklich Ruhe kehrt auf Gut Kuhweide erst Mitte Januar mit der buchhalterischen Nachbereitung der Saison ein. Allerdings bloß bis Mitte März: Dann beginnt schon wieder die Vorbereitung der neuen Pflanzflächen.

Während seine Kollegen in Norddeutschland und Brandenburg über erhebliche Verluste klagen, sieht Heimhard auf seinen Flächen bislang keine gravierenden Probleme: „Bis in den Mai hinein hat es immer wieder Niederschläge gegeben und in unseren relativ lehmigen Böden hält sich die Feuchtigkeit. Zudem sind die Nächte immer recht kühl.“ Im Super-WM-Sommer 2006, so erinnert sich der 48-Jährige, seien ihm einmal 10 000 Nordmanntannen kaputt gegangen, weil sie einfach nicht so tief wurzeln wie Fichten. Die Diagnose: Sonnenbrand – Nadelverbräunung.

Lediglich bei den Jungpflanzen sei die Situation in diesem Jahr ein wenig kritischer. 45 000 neue Bäume wurden rund um Gut Kuhweide im April und Mai per Hand in die Erde gebracht. Die etwa drei bis vier Jahre alten Pflanzen, die von Baumschulen vorgezüchtet werden, recken sich bisher etwa 15 bis 30 Zentimeter aus dem Gras der Kulturflächen. Mit einem Spezialrasenmäher wird das Grün zwischen den Baumreihen regelmäßig kurz gehalten. „Dabei verzichten wir komplett auf Pflanzenschutzmittel.“

Für Abwechslung in den Monokulturen sorgen zudem Blühstreifen für Insekten, deren Blütenvielfalt tatsächlich summende Besucherscharen anlocken und damit für den erhofften ökologischen Effekt im Einerlei der Nadelholz-Vegetation sorgen. Ein wenig Nachhilfe per Magnesium-Dünger erhalten die Bäume bei Bedarf lediglich bei der Farbentwicklung. Diese Entscheidung trifft Heimhard im Herbst, wenn wieder verlässlich Niederschläge zu erwarten sind, nach Augenmaß.

Die Favoriten

Absoluter Renner im Angebot sind dabei mit einem Anteil von 70 Prozent weiterhin die Nordmanntannen, gefolgt von den Blaufichten (25 Prozent), die bis in die 90er-Jahre den Spitzenplatz belegten. Die klassische Rotfichte spielt derweil überhaupt keine Rolle mehr. Entsprechend ist ein Großteil der Kuhweide-Kulturen auch eingezäunt.

Denn vor allem Rehe wissen die jungen, relativ zarten Triebe der Nordmanntannen als echte Leckerei zu schätzen. Auch Exoten wie die Colorado-Tannen, deren langen Nadeln zum Weihnachtsfest einen zarten Zitronenduft versprühen, gehören zum bevorzugten Speiseplan des Wildes.

Sorge vor Wildschweinen

Daher wirft Heimhard bei seinen regelmäßigen sommerlichen Kon­trollgängen nicht bloß ein waches Auge auf unregelmäßigen Wuchs und möglichen Pilzbefall der Bäume, sondern ebenso auf die Zaunanlagen: „Sollte nämlich eine Wildschweinrotte sich unter den Drahtgeflechten hindurchzwängen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis hungriges Rehwild den Schwarzkitteln folgt und die Nordmanntannen systematisch abkaut.“

Ein Schaden, den Heimhard selbst mit dem geschicktesten Einsatz von Gartenschere und Topstopp-Zange nicht mehr heilen kann – dann hilft tatsächlich bloß noch die Säge. Ein Arbeitsgerät, das während der Sommermonate eigentlich im Geräteschuppen bleiben sollte.