Hagen. . Internetfirmen versprechen, Bußgeldbescheide erfolgreich anzufechten. Ein Hagener Verkehrsrechtler hält das für eine Mogelpackung.

Sie versprechen, den Geblitzten aus der Patsche zu helfen. Doch tatsächlich bleibt die Behörde fast immer Sieger. Unternehmen wie „Coduka", das die Internetplattform „Geblitzt.de“ betreibt, ziehen gegen die Bußgeldbescheide oder Fahrverbote von Zu-schnell-Fahrern in den behördlichen Krieg. Eine Mogelpackung, wie Jörg Elsner, Hagener Verkehrsrechtler und Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereines (DAV), findet. Und die Statistik der Stadt Hagen gibt ihm Recht.

33 Prozent der Bußgeldverfahren sollen fehlerhaft sein

Im deutschen Wirtschaftsmagazin „Wirtschaftswoche“ hatte sich der Hagener Awalt Jörg Elsner zuletzt bereits sehr kritisch zum Geschäftsgebaren des Unternehmens „Coduka“ geäußert. Man dürfe nicht glauben, dass es reiche, einen Brief zu schreiben, damit die Bußgeldstelle ihre Fehler einsehe. Nicht immer lasse sich die Fehlerhaftigkeit eines Bußgeldbescheides aus dem Foto oder aus der Akte umgehend erschließen. Bei technischen Fragen zu Messgeräten müssten Anwälte einen Sachverständigen hinzuziehen. Und das verursache zusätzliche Kosten. Auch die Erstattung durch die Bußgeldstelle sei keinesfalls selbstverständlich, sondern erfolge nur bei wirklich eindeutig fehlerhaften Bescheiden, erklärt Elsner.

4000 Mandate erhielt die Plattform „Geblitzt.de“ im Jahr 2017 in NRW nach Angaben eines Unternehmenssprechers. Rund 100 davon aus Hagen, darunter 90, die sich auf den Superblitzer an der A45 bezogen. „Es gibt uns jetzt drei Jahre und unsere Zahlen steigen“, sagt der Sprecher. Das Klientel sei jünger, weil man eben online unterwegs sei. „Geblitzt.de“ wirbt damit, dass ein Drittel aller Bußgeldverfahren fehlerhaft sei. Bereits im Rahmen des 51. Verkehrsgerichtstages 2013 sei eine Studie von Verkehrsexperten veröffentlicht worden. Nach Auswertung von 15 000 Bescheiden hätten sich acht Prozent als unzulässig falsch und weitere 25 Prozent in ihrer Beweisführung zumindest mangelhaft erwiesen.

Für ein Unternehmen wie Coduka, das die Internetseite „Geblitzt.de“ betreibt, müsste Hagen eine wahre Goldgrube sein. Rund 276 000 Tempoverstöße wurden im Jahr 2016 von der Stadt Hagen geahndet.

Eine abschließende Auswertung für 2017 liegt noch nicht vor, sie dürfte aber trotz sinkender Verstöße am Superblitzer an der A 45 weiter über der Marke von 250 000 liegen. Es gibt mehr Tempoverstöße als Einwohner in dieser Stadt, in der es laut Kraftfahrzeugbundesamt zum Stichtag 1. Januar 2017 genau 94 905 Pkw gab – 508 Pkw auf 1000 Einwohner.

So viel der Hagener sich blitzen lässt, so artig zahlt er aber auch seine Bußgelder. Karsten-Thilo Raab, Pressesprecher der Stadt Hagen, gibt das Zahlenbeispiel: „Rund 1500 Personen haben 2016 Einspruch gegen ihren Bußgeldbescheid eingelegt. Rund 900 Fälle darunter landeten vor Gericht. In einigen Fällen wurde die Strafe gemildert, aber in keinem Fall hat die Stadt verloren.“ In vielen Fällen, so Raab, hätten die Beschwerdeführer ihren Einspruch zurückgezogen, wenn der Gang vors Gericht kurz bevor stand, weil die Auto-Rechtsschutzversicherung diese Verfahren nicht zahle.

Zweithöchste Blitzerdichte in ganz Deutschland

In Hagen herrscht die zweithöchste Blitzerdichte der Bundesrepublik, sie ist sogar höher als in der Hauptstadt Berlin.

30 feste Anlagen gibt es in Hagen, die beispielsweise 2016 neun Millionen Euro in die Stadtkasse blitzten.

26 617 Bußgeldbescheide gingen dieses Jahr bislang raus. Gemeint sind keine kleineren Verwarngelder für geringe Überschreitungen, sondern Verstöße, die ab 55 Euro geahndet werden. Die Zahl der Bescheide entspricht etwa zehn Prozent aller Verstöße in Hagen im Jahr 2016.

Der Hagener Anwalt Jörg Elsner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Vorstandsmitglied des Deutschen Verkehrsgerichtstages. Die Anfechtung von Bescheiden in Sachen Verkehrsvergehen macht einen großen Teil seiner Arbeit aus. „Vor allem geht es dabei um die Bescheide, die mit einem Fahrverbot verbunden sind“, sagt Elsner. Der DAV habe das Unternehmen Coduka verklagt. Es gebe seinen Service als kostenlos aus. „Tatsächlich kostenlos ist es nur für die, die auch entsprechend rechtsschutzversichert sind.“ Der Anteil falscher Messergebnisse von Radaranlagen, womit das Unternehmen werbe, sei geringer als fünf Prozent.

Finanziell komme hinzu, dass enorme Gutachterkosten entstehen, wenn man die Genauigkeit von Radaranlagen überprüfen lassen wolle. Elsner: „Wenn überhaupt, dann lässt sich rechtlich bei den Fahrverboten etwas machen. Aber dafür braucht es den persönlichen Kontakt zu einem Anwalt und nicht über eine Internetplattform. Wenn man das Fahrverbot aus der Welt schaffen möchte, muss man den Menschen vor sich haben und die konkreten Fahrtumstände und persönlichen Verhältnisse erfragen.“