Hagen. . Kristine Larissa Funkhauser und Ismail Seyhan wissen als Ehepaar und Musiker, dass sich Integration und Identität nicht gegenseitig ausschließen.
Ismail Seyhans Wurzeln liegen in Finnentrop. „Ja, da staunen immer alle“, lacht der Musiker. „Die Leute denken, ich bin ein ganzer Türke, und dabei ist meine Mutter ein waschechtes kölsches Mädchen mit Verwandtschaft im Sauerland.“ So viel Heimat muss sein. Mit seiner Frau, der beliebten Mezzosopranistin Kristine Larissa Funkhauser vom Theater Hagen, baut der Pianist musikalische Brücken. Wie funktioniert Heimat zwischen Muttersprache und Vaterland, zwischen Kommen, Gehen und Bleiben? Wie kann man Vorurteile abbauen? Als Ehepaar und als Künstler suchen die beiden keine Abgrenzung, sondern erfahren Austausch als Bereicherung.
„Für mich ist Heimat nicht darüber definiert, wo ich lebe, sondern, was ich damit verbinde“, betont Kristine Larissa Funkhauser, „ein Geruch, ein Essen, ein Lied.“ Am Theater Hagen arbeitet die Sängerin mit Kollegen aus vielen Nationen zusammen. Privat ist sie in einer Kleinfamilie aufgewachsen. „An die Großfamilie Seyhan musste ich mich erst gewöhnen“, bekennt sie, und ihr Mann ergänzt: „Bei uns haben sich zwei Kulturen getroffen, rheinisch und türkisch. Meine Oma hat immer zu meiner Mutter gesagt: Du musst einen Katholiken heiraten. Das hat ja super geklappt. Aber als meine Mutter dann mit meinem Vater ankam, gab es keine Probleme.“
Integration als Sprachproblem
Vielleicht waren die Dinge für die erste Einwanderer-Generation einfacher, und erst die dritte Generation wird jetzt mit Identitätskonflikten konfrontiert. „Integration ist vor allem ein Sprachproblem“, weiß Kristine Funkhauser. „Bei uns zu Hause wurde immer Deutsch gesprochen. Die Sprache öffnet Türen, wenn Du sie nicht beherrschst, bleibst Du klein“, fügt Ismail Seyhan hinzu.
Ismail Seyhans Vater dirigiert ein türkisches Musikensemble. Er kann keine Noten lesen. Das Repertoire wurde immer mündlich weitergegeben. Sein Sohn hat in Düsseldorf Klavier studiert und leitet den Fachbereich Tasteninstrumente an der Musikschule Burscheid. Der Versuch, dort türkische Instrumente wie die Saz anzubieten, musste mangels Interesse wieder eingestellt werden. Die türkischstämmigen Kinder, die kommen, die wollen Klavier lernen. Integration ist hauptsächlich eine Frage der Bildung, egal ob der Vorname Ali oder Jupp lautet. Angebote mit türkischer Musik erreichen eben auch in Deutschland nur jene Türken, die sich ohnehin für Kultur interessieren.
Das hat Kristine Funkhauser bei der Oper „Gegen die Wand“ nach dem Film von Fatih Akin in Hagen erfahren. Für ihre Rolle der Sibel ist sie zur Sängerin des Jahres gekürt worden. „Wir haben begleitend einen türkischen Liederabend gestaltet, und ich wollte unbedingt, dass dazu Türken ins Theater kommen. Mit meinem Schwiegervater bin ich die Elberfelder Straße rauf- und runter gelaufen und habe Zettel auf Türkisch verteilt und bestimmt 50 Leute angesprochen, doch keiner ist gekommen. Die Hemmschwelle ist zu hoch.“
Kristine Larissa Funkhauser gehört zu den wenigen deutschen Sängerinnen, die sich mit türkischen Tonleitern und Vierteltönen auseinandergesetzt haben. Zusammen mit ihrem Mann bringt die Mezzosopranistin diese Musik einem breiten Publikum nahe. „Mein Schwiegervater spielt auch die Kanun, die türkische Zither, und dabei habe ich immer diese Vierteltöne gehört und fand das super interessant. Dann habe ich versucht, türkische Sängerinnen zu imitieren, aber das funktioniert nicht. Jetzt habe ich einen Weg gefunden, mich dieser Musik zu nähern, und wir haben nun ein Repertoire von zehn, fünfzehn Stücken, die wir in Konzerten spielen.“
Heimat wird zum Kampfbegriff
Heimat ist auf politischer Ebene über Nacht zum Kampfbegriff geworden. In der Musik hingegen existieren keine Grenzen zwischen Abendland und Morgenland, im Gegenteil: „Es gibt mehr Crossover zwischen den Kulturen als je zuvor“, weiß Ismail Seyhan. Kristine Funkhauser: „Auf der gesellschaftlichen Ebene gründet sich die Angst auf Vorurteile. Bei solchen Diskussionen frage ich mich, wovor haben die Leute eigentlich Angst? Angst wird geschürt. Angst ist grundsätzlich der falsche Weg.“
Aus deutscher Perspektive werden die türkischen Nachbarn oft als homogene Masse betrachtet, und umgekehrt genauso. Aber auch in der türkischen Community ist jeder Jeck anders. Integration und Identität schließen einander für Ismail Seyhan und Kristine Funkhauser nicht aus. In der Musik lassen sich Wurzeln pflegen und aus unterschiedlichen Quellen Neues, Zukunftsweisendes erschaffen. Deshalb ist es Kristine Larissa Funkhauser so wichtig, dass sich die Stadttheater einem breiten Publikum öffnen. Und deswegen ist Ismail Seyhan überzeugt: „Die Musik macht vor, was man menschlich machen sollte. Vielleicht müssten noch viel mehr Menschen ein Instrument lernen.“
Nicht immer wird Musik jedoch als Kunst erkannt. Ismail Seyhan erzählt eine Familien-Anekdote: „Mein Vater hat sein Autoradio immer auf türkische Musik eingestellt. Als es einmal in Köln in der Werkstatt war, sagte der Meister: Mit dem Wagen ist jetzt alles in Ordnung, nur mit dem Radio stimmt was nicht.“
Ab September singt Kristine Larissa Funkhauser alternierend mit Emily Newton am Theater Hagen die Kate in dem Musical „Kiss me, Kate“. www.theaterhagen.de